Ein ganz normaler Tag

  • Ein ganz normaler Tag


    Ich drehe den Schlüssel im Schloss – da höre ich schon ihre schleppenden Schritte. „Sie kommen schon wieder zu spät. Wenn Sie so weitermachen zahle ich ihnen keinen Pfennig mehr“. „Schon klar“, sage ich müde, „ich werde mich bessern, ich verspreche es“. Nachsichtig lächelt sie mich an. Ich weiß genau was jetzt kommt. Und tatsächlich, sie sagt wie immer: „Dann trinken wir erst mal einen Kaffee“. „Prima“. antworte ich, „in der Zwischenzeit fang ich schon mal an. Wenn er fertig ist, rufen sie einfach, ich komme dann in die Küche“. Ich ging in den Schlaftrakt um nachzusehen, ob die Putzfrau ordentlich gearbeitet hat, ob die Wäsche gewaschen ist, ob Ordnung herrscht. Stundenlang könnte ich hier verbringen, der Kaffee wird nie fertig. Jetzt wird sie ihn suchen und wie immer nicht finden, und dann nicht mehr wissen was sie sucht und sich in etwas anderem verlieren.


    Vielleicht sucht sie mich gleich, vielleicht hat sie auch schon längst vergessen, dass ich hier bin. Ich bin ihre Tochter, aber sie kennt mich heute nicht. In den letzten Monaten schlüpfte ich in alle Rollen, ich war die Frau von der Bank, die ihre Überweisungen ausfüllt, ich war die Fußpflege, die ihre Nägel schneidet, ich war Köchin, Putzfrau, Gesellschafterin, mal war ich Fremde, mal gehörte ich zur Verwandtschaft, ganz selten nur noch war ich das was ich immer bleiben möchte - ihre Tochter.


    Ich stand in ihrem Schlafzimmer und schaute mir die Bilder an, die dort an einer Wand hingen. Bilder aus vergangenen Zeiten, heile Welt, Familienleben. Schön war es immer, wenn wir uns alle hier trafen. An Feiertagen, wenn alle anreisten, ihr Gepäck hier verstreuten und ein gemütliches Chaos herrschte. Dann fühlte sie sich wohl, wenn sie alle um sich herum hatte, bekochen und bebacken konnte. Ein Wochenende zu Hause kostete jedem einzelnen von uns locker 2 kg Gewichtszunahme.


    Vor ein paar Jahren gab es schon die ersten Anzeichen, die wir alle nicht erkannten. Sie verfuhr sich ständig mit dem Auto, kam am Ziel nicht an. Sie wird halt älter, sagten wir uns, und hatten keine Ahnung, welches Ausmaß ihr persönliches Älterwerden für uns alle haben wird.


    Ich setze mich auf einen Stuhl und nehme mir ihr Schmuckkästchen aus dem Schrank. Schon als Kind liebte ich es hier drin zu stöbern. Viel hat sie nicht mehr, das Meiste hatte sie mir bereits geschenkt. „Nimm es mit“, sagte sie jedes Mal, „bei dir ist es wenigstens sicher“. Vor ein paar Wochen hat sie sogar ihre Schwester beschuldigt, sie bestohlen zu haben, weil sie angeblich ihre Perlenkette trug. Hartnäckig hat sie behauptet sie gehöre ihr, dabei hatte ich ihre Kette schon monatelang bei mir in Hannover. Streitsüchtig und rechthaberisch, sanftmütig und hilflos – wie ein Karussell vor dem ich stehe, das sich ständig dreht, vorwärts und rückwärts fährt und ich weiß nie welcher Wagen vor mir anhält.


    Es klickt in der Leitung. Wen sie jetzt wohl anrufen wird? Ich höre ihr leises Flüstern und muss lächeln. Sicherlich soll ich - die Putzfrau - nicht hören, was sie sagt. Natürlich werde ich es erfahren. Die Menschen die sie lieben, haben sich wie zu einem Spinnennetz um sie herum versponnen, und alle Informationen laufen auf den Fäden hin und her, nur die Spinne die in der Mitte sitzt bemerkt es nicht. Ich erfahre alles, denn nur so ist es möglich sie noch lange in ihrem Haus leben zu lassen. Wir spielen unsere Rollen so gut wir können.


    Es klingelt an der Haustür. Ich höre ihre schleppenden Schritte und ihre Stimme: „Das hat viel zu lange gedauert. Wieso dauert es bei ihnen immer so lange? Kommen Sie mit, ich führe sie zu ihr.“ Erstaunt blicke ich auf als sie das Schlafzimmer betritt, gefolgt von zwei Polizisten. „Da ist sie die Diebin, sie ist schon wieder an meinem Schmuck.“

  • Vielleicht schaff ich das ja noch vor Weihnachten, dann schau ich auf jeden Fall mal rein, könnt auch das eine oder andere Buch noch für den Winterurlaub gebrauchen. Die restlichen drei laufen Ski und ich habe Freizeit... Hatte nebenbei auch schon eine Mail losgeschickt. Hab Computermäßig im Laufe des Jahres nichts dazugelernt, hihihi...

  • Eine traurige sehr realistische Geschichte, die ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Ich mußte aber am Schluß herzhaft lachen. Echt gelungen diese Mischung aus Tragik und Komik. Gefällt mir. :-)