• „Warst du dabei, als sie die Welt gemacht haben?“ fragte er sie und nippte am Kaffee, der schon fast kalt war. Sie schaute hinab auf das Straßenpflaster.
    „Vielleicht hört bald alles auf“, sagte sie, aber es schien ein wenig, als ob sie es sich wünschte. Sie strich ihren Rock glatt während er versonnen seinen rechten Nasenflügel rieb. Seine Haare glänzten silbern in der Mittagssonne.
    „Warum ist es so wichtig, einen Anfang zu haben?“ fragte er, mehr zu der Kaffeetasse sprechend als zu ihr. „An unsere ersten Lebensjahre erinnern wir uns auch nicht“, fuhr er fort „wir fangen einfach irgendwann an, später kommt die Erinnerung, das Leben füllt sich immer mehr mit Menschen, bis sie allmählich anfangen, zu verschwinden. Einer nach dem anderen. Man wird nicht weise dabei, nur alt, alles wird fremder und unverständlicher.“
    „Ich mag übrigens dein linkes Ohrläppchen ganz besonders gern“, sagte sie. Er blickte auf und bemerkte erst jetzt, dass sie ihn wohl schon die ganze Zeit angesehen hatte, und wurde puterrot. Er hörte auf, seine Nase zu reiben.
    „Wir haben schon lange nicht mehr ...“
    „Ja“, unterbrach sie ihn und fügte hinzu:
    „Aber heute sollten wir wieder.“
    „Ich hab schon ganz vergessen, wie das geht“, sagte er gedankenverloren.
    Sie lächelte ihn an und gab ihm einen Kuss mitten in sein immer noch gerötetes Gesicht.
    „Wir haben ganz viel Zeit, mein Lieber. Wir haben so viel Zeit, bis ans Ende der Welt.“

  • Ähmmm - ich versteh die Geschichte auch nicht.


    So wie sie da steht wirkt sie ein wenig "aus dem Zusammenhang gerissen", in der Hoffnung, dass es den auch gibt.


    Dennoch sehr schön und ansprechend.

  • Warum will man Geschichten immer erklärt haben? Warum benutzt man nicht einfach seine eigene Phantasie?


    Ich mag Geschichten, bei denen man selbst die Leerstellen ausfüllen darf, bei denen auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist, worum es eigentlich geht, wobei man nach Herzenslust hineininterpretieren darf.


    Bei der vorliegende Erzählung sehe ich ein älteres Ehepaar, daß an einem sonnigen Nachmittag auf der Terasse eines Straßencafes sitzt und Kaffee trinkt. Ich sehe einen Mann, der über den Sinn es Lebens "philosophiert" und ich sehe eine Frau, die ihm vielleicht gar nicht mal so genau zuhört und mehr Augen für seine Mimik und seine Gestik hat und in deren Bemerkung sich die innige Liebe und Vertrautheit widerspiegelt, die sie nach all den Jahren noch immer für ihren Mann fühlt, und was ich sehe, gefällt mir.
    Gut geschrieben, Nudelsuppe! :anbet

  • *freu*


    Vielen Dank für die vielen Eindrücke und Rückmeldungen :-)
    "Nett" ist natürlich fies :cry, aber ich bin froh, dass Wilma mich "rettet" - als Autor sollte man nie eine Geschichte interpretieren müssen. Ich habe natürlich für mich eine Deutung, aber ich finde sie nicht "zwingend", sondern wichtiger, ob die Oberfläche verständlich ist und ein Bild entsteht. Im Unterbau dürfen Texte dann komplizierter und vieldeutiger werden.


    Liebe Grüße
    Marcel

  • Der Anfang der Geschichte hat mich spontan an Hemingways "Das Ende von Etwas" erinnert. Die Atmosphäre des Gespräches schien die gleiche Ebene zu haben.


    Zunächst dachte ich daher, daß der Ausgang auch eher negativ sein wird.


    Aber hier kommt trotz der im Vorfeld wahrscheinlich aufgetretenen Probleme des Paares ein wesentlicher Aspekt hinzu: Die Hoffnung und die Zeit.


    Der eigene Mikrokosmos der beiden wird symbolisch mit der Entstehung und des Endes der Welt verknüpft.


    Gefällt mir gut, Nudelsuppe. :-)

  • @ Nudelsuppe


    Haben wir etwa im Sommer in einem Café das gleiche Ehepaar belauscht? Ganz ernst, ich habe tatsächlich diesen Sommer in einem Café eine ganz ähnliche Unterhaltung belauscht. Deine Geschichte ist also durchaus realistisch.


    Und für mich strahlt diese Geschichte auch das gleiche aus wie das Ehepaar, das ich im Café hörte: Ruhe, Gelassenheit, Hoffnung, Melancholie, positives Denken, Weisheit und Lebensgenuß.


    Ich habe damals zu meinem Mann gesagt, "es wäre schön, wenn wir mal so sind wie die Beiden, wenn wir alt sind", denn leider gibt es sehr viele ältere Menschen, die das alles nicht ausstrahlen.

  • @ Pelican


    Erstaunlich - hab aber nur mich belauscht :-) Bzw. es ist schon ein Eindruck, den ich aus Paris mitgenommen hatte (bin wieder weggezogen, ohne gute Französischkenntnisse sah ich keine Überlebenschance ...).


    Viele Menschen gibt es sicherlich nicht, die so gelassen sind (das Alter spielt dabei, glaube ich, keine so wesentliche Rolle) - aber es ist tröstlich zu wissen, *dass* es sie gibt.


    Liebe Grüße
    Marcel

  • Ein Gespräch in einem Café, bei dem das Thema fließend ist.


    Hm... Interpretionsfreudigkeit hin oder her, es ist mir an allen Ecken und Enden zu kurz, zu angebrochen, zu lose hingeworfen.


    Wilma : Wenn einem die Geschichte so einfällt, ist es okay, absichtliches unklar machen um viel "Interpretationsfreiraum" zu schaffen, finde ich nicht gut. Klingt für mich danach, ganz unbedingt mysteriös zu schreiben... ander herum gesehen kann man dazu dann aber auch sagen: Nicht die Mühe gemacht, einen Inhalt zu vermitteln. ...wie gesagt, nur Gesetz des Falles, es fällt einem nicht genau so ein.




    JAss :keks

    Es ist erst dann ein Problem, wenn eine Tasse heißer Tee nicht mehr hilft. :fruehstueck

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  • Zitat

    Original von Nudelsuppe


    Viele Menschen gibt es sicherlich nicht, die so gelassen sind (das Alter spielt dabei, glaube ich, keine so wesentliche Rolle) - aber es ist tröstlich zu wissen, *dass* es sie gibt.


    Stimmt.


    Übrigens hätte ich mich auch ohne das silbrige glänzende Haar gut einfühlen können, allerdings gibt es der Geschichte doch noch etwas mehr Stimmung.

  • Zitat

    Original von Nudelsuppe
    Bzw. es ist schon ein Eindruck, den ich aus Paris mitgenommen hatte (bin wieder weggezogen


    :wow Jetzt wo Du es sagst, fällt mir auch auf, wo sich bei mir immer wieder der Eindruck hinterläßt, eine derartige Stimmung wäre von Dauer.


    Ich wohne ca. 15 km von der elsässischen Grenze weg, bin daher also öfter im Elsaß. Es ist unglaublich, welche Ausstrahlung die Orte und Menschen aufgrund ihrer dortigen Lebenskultur haben - nur zwei Schritte über der Grenze.