Mit freundlicher Genehmigung von Sandra Wöhe haben wir von ihrer HP die Biographie und das Foto übernommen.
Fotografin: Sabine M. Mairiedl, München
Sandra Wöhe:
Sandra Wöhe, als Tochter einer Indonesierin und eines Holländers 1959 in den Niederlanden geboren, ist diplomierte Krankenschwester und ausgebildete Publizistin.
In Zürich lebt sie nach freiberuflicher Tätigkeit als Journalistin und Redakteurin seit 1999 als selbstständige Autorin.
Kurzvita
„Schnapp, schnapp, schnapp!“.
Meine Oma schnitt mir zur Geburt als erstes die Haare. Ich weiss immer noch nicht, warum. Vielleicht wegen eines alten, indonesischen Aberglaubens: Wenn ein Baby mit einer Punkfrisur auf die Welt kommt, bringt es Unglück. Oder ist ihr Temperament mit ihr durchgegangen? Ich habe vergessen, sie zu fragen, wie vieles andere auch.
Die ersten sechs Jahre lebte ich mit meinem Onkel, meiner Tante, Mutter und Oma in Oudewater, einem kleinen, romantischen Dorf mitten in Holland mit einem Storchenpaar auf dem Rathaus. Meine Kindheit verlief ausgesprochen glücklich. Nur manchmal bedrückte es mich, meine Verwandten sprachen indonesisch miteinander, wenn etwas nicht für meine Ohren bestimmt war. Allerdings kam es schlimmer.
Als meine Mutter mit mir nach Deutschland zog, einige hundert Kilometer von Oudewater entfernt, verstand ich nur sie und ansonsten niemanden mehr.
Da ich jedoch sehr neugierig war, holte ich in der Schule diesen Misstand schnell auf. Ich ging gern in die Schule.
In der dritten Klasse bekam ich ein Schwesterchen. Als ich sie im Krankenhaus das erste Mal sah, durchs Fenster hoch oben im achten - oder war es noch höher? im zwanzigsten Stock? -, konnte ich mir ein Leben ohne sie gar nicht mehr vorstellen. Ich weiss nicht mehr, ob ich sie geliebt oder gehasst habe. Woran ich mich erinnere, ist ein kleines Mädchen, das frech war und wild und für das ich mich mit den älteren, viel grösseren Geschwistern ihren kleinen Freundfeinden geprügelt habe. Wie oft habe ich mir gewünscht, wenn ich mit einem blauen Auge nach Hause kam, Brüder zu haben, die den Jungs, die zwei blaue Augen und eine blutige Nase von mir hatten, in den Hintern treten könnten. Einfach aus Prinzip.
Wir bekamen unsere Brüder, meine Schwester und ich, unsere Wünsche waren unserer Mutter schon immer Befehl. Aber bevor sie breitschultrig genug waren, um meine Schwester vor Dummheiten zu bewahren, war meine Schwester schon selbst Mutter. Und ich lebte schon viele Jahre in der Schweiz.
Anfangs Zwanzig wanderte ich, verheiratet und mit vielen Flausen im Kopf, nach Helvetien aus. Wahrscheinlich hätte ich mich nie an einen Mann gebunden, wenn meine Oma mir damals schon gesagt hätte: „Homosexualität liegt in unseren Genen, San. Bist du sicher, dass du das richtige Geschlecht gewählt hast?“
Es war die falsche Wahl. Obwohl ich ihn geliebt habe und das Zusammensein mit ihm mir grosses Vergnügen bereitete, war ich ein paar Jahre später geschieden. Aber dann ging`s los! Ich eroberte die Frauenwelt. Das war nicht so einfach. Nicht wegen dem Coming-out. Meiner Familie war es egal, mit wem ich nach Hause kam, solange ich glücklich war. Auch hatte ich in meinem Beruf als Krankenschwester keine Probleme: Wenn es mir zu bunt wurde, outete ich mich oder kündigte. Je nachdem, wie stark ich mich gerade fühlte.
Schwierig war nur, dass ich nicht wusste, wie ich Frauen begehren und lieben sollte. Ich hätte gern ein Rezept gehabt, aber das gab und gibt es nicht. Noch heute merke ich, wenn ich mal wieder im Eimer voll Lust, Liebe und Liebeskummer ersaufe, wie ahnungslos ich in der Liebe immer noch bin.
Jede Weggefährtin gab mir die Kraft und die Fähigkeit, zu der zu werden, was ich heute bin. Sie liebten die Geschichten, die ich ihnen beim Autofahren erzählte und stellten nie das Radio ein. „Ich habe ja dich“, sagten sie.
Doch mit den Jahren vergass ich die Geschichten, das bedauerten meine Freundinnen sehr. Sie baten mich, sie aufzuschreiben. Ich drückte die Schulbank, weil ich die Geschichten so schön aufschreiben wollte, wie ich sie ihnen erzählte. Die erste hiess: „Lass mich deine Pizza sein“, veröffentlicht im Ulrike Helmer Verlag.