Wendy Wauters / Die Gerüche der Kathedrale

  • Eine Kathedrale mal anders

    Habe schon etliche Kathedralen und Dome besichtigt und war jedes Mal überwältigt. Den Brand von Notre Dame in Paris habe ich im Fernsehen gesehen und geweint, weil ich sie vorher ein paar Mal besucht hatte. Darum war die Vorfreude auf dieses Buch besonders groß, es wird mir einen neuen, zusätzlichen Blick auf diese Art der sakralen Bauten verschaffen. Und ich wurde nicht enttäuscht.

    Von einem Sonntag sieben Uhr morgens im Frühjahr 1481 bis Dienstag, 20. August 1566 werden Geschichten und Anekdoten rings um die Kathedrale von Antwerpen, der Liebfrauenkirche, aber auch von anderen großen Kirchen Europas erzählt, vom Leben der Herrschenden, der armen Stadtbevölkerung, von Händlern und Reisenden, von Kirchgängern, Prälaten, Predigern, Wanderpredigern, von Katholiken, Reformatoren und Täufern, sie sind alle in diesem Buch vertretern. Wir erfahren vom makabren Beruf der Hundetotschläger, von Huren und Dieben. Volksfeste und Prozessionen, Tage des Trubels, Karneval und Feierlichkeiten im Wechsel mit den Fastenzeiten, Könige und Kaiser rissen sich um die damaligen Länder von Burgund und Flandern, um die reichen Städte, von denen Antwerpen eine der reichsten war.

    Der gleiche Schmutz der auf den Straßen herrschte, es gab ja keinen Mülltransport, keine Kanalisation, Schweine und Gänse undHühner suchten sich in den Gassen das Futter, Nachttöpfe wurden ohne viel Federlesens aus dem Fenster auf die Straße gekippt, Menschen verrichteten ihre Notdurft ungeniert an allen Ecken auf den Gassen. Nun, diese Misere wurde an den Schuhen in die Kirchen reingetragen. In den Kirchen kam noch der Brauch hinzu, die Toten innerhalb der Kirchen zu begraben. Täglich wurden Steinplatten beiseite geschoben, die Toten ins Grab gelegt, über andere Leichen, dann kamen viele streunende Hunde in die Kirchen, hinterließen Kot und Urin an allen Ecken, Säulen, vor allen Altären. Ungewaschene Bettler, ungewaschene Bürger, ungewaschene Adlige kamen in die Kirche. Ein wahrer Christenmensch brauchte sich nicht waschen, solange sein Gewissen rein war. Sauberkeit war der Kirche suspekt. Allein die Juden wuschen sich regelmäßig. Wer sich also wusch, war verdächtig, ein Jude zu sein. Kein Wunder also, dass Seuchen an der Tagesordnung waren. Alle paar Jahre wütete die Pest, dazwischen Cholera, Ruhr, Typhus. Die wurden mit Teilnahme an Prozessionen bekämpft. Der Erfolg blieb aus.

    Wendy Wauters Buch ist reich an all diesen Fakten und Begebenheiten. Sie lässt das Mittelalter vor unseren Augen lebendig werden. Zahlreiche Abbildungen, die in der Mitte des Buches gesammelt sind, belegen Wauters Texte.

    Das Buch ist kein Pageturner, will es auch nicht sein. Es bietet fundiertes und dokumentiertes Wissen über das Leben im Mittelalter und über die Liebfrauenkirche in Antwerpen. So stelle ich mir ein Sachbuch vor.


    ASIN/ISBN:
    ISBN9783534610648