Nicole Stranzl: Galgenwald. Steiermark-Krimi, Meßkirch 2025, Gmeiner Verlag, ISBN 978-3-8392-0781-9, Softcover, 328 Seiten, Format: 12,2 x 3 x 20,1 cm, Buch: EUR 14,50 (D), EUR 15,00 (A), Kindle: EUR 11,99.
Elisa hat sich neu erfunden
Graz, November 2023: Seit zwei Jahren hat die Journalistin Elisa Avram (29) keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter Gabi (48). Mit ihren Halbgeschwistern Marina (27) und Andrei (24) spricht sie auch nur selten. Sie hat sich von ihrer Herkunft distanziert.
Ja, Elisa ist schon klar: Ihre Mutter, Gabriela Avram, hat’s nie leicht gehabt: Mit 17 ist sie alleine von Rumänien nach Österreich gegangen, weil sie es in ihrer dysfunktionalen Familie nicht mehr ausgehalten hat. Sie ist dann ins Drogenmilieu abgerutscht und anschaffen gegangen, was sie immer noch tut.
Mit 19 ist Gabi zum ersten Mal Mutter geworden und hatte mit 24 drei Kinder von drei verschiedenen Männern. Das einzige Mal, dass die Avrams sowas wie ein Familienleben hatten, war, als Gabi mit dem Bordellbetreiber Gerald „Gerry“ Kolitsch liiert war. Der war gewiss kein Engel, aber als Partner und (Stief-)Vater mehr als okay.
Elisa Avram hat alles getan, um diesem Milieu zu entkommen. Sie ist die erste in ihrer Familie, die studiert hat. Auch ihre Schwester Marina scheint es geschafft zu haben: Sie ist jetzt eine gut situierte Arztgattin, Hausfrau und zweifache Mutter. Nur Andrei, der „kleine Bruder“, ist in derselben Branche tätig wie die Mutter.
Mord an der Mutter: Die Journalistin ermittelt
Ja, und jetzt ist Gabi Avram tot. Erhängt aufgefunden im Galgenwald, einer ehemaligen Richtstätte in Thannhausen. Suizid? Die Rechtsmedizinerin sagt nein. Nun müssen die Geschwister miteinander reden, ob es ihnen passt oder nicht. Und sofort brechen alte Konflikte wieder auf.
Im Fall Gabriela Avram ermitteln zwei junge Beamte des LKA: Leon Esposito und Richard Schantl. Werden sie sich für einen Mord an einer rumänischen Prostituierten überhaupt richtig ins Zeug legen? Sie scheinen jede Menge eigene Probleme zu haben. Was ist Ermitteln schon anderes als Recherchieren, fragt sich Journalistin Elisa und beschließt, den Mörder ihrer Mutter auf eigene Faust zu suchen.
So weit, so gut. Aber jetzt wird’s kompliziert.
Viele Personen, Perspektiven und Probleme
Jedes Kapitel wird aus der Sicht einer anderen Person erzählt. Manch eine/r macht uns was vor und nicht immer erfahren wir, wer hier gerade denkt oder spricht. Ein Kunstgriff, der durchaus zur Spannung beiträgt. Es sind aber recht viele Personen, die man im Blick behalten muss, um der Handlung folgen zu können.
Neben der Journalistin und Amateur-Ermittlerin Elisa sind da Gabi Avram und ihre Kollegin Réka Fodor sowie eine namenlose junge Frau, die vor irgendwem auf der Flucht ist. Da ist der Polizist Leon Esposito, der nicht nur Verbrecher jagt, sondern auch unermüdlich seine vor zehn Jahren verschwundene Schwester sucht. Und da ist sein Kollege Richard „Rick“ Schantl, der mit seinen eigenen Dämonen kämpft.-
Mit von der Partie ist zudem der Influencer Flo Portugal, ein junger Mann mit altmodischem Weltbild, der auf den ersten Blick mit der ganzen Geschichte gar nichts zu tun hat. Sogar seine Lebensgefährtin Emma darf ihre Sicht der Dinge schildern. Eine Wahrsagerin kommt zu Wort, die einige der fallrelevanten Personen kennt. Und irgendwer versteckt sich hinter dem Pseudonym eines Fernseh-Polizisten …
Überfordert und verwirrt
Ich hatte den Eindruck, dass hier jeder jeden kennt, alles mit allem verbunden ist und die meisten Leute hochgradig gestört sind. Beim Versuch, den Durchblick zu behalten, war ich ständig am Zurückblättern: Wo ist dieser Name schon mal aufgetaucht? Wer ist der Mann, der plötzlich bei einer der Frauen vor der Tür steht? Derselbe wie vorhin? Und muss ich mir den namenlosen Kerl merken, der sich im Nachtclub so aufführt? Geht die Autorin davon aus, dass ich als Leserin weiß, wer das ist? Oder kommt da noch was?
Ich rätsle gerne mit, aber ich bin kein Freund der vorsätzlichen Leserverwirrung durch eine überkomplex konstruierte Story. Wenn schon eine Zufallsbekanntschaft durch den Ex-Partner des Ex-Partners in den Fall verstrickt ist, dann ist bei mir Schluss.
Eine tragische Pointe?
Auch das Motiv hat mich nicht restlos überzeugt.
Für die Tatperson hat es meines Erachtens überhaupt keinen Handlungsbedarf gegeben. Sie hätte die Sache gemütlich aussitzen und sich im Ernstfall locker rausreden können. Zu diesem „Ernstfall“ wäre es eh nie gekommen, weil die Polizei den Opfern und Zeuginnen gar nicht erst geglaubt hätte. Dass das so läuft, kann man in diesem Krimi an zahlreichen unrühmlichen Beispielen sehen. Im Grunde waren die Taten völlig unnötig. Ist das als tragische Pointe zu verstehen? Wenn ja, haben die Romanfiguren nichts davon mitgekriegt.
Auftakt zu einer Serie
Die Ausgangssituation ist interessant, die Familie Avram und die Jungs vom LKA sind spannende Figuren, aber das komplizierte Drumherum hat mich total überfordert. Ich weiß, es gibt Leserinnen, die solche labyrinthischen Geschichten klasse finden. Ich gehöre leider nicht dazu. GALGENWALD scheint der Auftakt zu einer Reihe zu sein. Ich bin da raus.
Die Autorin
Nicole Stranzl wurde 1994 in Graz geboren und studierte „Journalismus und PR“ an der FH Joanneum in Graz. Einige Jahre arbeitete sie im Kundenservice einer Pflegeagentur und moderierte parallel bei einem Webradio. Seit April 2021 ist sie als Regionalredakteurin bei der Tageszeitung „Kleine Zeitung“ angestellt. Ihren ersten Thriller veröffentlichte sie mit 19 Jahren, seither sind bereits zehn Bücher von ihr erschienen.
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ASIN/ISBN: 3839207819 |