Stephen Spotswood: Die Tote auf dem Maskenball. Pentecost & Parker ermitteln (1), Kriminalroman, OT: Fortune Favors the Dead. A Pentecost & Parker Mystery 1, aus dem Amerikanischen von Charlotte Lungstrass-Kapfer, München 2022, Blanvalet Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe, ISBN 978-3-7341-1062-7, Softcover, 446 Seiten, Format: 12 x 3,4 x 18,8 cm, Buch: EUR 11,00 (D), EUR 11,40 (A), Kindle: EUR 7,99.
„Es ist ja nicht nur so, dass du nicht in ihr Schema passt, du schreckst auch kein bisschen davor zurück anzuecken“, mahnte Hollis. „{…] Aber krumme Nägel werden mit Gewalt eingeschlagen, Will. Sei einfach vorsichtig, mehr will ich ja gar nicht.“ (Seite 386)
New York 1942: Willowjean „Will“ Parker war 15, als sie aus gutem Grund von zuhause weggelaufen ist und sich einem Wanderzirkus angeschlossen hat. Seit fünf Jahren ist sie jetzt schon mit der Truppe unterwegs. Dort hat man rasch kapiert, dass die zierliche Rothaarige clever ist und mehr kann als nur Tierkäfige ausmisten. Will lernt also Messerwerfen und Schlösser knacken, sie steht als aufgebrezeltes Showgirl auf der Bühne sowie als Assistentin verschiedener Artisten.
Das ist besser als ihr Leben daheim, aber das Geld ist immer knapp. Also halten sich die Zirkusleute mit Nebenjobs über Wasser. Als sie in New York gastieren, nimmt die burschikose Will einen vermeintlich ruhigen Job als Nachtwächterin an. Doch in der dritten Nacht tauchen ein Kerl und eine mysteriöse Frau auf. Es gibt eine Leiche, und nur Wills beherztem Eingreifen ist es zu verdanken, dass es nicht noch mehr werden.
Vom Zirkusmädchen zur Privatdetektivin
Die mysteriöse Frau entpuppt sich als die erfolgreiche Privatdetektivin Lillian Pentecost (Mitte 40). Sie ist von der unerschrockenen Will Parker und deren außergewöhnlichen Fähigkeiten so beeindruckt, dass sie sie dem Wanderzirkus abwirbt. Aus dem verwilderten Zirkusmädchen wird – nach etlichen Fortbildungen – Lillian Pentecosts Assistentin.
Nun könnte man denken, dass Will für die alleinstehende Lillian eine Art Tochterersatz ist. Doch weil die Detektivin von einer chronischen Krankheit gezeichnet ist, kommt es zu einer eigenartigen Rollenumkehr. Lillian ist zwar die Chefin der Detektei, wird aber von zwei Damen bemuttert: von ihrer Haushälterin Eleanor Campbell und von ihrer Assistentin/Auszubildenden Willowjean Parker … deren richtigen Namen wir noch nicht kennen. In dieser Geschichte ist nämlich kaum jemand das, was er/sie vorgibt zu sein.
Mord im verschlossenen Zimmer
3 Jahre später, November 1945: Will Parker hat schnell gelernt und schmeißt jetzt die Organisation der Detektei Pentecost. Als Harrison Wallace, der Geschäftsführer von Collins Steelworks, sie beauftragt, einen rätselhaften Todesfall aufzuklären, sagt sie zu, ohne ihre Chefin vorher um Erlaubnis zu fragen. Die Sache klingt einfach zu lukrativ und verlockend: Abigail Collins, die Witwe des Stahlmagnaten Alistair Collins, ist auf ihrer eigenen Geburtstagsparty – einem Maskenball – erschlagen worden, unmittelbar nach einer Séance mit dem Medium Ariel Belestrade.
Obwohl es auf dem Maskenball vor Leuten nur so gewimmelt hat, gibt es keine Zeugen. Und das Beste kommt noch: Das Arbeitszimmer, in dem die Witwe zu Tode gekommen ist, war verschlossen. Die Tür lässt sich nur von innen zusperren, das Fenster ist vergittert und es gibt nachweislich keine geheimen Zugänge. Ein Mysterium!
Die Geheimnisse der Reichen und Schönen
Pentecost und Parker ermitteln nun unter den Reichen und Schönen. Und wie es aussieht, haben die alle ihre Geheimnisse.
Hat sich Alistair Collins wirklich vor einem Jahr das Leben genommen, oder stimmt das Gerücht, dass seine Frau Abigail dabei die Finger im Spiel hatte? Wenn ja, wieso? Finanziell hat ihr der Tod ihres Mannes nicht viel gebracht. Hängt da vielleicht Geschäftsführer Harrison Wallace mit drin? War er mehr als nur ein Geschäftspartner? Mit der Ehe von Abigail und Alistair stand es ja nicht zum Besten. Aber wenn er kein reines Gewissen hat, warum sollte er dann eine Detektei beauftragen? Vielleicht wollten ja die erwachsenen Collins-Kinder vorzeitig an die Macht. Und wieso mischt sich eigentlich Werksleiter John Meredith ständig in die Angelegenheiten der Familie ein? Das geht ihn doch gar nichts an!
Die zwei Detektivinnen fühlen der Familie, den Firmenangehörigen und den Partygästen gründlich auf den Zahn. Sie durchleuchten auch das Medium, das bei der Party aufgetreten ist, wobei Will Parker ihre Berufserfahrung zugutekommt: Hat Ariel Belestrade (heißt die wirklich so?) mehr drauf als Madame Fortuna aus dem Wanderzirkus? Oder lässt sie sich die uralten Tricks nur besser bezahlen? Wenn man sich anschaut, was für einen Kerl sie als Assistenten beschäftigt, kann man schon ins Grübeln kommen …
Alles fauler Zauber?
Will Parker kennt sich nicht nur mit faulem Jahrmarktszauber aus, sondern auch mit Leuten, die sich irgendwann mal neu erfunden haben und gar nicht die sind, für die sie sich ausgeben. Pentecost & Parker lassen sich weder von falschen Papieren noch von falschen Geständnissen beeindrucken. Sie sind wild entschlossen, herauszufinden, wer hier wer ist, wer was zu verbergen hat und wer was im Schilde führt …
Der Fall ist spannend, wenn auch vielleicht ein wenig zu komplex. Die Geschichte kommt daher wie ein Film der „Schwarzen Serie“ – mit einer Prise ebensolchen Humors. Ich mochte die Figuren: die undurchsichtige Lillian und die außergewöhnliche Willowjean Parker. Hier stört’s mich nicht, dass ein Mann aus der Sicht einer Frau schreibt. Das wirkt manchmal unglaubwürdig, aber die Damen dieses Hauptcasts sind so schräg, dass das hier kein Thema ist.
Ich habe was übrig für Heldinnen aus prekären Verhältnissen, die ihren Lebensunterhalt mit dubiosen Fähigkeiten verdienen. Will Parker hat mich da an Harper Connelly aus Charlaine Harris‘ GRAVE-Reihe erinnert und an Alannis McLachlan aus Steve Hockensmiths WEISSE-MAGIE-Trilogie. Die mochte ich auch sehr gern.
Auftakt zu einer Serie
Ein bisschen nervig fand ich die Andeutungen, die erst später aufgelöst werden. Ja, schön: Die Assistentin kennt die Antwort auf die Frage, die Chefin auch, aber uns Leserinnen lässt man noch ein Weilchen im Dunkeln tappen! Und der Collins-Fall scheint unnötig weite Kreise zu ziehen, wahrscheinlich weil die Geschichte im nächsten Band wieder aufgenommen werden soll.
Ich werde an der Reihe dranbleiben, auch auf die Gefahr hin, dass ich nie erfahren werde, was Lillian Pentecost dazu bewogen hat, ausgerechnet Detektivin zu werden – und wie Willowjean Parker wirklich heißt. 😉
Der Autor
Stephen Spotswood ist ein preisgekrönter Autor von Theaterstücken, Journalist und Theaterpädagoge. Zusammen mit seiner Frau, der Jugendbuchautorin Jessica Spotswood, ihrer Katze und einer stetig wachsenden Büchersammlung lebt und arbeitet er in Washington, D.C.
Die Übersetzerin
Die Liebe zu Büchern und Sprache brachte Charlotte Lungstrass-Kapfer auf ziemlich direktem Weg zum Übersetzen, sodass sie heute ihre Tage (und manchmal auch Nächte) damit verbringt, Vertreter ihrer Lieblingsgenres Fantasy und Krimi in ein deutsches Gewand zu kleiden. Sie lebt mit Mann, Kind und diversen Haustieren in der Nähe von München.
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ASIN/ISBN: 3734110629 |