Unsicht-Bar: Ein Abend im "Dunkelrestaurant"

  • Ich glaube, der Laden wurde in letzter Zeit ziemlich durch die Medien gereicht, aber es war ein spannender Abend, deshalb erzähle ich also trotzdem davon.


    Meine Frau hat mich zum Geburtstag ins "Dunkel-Restaurant" der Berliner Unsicht-Bar eingeladen. Das ist ein Restaurant, in dem man im Stockfinsteren sitzt, also wirklich absolut überhaupt nichts sieht, und von blinden oder stark sehbehinderten Kellnern bedient wird.


    Gestern war es soweit. Hinter dem Hackeschen Markt gelegen, mutet das Dunkel-Restaurant von außen wie eine ganz normale Szene-Bar an. Man kommt rein, setzt sich in einen Barbereich (alles normal beleuchtet), und dann bringt ein Mitarbeiter die Karte, die fünf Vier-Gänge-Menüs enthält - von "Vegetarisch" bis "Lamm". Die einzelnen Speisen sind nur angedeutet ("Süppchen ohne Fleisch"); man weiß also nicht genau, was auf einen zukommt. Die Menüs kosten zwischen 35 und 50 Euro (ohne Getränke). Man wählt aus, und dann bekommt man den Namen des Kellners gesagt, der einen gleich abholen wird. Das passiert dann auch wenig später (unsere Kellnerin hieß Sandy). Im Gänsemarsch, die Hände auf den Schultern der Kellnerin, betritt man durch einen S-förmigen Gang (wegen des Lichteinfalls) das eigentliche Restaurant. Es soll, laut Erklärung, 200 Quadratmeter groß sein. Die Geräuschkulisse entsprach derjenigen eines üblichen, etwas besseren Restaurants - mit dem Unterschied, daß hier und da Rufe nach "Manfred", "Moni" oder "Sandy" zu hören waren - die einzige Möglichkeit, einen Kellner auf sich aufmerksam zu machen.


    Es ist wirklich absolut finster, man sieht nix. Sandy bringt uns zum Tisch; ich muß im Nichts stehenbleiben, weil meine Frau zuerst platziert wird. Dann: Hier ist der Stuhl, hier ist der Tisch, da liegt das Besteck, dies ist die Serviette. Man ist aufgeregt, lauscht in das vielstimmige Gesprächsgewirr; es wird viel gelacht. Wenig später kommen die Vorspeisen und die Getränke. Ich beschließe, mein Bier selbst einzugießen. Wer das nicht blind kann, verdient es sowieso nicht, Bier trinken zu dürfen. :grin


    Das mit der Vorspeise ist schon sehr spannend. Huch, war das eine Tomate? Was ist das nur für Fleisch? Ist das jetzt Feldsalat oder doch anderer? Ab und zu plumpst was von der Gabel, meine Frau kichert, ich tu's auch, wir prosten uns im Dunkeln zu (zum Glück stehen keine Blumen auf dem Tisch :lache). Zwischen den Gängen die üblichen Scherze, denke ich (Hast Du mein Bier ausgetrunken? Sind das Deine Hände? Siehst Du das Pärchen da drüben?). Das ganze Procedere dauert über zweieinhalb Stunden.


    Es ist ein großer Spaß, vor allem aber ist es sehr, sehr interessant. Schon nach wenigen Minuten gewöhnt man sich an die unübliche Situation, interessanterweise benimmt man sich trotzdem so, als würden einen die anderen Leute sehen können. Es ist intim und öffentlich gleichzeitig (angeblich ist das Dunkelrestaurant auch ein beliebter Platz für Sex in der Öffentlichkeit, aber das kann ich mir kaum vorstellen, weil die Kellern einfach alles "sehen"). Es ist spannend, überraschend. Die Wahrnehmung der Speisen ändert sich. Man fühlt sich zwar nicht "behindert", aber auf seltsame Art unbeweglich. Allerdings ist es nicht so, daß man eine besondere Empathie für Menschem mit Sehbehinderung entwickelt, eher anerkennende Bewunderung dafür, was sie alles trotz der Behinderung meistern. Das scheint mir aber, davon abgesehen, auch nicht die Aufgabe oder Idee hinter dem Dunkelrestaurant zu sein. Es ist Erlebnisgastronomie im besten Sinne des Wortes. Wer mal in Berlin ist - hingehen! Reservierung allerdings dringend empfohlen.

  • Zitat

    Und wie war das Essen?


    Sehr, sehr gut - und extrem reichlich. Ich bin immer noch pappsatt, obwohl ich den Hauptgang (Rinderfilet mit Möhrchen, Schwarzwurzeln und Kartoffeltörtchen) nicht ganz aufgegessen habe (glaube ich jedenfalls). :grin

  • Hallo Tom
    Dein Bericht erste Sahne.
    Ich glaube dieses Restaurant ist für sehende ein Erlebnis, weil dort die Sinne geschärft werden die wir sonst nur oberflächlich benutzen. Hören, schmecken riechen u.s.w.. Diese Sinne haben wir sehenden doch schon manchmal verlernt glaube ich zu mindest. Aber ich stell mir das auch sehr lustig vor.
    Und wenn das Essen auch supi war dann ist doch alles Banane, oder.
    Gruß oemchenli


    :wave

  • Hallo Tom,
    im ersten Moment war ich natürlich ein wenig überrascht, wegen der happigen Menupreise (zumindet für uns in der Provinz!)


    Aber wenn das Essen "Supi" war, dann ist es die Erfahrung doppelt wert!


    Zum einen: Die Erfahrung, mit den noch vorhandenen Sinnen das Essen, die Umwelt wahrzunehmen. (Oute mich hier mal als "Schlingesser"))


    Zum zweiten: Wenn diese Menschen dadurch zeigen können, zu welchen Leistungen sie trotz Behinderung fähig sind, dann ist das allein einen Besuch wert.
    Schreibst du genaue Anschrift u TelNr hier rein? Fürs evt reservieren.


    andermann

  • Ich glaub Melkat hat mal hier von der Unsicht-Bar hier in Köln berichtet... Ich würd ja auch zu gern mal dahin gehen, hab aber bisher keinen gefunden der mit gehen würde... Den einen ist es zu teuer, die anderen finden sowas nicht so doll... :-/

    "Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen, der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig."

    - Ernst Reinhold Hauschka

    Zitat

  • Hallo Tom,


    danke für deinen lebhaften Bericht! Macht richtig Lust, auch mal so eine Erlebnisgaststätte zu besuchen.


    In Wiesbaden gibt es auch eine Dunkel-Bar - im "Haus der Sinne". Aber ich glaube, da gibt es nur Getränke.

  • Ich kenne Essen ohne Hinsehen schon aus einem längeren KH-Aufenthalt. Erstaunlicherweise entwickelt man fast von allein ein paar nette Tricks, die einem helfen, die Speisekarte der Woche nicht auf dem Sweatshirt zu verewigen. :grin Aber interessant ist es trotzdem. Ich würde so ein Lokal auf jeden Fall mal aufsuchen, wenn sich die Gelegenheit ergibt.

  • Das Erlebnis "Ein Menügenuss in völliger Dunkelheit" hört sich sehr interessant an. Wird auf jeden Fall auf meiner Liste stehen, wenn ich das nächste Mal meine Freundin in Berlin besuche.


    Wollte schon lange ins Hamburger "Dinner in the dark" Restaurant. Aber wer weiss, ich komme wohl eher in Berlin dazu.