Oh mein Gott... Jetzt bloß nicht durch drehen. Vielleicht sieht sie mich ja gar nicht und ich kann in einem mehr oder weniger geglücktem Elfengang an ihr vorbei schweben, ohne dass sie mich sieht.
Schließlich scheint sie sich ja momentan mit den Gurken zu unterhalten. Jedenfalls sieht es von weitem so aus, als wenn sie jede einzelne Gurke begutachtet, um sich dann die beste von ihnen auszusuchen.
Okay, das machen Normalsterbliche wie ich vielleicht auch mal, aber nicht geschlagene 5 Minuten lang, oder?
Aha, jetzt hat sie eine. Und ich steh hier in der Schlange im Geschäft gegenüber und hoffe, dass die Oma bald ihre Sachen bezahlt hat, damit ich hier schnell verschwinden kann. Aber sie muss natürlich erst mal ihr ganzes Kleingeld auf dem Laufband der Kasse verstreuen, um dann genau 1,39 € zu bezahlen. Dazu würden sechs Münzen reichen, warum braucht sie dafür sechzig?
Während ich also an der Kasse stehe und der Oma ihre Münzen am Liebsten in eine dünne Körperöffnung stecken würde, steht auch meine mir ach so liebe Freundin drüben bei Edeka an der Kasse und bezahlt ihre Gurke.... EINE Gurke!
Die Oma ist fertig und geht langsam weg, ich zahle schnell meine Einkäufe und packe sie in meine Tasche und dann laufe ich schnellen Schrittes Richtung Auto. Gar nicht erst Hingucken ist meine Devise, deshalb kram ich schon mal in meiner Handtasche nach dem Schlüssel.
Ich steh schon vor dem Aufzug, da hör ich von weitem ein lautes: „Huhu!“
Und dann kommt Fehler Nummer 1: Ich drehe mich in Richtung Huhu und habe sofort Augenkontakt.
Oh mein Gott...
Da steht sie und winkt!
Und kommt sofort mit erhobenem Haupt auf mich zu.
Verstecken? Keine Chance, denn der Fahrstuhl braucht wieder Ewigkeiten.
Ein Loch im Boden, das mich verschluckt? Natürlich nicht.
Also auf in den Kampf. Lächeln. So tun, als ob man sich freut und bloß nicht zugeben, dass man eigentlich noch jede Menge Zeit hat.
„Wie geht es Dir?“, fragt sie mich.
Jetzt bloß zurückhalten. Nicht sagen, dass es mir gut ging, bis sie kam.
„Gut“, sage ich deshalb in dem gleichen falschen Tonfall, den sie vorgelegt hat. Ha! Was die kann, kann ich schon lange!
Sie grinst, als würde sie mir nicht glauben.
Ein Bild für die Götter.
Da stehen wir beide. Sie, groß, blond und schlank. Ich, klein, schwarzhaarig, quadratisch, praktisch, gut.
Dann fängt sie an mit einem sintflutartigem Redeschwall über mich herzufallen. Man hätte sich ja schon soooo lange nicht mehr gesehen und so. Dass das volle Absicht war, hat sie wohl immer noch nicht begriffen.
Man könne ja mal einen Kaffee trinken gehen.
Klar könne man... wenn man wolle... denke ich. In Wirklichkeit sage ich natürlich, dass man das UNBEDINGT einmal tun müsse.
Und schon begehe ich Fehler Nummer 2: Ich antworte mit einem begeisterten WARUM NICHT auf ihre Frage, ob wir nicht JETZT einen Kaffee trinken wollen.
Also schieben wir ab in Richtung Café: sie, groß, blond und schlank. Ich, klein, schwarzhaarig, quadratisch, praktisch, gut.
Und dann sitzen wir da. Sie bestellt sich einen Kaffee Olé und schenkt dem Kellner einen tollen Augenaufschlag. Ich bestelle nur Kaffee und gucke ihn besser mal gar nicht an.
Und dann fängt sie an zu erzählen.
Sind ja bestimmt nun schon zwei Jahre, in denen wir uns nicht gesehen haben. Und was sie in dieser Zeit alles gemacht hat.
Hat ja die Anwaltskanzlei ihres Vaters übernommen. Ich dagegen: arbeite als Bürokauffrau und koche meinem Chef morgens Kaffee! Sehr wichtig!
Oh und dann ihre Kinder: die kleine kommt jetzt in die Grundschule. Der große geht jetzt auf das nobelste Gymnasium hier in der Stadt. Beide haben in der Schule irgendwie zwei Sprachen. Bilingual oder so. Und sie: hell begeistert. Was sie denn für gescheite Kinder hat. Der Große benimmt sich „wie ein kleiner Gentleman“. Und zum letzten Muttertag, hat er ihr selber ein Gedicht geschrieben. Das solle man sich mal vorstellen. Ganz toll! Bin hell begeistert! Tue auf jeden Fall so.
Jetzt habe man sich in Spanien ein Haus gekauft, wo man nun jeden Sommer verbringen würde. Das Haus an der Nordsee solle bald verkauft werden und wird wahrscheinlich einen „weitaus höheren Preis einbringen als wir damals dafür zahlen mussten.“ Nee, ist klar.
Umgezogen sind sie jetzt auch. In eine 120 qm große Wohnung. Die kann sie ja gar nicht alleine sauber halten. „Um ehrlich zu sein“, sagt sie vertraulich, „ ich könnte schon, aber bei meinem Beruf bin ich schon froh, wenn ich den Rest meiner Zeit mit meinen Kindern verbringen kann.“ Na, die werden sich freuen.
Und der Porsche sei jetzt in der Werkstatt.
So erzählt sie die ganze Zeit und nippt dabei vornehm an ihrem Kaffee mit Milch.
Nun solle ich doch mal erzählen.
Aber was soll ICH ihr denn erzählen?
Ich bin 35 Jahre alt, lebe in einer 50 qm großen Wohnung, ich LIEBE es, meinem Chef morgens Kaffee zu machen, weil er meint, dass ich das am Besten könnte. Ich habe eine Katze und einen kleinen Daihatsu Curore. Kinder? Nicht das ich wüsste. Ein glücklicher Single also.... oder sagen wir so: ein Single!
Aber bevor ich ihr das alles so erzählen kann, klingelt ihr Handy: „Ach wirklich?..... Zu dumm.... Naja.... da kann man nichts machen.... Ja.... bis heute abend dann.....“
Als sie auflegt, schaut sie ein wenig säuerlich und sagt entschuldigend: „Mein Mann!“
Als würde das einiges erklären.
„Er muss heute etwas länger arbeiten.“, sagt sie. Natürlich müsse er das, denn das Geld käme schließlich nicht von alleine, fügt sie noch hinzu.
Aber ansonsten sei er der liebevollste, romantischste, witzigste, blablabla..... Ehemann, den es auf der ganzen Welt gibt.
Natürlich ist er das.
Als eine unangenehme Pause entsteht, klingelt zum Glück mal mein Handy.
„Ich muss weg!“, sage ich, nachdem das Gespräch beendet ist.
Dann zahle ich und sage ihr, dass wir dies hier unbedingt noch einmal wiederholen müssten.
Sie wolle noch etwas sitzen bleiben, sagt sie mit einem Blick auf den Kellner und ich drehe mich um und gehe.
Auf dem Weg nach Hause muss ich unentwegt grinsen und dabei denke ich an meine tolle FREUNDIN.
Vor der Haustür angekommen, steht er schon da, mit einem Strauß Blumen in der Hand und lächelt mich an... der liebevollste, romantischste, witzigste, blablabla..... Ehemann, den es auf der ganzen Welt gibt.