Manchmal stößt man auf Bücher, bei deren Lektüre man schon ab der zweiten Seite bedauert, daß man sie nicht schon früher gefunden hat. So erging es mir bei diesem Buch, das 1995 in Kanada und 1999 dann in Deutschland erschienen ist.
Es ist ein Jugendbuch und, wie so oft in Jugendbüchern, ist es eine Geschichte vom Nach-Hause-Kommen. Burl ist 14 und lebt in einem abgelegenen Dorf am Rand der großen Wälder im Nordwesten Kanadas. Seine Verhältnisse sind armselig, die Familie hat sich darüberhinaus nie erholt von dem Schock über den Tod von Burls Schwester Laura. Der Vater, Cal, wurde mehr und mehr zum prügelnden Alkoholiker, Doloris, die Mutter, tablettensüchtig. Der übermächtige Cal, der Burl systematisch klein macht und klein hält, der ihm alles wegnimmt, selbst den Raum für Träume verwehrt, ist der Auslöser für Burls Flucht in die Wälder. Auf seinem Weg stößt Burl auf die Hütte des Star-Pianisten Nathaniel Orlando Gow, der sich vor dem Ruhm und den Menschen versteckt. Die beiden verbringen gerade 24 Stunden miteinander, aber die Begegnung verändert Burls Leben völlig. Gow, der sich Maestro nennen läßt (daher auch der Titel der kanadischen Original-Ausgabe: The Maestro), reist überstürzt ab, überläßt Burl aber die Hütte. Und er sorgt aus der Ferne weiterhin für ihn. So lernt Burl Bea kennen, die ein Charter-Unternehmen leitet, denn sie bringt ihm per Flugzeug seine Lebensmittel. Bea, die wiederum eine ganz eigene Lebensgeschichte hat, macht sich ihre Gedanken über die Zusammenhänge zwischen Burl und Gow.
Wie die Phantasie zur Lüge wird, die Lügen sich in Träume verwandeln und sich die Sehnsucht doch mit der Wahrheit und der Realität verbinden läßt, wie Burl und sein Vater noch einmal aufeinanderstoßen und von der Explosion, die es gibt, wenn enttäuschte Hoffnungen plötzlich aus dem Verborgenen ans Licht kommen, erzählt der Autor in dieser romantischen, aber nie sentimentalen Geschichte.
Das Leben in den Wäldern, fischen, Bären verjagen, die Einsamkeit, Naturerlebnisse erfüllen alle Vorstellungen, die man je vom Leben in der Wildnis hatte. Romantisch ist auch die Verstrickung mit dem Pianisten – ja, sicher stand Glenn Gould Pate - , romantisch letztlich das Verhältnis zwischen Burl und Cal.
Daß es trotzdem trägt, liegt an der hervorragenden Erzählweise, an der Selbstverständlichkeit, mit der die alltäglichen Erfordernisse des Lebens beschrieben werden, gleich ob es ums Angeln, um ein Gespräch mit der Lehrerin oder die Frage des Ofenbaus geht. Die Schilderung ist ungeheuer lebendig, zugleich aber sparsam. Wenige Worte genügen und man hört den Herbstregen niederprasseln, vernimmt Beas Lebensgeschichte, erkennt die Träume von Burls Highschool-Lehrerin und die Geschichte der Ehe seiner Eltern.
Ein wirklich schönes Buch über die berühmte zweite Chance, die es nicht wirklich gibt, die einem aber neue Wege öffnen kann. Ein Buch über die sehr verschiedenen Möglichkeiten, nach Hause zu kommen.
Ab ca. 13