Der Mittdreißiger Philipp Erlach erbt das Haus seiner Großeltern. Nun wäre die Gelegenheit da, sich mit der Geschichte seiner Familie auseinanderzusetzen. Philipps Geliebte, die Meteorologin Johanna, drängt ihn auch dazu. Doch Philipp lässt einen großen Abfallcontainer vor das Haus stellen, in dem nach und nach wahllos alles verschwindet: vom Taubendreck, der sich über Jahrzehnte im kaputten Dachstuhl angesammelt hat, über die Inneneinrichtung bis hin zur persönlichen Korrespondenz seiner Großeltern.
Zwischen die Kapitel, die diese Renovierungs- und Entrümpelungsarbeiten im Jahr 2001 beschreiben, werden immer wieder Rückblenden geschoben, die aus der Sicht des Vaters, der Mutter, des Großvaters oder der Großmutter Philipps exemplarische Tage aus der Vergangenheit erzählen. So spannt das Buch ein weites Panorama von der Nazizeit bis zur Jahrtausendwende auf.
"Es geht uns gut" ist also ein Text über das Erinnern bzw. über die Verweigerung des Erinnerns. Außerdem ist es ein Text, der das Festhalten am Status quo thematisiert. Die Versuche, Vergangenes zu vernichten oder auszublenden, um sich so gemütlicher im Jetzt einrichten zu können, sind allerdings zum Scheitern verurteilt, sie machen die Protagonisten unglücklich und einsam.
Arno Geiger hat mit diesem Roman den erstmals vergebenen "Deutschen Buchpreis" gewonnen, das 2005 geschaffene deutschsprachige Äquivalent zum "Booker Prize". Die Prämierung wurde in der Presse zwiespältig aufgenommen, dem Text wurde vorgeworfen, in seiner Darstellung der Kriegs- und Nachkriegszeit zu brav zu bleiben. Auch ich empfand beim Lesen keine Beklemmung; auch das einigermaßen offene Ende lässt mehrere Deutungen zu, in welches Verhältnis Vergangenheit und Gegenwart denn nun gesetzt werden sollen. Insofern liegt der Roman ein wenig im Trend der in den letzten Jahren etwas einreißenden mimetischen Tendenz in den erzählenden Künsten.
Nichtsdestoweniger ist der Roman sehr solide konstruiert; das Haus als Ort der Erinnerung, erinnert so an die antike Topik, in der zwecks Memorierung im Geiste die Räume eines Hauses abgeschritten wurden. Dieses Abschreiten geschieht bei Arno Geiger nun ganz konkret und manche Türen, wie die des taubenverseuchten Dachbodens, müssen sofort wieder geschlossen werden. Die Arbeit der Entrümpelung übernehmen in diesem Fall zwei Schwarzarbeiter mit Gasmasken und Schutzanzügen.
Zum anrührendsten, was ich seit langem gelesen habe, gehören die Beschreibungen Philipps als kleinem Jungen. Schon bei ihm scheint die Fähigkeit zum schnellen Vergessen auf, die von der Mutter hier allerdings als positive Qualität aufgefasst wird.
Der Roman bietet übrigens noch eine weitere Möglichkeit des Umgangs mit Erinnerungen an als die ihres kräftezehrenden und lähmenden aktiven Ignorierens: Philipps Schwester Sissi erbt das Geld der Großeltern und nicht ihr Haus. Sie lebt zum Zeitpunkt des Todes ihrer Großmutter bereits seit Jahren in New York. Aus ihrer Perspektive wird folgerichtig auch kein Kapitel des Buches erzählt. Sie hat die Vergangenheit in einem glatten Schnitt hinter sich gelassen - die glücklichere Variante? Schwer zu sagen, die lebensbejahendere ist es wohl auf jeden Fall.
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