Krisenzeit für den Weihnachtsmann
Traurig starrte der Weihnachtsmann in den dunklen Sternenhimmel. Es war schon ziemlich spät und neben ihm türmten sich die Wunschzettel. In diesem Jahr waren es Berge von Briefen. Verzweifelt schaute der Weihnachtsmann auf die ganze Post. Wie sollte er das alles schaffen? War es wirklich mehr als im letzten Jahr oder kam es ihm nur so vor. Vielleicht lag es ja auch daran, dass er so abgearbeitet und lustlos war.
Weihnachten war nicht mehr so wie früher. Jahr für Jahr wurde es schwieriger für ihn. Die kleinen Kinder machten es ihm noch relativ leicht, die Wünsche waren erfüllbar. Aber sobald die Kinder zur Schule kamen wurde es schwieriger. Hinzu kam, dass er sich niemals gegen die Einstellungen der Eltern und die Lebensbedingungen der Familie entscheiden durfte. Als Weihnachtsmann musste er vorausschauen, überlegen und abwägen und dann letztendlich für alle die richtige Entscheidung treffen. Ein tiefes Seufzen war zu hören. Davon wurden die Weihnachtsengel wach und schauten sich ratlos an. „Was können wir tun?“ flüsterte der kleinste Engel und schaute fragend die anderen an. „Er wird es schaffen,“ antwortete Salu, der älteste unter ihnen, „als Weihnachtsmann hat er eine verantwortungsvolle Aufgabe und nur er allein ist ihr gewachsen. Sonst wäre er niemals ein Weihnachtsmann geworden. Schlaft jetzt, morgen wartet viel Arbeit auf uns.“
Auch die Weihnachtsengel waren im Stress. Sie flogen in den Wochen vor Weihnachten täglich hinunter zur Erde und brachten dem Weihnachtsmann alle wichtigen Informationen. Nicht nur über Bravsein und Ungehorsam, sondern über viel, viel Wichtigeres. Sie belauschten die Gespräche in den Familien. Sie schauten den Kindern beim Basteln und Backen zu und ab und zu besuchten sie auch mal eine Weihnachtsfeier im Kindergarten oder in der Schule. Wenn die Engel dann berichten konnten, dass sich die Weihnachtsstimmung auf der Erde ausbreitet, dann grinste der Weihnachtsmann zufrieden. Einen Besuch auf der Erde am 24. Dezember ohne geschmückte Häuser, Tannenbäume, Lichterketten und selbstgebackene Kekse waren für ihn undenkbar.
Am nächsten Morgen wurde Salu zum Weihnachtsmann gerufen. „Sieh nur“ sagte der Weihnachtsmann, „ es gibt immer mehr Probleme“. Salu nahm den Brief und las ihn laut: „Lieber Weihnachtsmann, das dritte mal wünsche ich mir nun schon vor dir einen Computer oder einen Hund. Warum bringst du mir immer Sachen die ich mir gar nicht gewünscht habe. Kannst du mich denn nicht leiden? Dein Max“
Salu und der Weihnachtsmann schauten sich betroffen an. „Siehst du Salu, ich habe so viel Probleme in diesem Jahr, immer werden es mehr. Ich möchte so gern den Kindern auf der Erde einfach alle Wünsche erfüllen, aber es ist unmöglich. Die Kinder wissen nicht, dass ich von dir und deinen Helfern alle Informationen bekomme, über Lebensumstände und über die Kinder selbst. Und ich muss abwägen. Ich kann einfach keinem Kind einen Hund bringen, wenn die Wohnung zu klein ist, oder mitten in der Stadt, oder wo vielleicht ein Elternteil Angst hat oder allergisch ist. Und wenn Eltern jetzt in diesem Jahr immer noch einen Computer ablehnen, dann darf ich niemals einen schenken. So ist es nun mal. Als Weihnachtsmann trage ich eine große Verantwortung.“
Natürlich können die Kinder das nicht immer verstehen. Vielleicht ist es aber auch eine Erfahrung fürs Leben, dass nicht alle Wünsche immer gleich in Erfüllung gehen können und manche auch ein ganzes Leben lang nicht. Und für manche lohnt es sich eben, immer wieder daran zu glauben und sie nicht aus den Augen zu verlieren. Mit diesen Gedanken wandte sich der Weihnachtsmann wieder seinen Postbergen zu, denn gerade hatte er erfahren, dass unten auf der Erde bereits die falschen Weihnachtsmänner unterwegs waren, die Weihnachtsmärkte eröffnet waren und die Städte und Dörfer sich in Weihnachstimmung packten. Also war es an der Zeit, sich etwas zu beeilen.
Ich bin gespannt wie in diesem Jahr seine Entscheidungen ausfallen. Ich hoffe auf viele erfüllte Wünsche und offen gebliebene Träume – auch für Euch.
Esther