Martin Mittelmeier / Heimweh ins Paradies

  • Der Titan der deutschen Literatur im amerikanischen Exil

    Auf der Flucht vor den Nazis treffen sich in Kalifornien die renommiertesten und größten Literaten, Musiker, Künstler, Kunstmäzene und Schauspieler, die Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert geistig geprägt haben. Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann, Alfred Döblin, Vicki Baum, Theodor W. Adorno, Bertolt Brecht und Thomas Mann, der einzige Literaturnobelpreisträger unter ihnen. Einigen wenigen gelingt es, finanziell gut dastehen. Thomas Mann unternimmt Vortragsreisen, Lion Feuchtwangers Bücher sind auch in den USA ein Erfolg. Aber Brecht, Döblin oder Heinrich Mann und vielen anderen geht es finanziell nicht gut. Viele schreiben Drehbücher für die Filmindustrie und kommen so über die Runden.

    Zu den Vorträgen, die Thomas Mann hält, quer durch die USA, kommen noch Radiosendungen hinzu, für die Radiohörer in Deutschland.. Diese Vortragsreisen und die Radiosendungen, aber auch die Gespräche, die er mit jungen Amerikanern führt, so sie sich trauen, zu ihm zu kommen, all dies hält ihn vom Schreiben ab. Mit ungeheurem Fleiß und Disziplin hat er im Exil seine Josef-Romane zu Ende gebracht, er hat Lotte in Weimar geschrieben, er hat Doktor Faustus geschrieben. Aber er hat auch Essays verfasst, über Goethe, Richard Wagner, Sigmund Freud, “Bruder Hitler”, Friedrich Nietzsche. und Arthur Schopenhauer. Seine Radiosendungen zwischen 1941 und 1945 sind gleichzeitig auch Essays, die er sehr sorgfältig geschrieben hat und an seine deutschen Hörer gerichtet hat. Er unterscheidet sehr genau zwischen den Schergen des Naziregimes und dem deutschen Volk. Für einen selbst deklarierten unpolitischen Menschen setzt er sich sehr aktiv politisch ein. Einerseits um anderen Exil Deutschen in den USA zu helfen, andererseits durch seine Radiosendungen an das deutsche Volk.

    1946, der Krieg ist zu Ende, steht Thomas Mann vor neuen Herausforderungen: “Die Realität ist schneller als Thomas Mann. Manches Mal hatte ihn die Furcht geplagt, er müsse noch einen weiteren Roman schreiben, bis die NS-Herrschaft vorüber ist. Aber am Ende ist deren Untergang erfolgt, bevor Manns Erzähler [Der Zauberberg] Serenus Zeitblom es mitschrend miterlebt. Mann schreibt nun gleichsam der Realität hinterher, in der die Nürnberger Prozesse bereits kurz vor dem Abschluss stehen.” (S. 131)

    Ein paar Worte zum Stil Martin Mittermeiers: einigen mag er umständlich erscheinen, schräg, nicht leicht zu durchdringen. Ich finde ihn ehrlich, dem schwierigen Thema eines so großen Autors voll angepasst. Charmant, spritzig ironisch, aber auch sehr ernst und gleichzeitig knapp: “Später am Abend nehmen die Manns die Nachricht von der Versenkung eines Passagierdampfers durch ein deutsches U-Boot zur Kenntnis, auf dem sich viele Kinder zur Evakuierung von England nach Kanada befanden. Zwei Tage später erfahren sie, dass ihre Tochter Monika mit ihrem Mann auf dem Schiff war. Monika wurde nach zwanzig Stunden in einem Rettungsboot geborgen, ihr Mann starb, mit ihm 246 weitere Menschen, darunter 73 Kinder. Nicht leicht zu hassen, in diesen Zeiten” (S. 33) Dieser knappe letzte Satz geht zu Herzen.

    Literaturgeschichte und spannende Auseinandersetzung mit den deutschen Schriftstellern im amerikanischen Exil während des unsäglichen Dritten Reichs.


    ASIN/ISBN: 3755800330