Hallo @ll,
so, dieses Buch, "Gute Nacht Jakob" habe ich als Wichtelgeschenk in einem anderen Bücherforum bekommen. Es ist ein Buch, dass ich mir sicher nie gekauft oder in der Bücherei ausgeliehen hätte, doch da hätte ich was verpasst.
Das Buch war lustig, bot viele interessante Einblicke in eine längst vergangene Zeit, und behandelte auch ganz unaufdringlich Sinnfragen, etwa wenn sich der 11 jährige Hans mit dem böhmischen Pfarrer über die Grausamkeit der Natur und die Frage, ob Gott nicht letztlich auch grausam sei, unterhält.
Und das Buch ging mir auch sehr zu Herzen, es ließ mich nicht los, bis ich es heute nacht ausgelesen habe.
Und auch die Sprache gefiel mir sehr. Schlicht und schnörkellos, aber alles gut auf den Punkt gebracht. Und oft kam auch ein gewisser Sprachwitz auf, wenn der junge Hans die sonderbaren Worte und Handlungen der Erwachsenen kindlich-naiv fehlinterpretierte.
Doch nun zur Handlung: Der Autor begegnet Anfang der fünfziger Jahre, in der auch das Buch geschrieben wurde, einem dreißigjährigen Mann, der nach seinen Erlebnissen im zweiten Weltkrieg absolut deprimiert und pessimistisch in die Zukunft blickt, und vom Hans in dessen Jugend in der Kaiserzeit vor dem ersten Weltkrieg "der guten alten Zeit" geführt wird.
Hans erzählt von seiner Kindheit, wie er im Haushalt mit seiner Mama und seinen Großeltern ein festgefügtes, wohlorganisiertes aber für ihn auch langweiliges Leben führt. Seine Spiele, wie er im unbeheiztem Salon Eskimo spielt, mit seinen Soldaten Schlachten nachstellt, aber auch mit seinem Opa im langen Flur der Wohnung mit dem Luftgewehr schießen lernt. (Der Opa pfeift immer zur Warnung, damit keiner in den Flur tritt und den Bolzen abbekommt)
Dann bekommt Hans, der sich nichts sehnlicher als ein Tier wünscht, eine Dohle. Und dieser Dohle gelingt es nun, den Haushalt gründlich aufzumischen. Sie bringt Farbe nicht nur in Hans Leben, sondern auch in das seiner Mutter und Großeltern. Durch viele Episoden, Urlaub und Landpartie, große Empfänge und Kinderspiele im Hinterhof begleitet man Hans und Jakob.
Man begibt sich auf eine Zeitreise ins Berlin der Kaiserzeit, genießt es mit Hans, wenn Soldaten der Wache Unter den Linden ihn grüßen, wenn er mit seinem Onkel, dem General, daran vorbeispaziert. Man lacht über den pedantischen Opa, der seine ganzen Habseligkeiten, selbst den Inhalt seiner Sockenkommode in Listen aufführt. Dieser Opa ist aber trotz seiner bürgerlichen und kaisertreuen Herkunft durchaus nicht blind für die Sorgen und Nöte der einfachen Arbeiter. Und auch Hans bemerkt im Nachhinein beispielsweise, wie wenig freie Stunden ihr Dienstmädchen hat. Diese vielen oft leisen Zwischentöne waren für mich besonders reizvoll.
Und ich habe natürlich auch Hans mit meinem gleichaltrigen Sohn verglichen. Die beiden leben wirklich in verschiedenen Welten und Kulturen. Hans Spiele, seine Naivität, aber andererseits seine gute Erziehung, sein Verantwortungsgefühl und sein Humor sind schon klasse.
An vielen Stellen musste ich laut lachen, mal wurde ich richtiggehend melancholisch.
Kurz, ein wunderbares Buch, das es eigentlich nicht verdient, so in Vergessenheit geraten zu sein und deshalb bin ich auch sehr dankbar, dass ich es geschenkt bekommen habe.
Laut Klappentext "... wird unbeirrbar das Leitmotiv durchgeführt, wie ein Junge an so einem selbstverständlichen schwarzen Stückchen Schöpfung in diese selbst hineingeführt wird; wie diese Dohle Jakob den Menschen Hänschen leben, lieben und auch ein bißchen leiden lehrt."
Das klingt ziemlich pathetisch, und hat mich beim ersten Lesen auch nicht besonders angesprochen. Doch es trifft dieses Buch im Nachhinein ziemlich gut.
grüße von missmarple