Die Aneinanderreihung von Tatsachen wird mit der Einsicht in Funktionszusammenhänge der Welt verwechselt. (Seite 71)
Bibliographische Angaben meiner gelesenen Ausgabe:
246 Seiten, zahlreiche Illustrationen, gebunden mit Schutzumschlag
Verlag: Piper Verlag GmbH, München, 3. Auflage 2019
ISBN-10: 3-492-05843-4
ISBN-13: 978-3-492-05843-8
Zum Inhalt (eigene Angabe)
Der Tag beginnt mit den Radio-Nachrichten, geht weiter mit der Zeitung und verschiedenen News-Seiten, um schließlich Abends mit der „Tagesschau“ noch immer nicht zu enden. Wo man hinsieht: Nachrichten über alles „Wichtige“, was in der Welt so vor sich geht. Doch ist das, was berichtet wird, wirklich so wichtig, daß man das alles wissen muß? Und wenn man im Laufe einer Woche vielleicht hunderte solcher News gelesen hat - was weiß man noch davon, was hat es einem genützt?
„Nichts“ behauptet der Autor und legt seine Gründe für die Behauptung in diesem Buch in umfangreicher Argumentation dar. Und zwar überzeugend.
Über den Autor
Rolf Dobelli wurde 1966 geboren. Nach dem Studium der Philosophie und der Betriebswirtschaftslehre war er für verschiedene Unternehmen in leitender Funktion tätig. Seit 2011 ist er hauptberuflich Schriftsteller. Mit seiner Familie lebt er in Bern.
Informationen im Internet:
- Die Seite zum Buch beim Verlag (mit Leseprobe)
Meine Meinung
Das Buch hatte ich recht bald nach Erscheinen erworben, zu lesen begonnen und dann verliehen. So wichtig war es mir damals mit dem Thema anscheinend nicht, denn nachdem ich das Buch zurück erhielt, wanderte es gleich aufs Bücherregal. Bis mir dieser Tage beim Lesen der Nachrichten dermaßen übel wurde, daß ich mich des Buches erinnerte. Dieses Mal habe ich es in einem Rutsch gelesen und bereits erste Konsequenzen gezogen - mein „Newskonsum“ ist binnen weniger Tage deutlich gesunken. Ohne daß sich in der Welt irgend etwas verändert hätte. Nur geht es mir seither besser.
Wie so viele Menschen war ich bisher überzeugt, daß man als zumindest halbwegs gebildeter Mensch nachrichtenmäßig auf aktuellem Niveau sein sollte. Schließlich muß man ja wissen, was in der Welt vor sich geht, um es zu berücksichtigen und darauf reagieren zu können.
Muß man das wirklich wissen?
Und vor allem: was soll das mit dem „Berücksichtigen und Reagieren“ bedeuten? Ganz konkret für das tägliche Leben?
Die Forderung des Autors erscheint radikal: ab sofort auf jegliche Nachrichten (er schreibt immer von „News“) verzichten. Keine Tagesschau, kein „heute“, keine Zeitung und vor allem keine Newsseiten in Internet. Er rechnet vor, wenn man täglich rund 90 Minuten mit dem konsumieren von News verbringt und damit aufhört, ergibt das im Jahr einen ganzen Monat zusätzliche gewonnene Zeit! „Mit News“ hat man elf Monate zur Verfügung, „ohne News“ deren zwölf. Wenn etwas wirklich Wichtiges passiert, erfährt man das irgendwie, beispielsweise aus Gesprächen mit anderen Menschen.
Im Verlauf des Buches führt er eine ganze Reihe von Argumenten für seine Ansicht auf - Argumente, die mich in ihrer Gesamtheit fast überzeugt haben. (Auf das „fast“ komme ich weiter unten zurück). So schreibt er beispielsweise, daß im täglichen Newsstrom das Wesentliche überhaupt keine Berücksichtigung findet. Um zwei Beispiele zu nennen (beide Seite 60f): wenn eine Brücke einstürzt, richtet sich der Fokus auf das damit abgestürzte Auto und dessen Insassen. Das bringt Aufmerksamkeit. Wichtig wäre jedoch der Fokus auf die Brücke, und ob es etwa weitere Bauwerke gleicher oder ähnlicher Art gibt, die möglicherweise ebenfalls einstürzen könnten. Oder der Angestellte eines Finanzamtes, der betrügerisch handelt. Was nützt es, genau zu dem Mann, seiner Motivation, seinem Leben usf. zu recherchieren und zu schreiben, wenn das Wesentliche etwa ein völlig fehlendes Risikomanagement des Finanzmtes ist, das diesen Betrug erst ermöglicht hat?
Wenn man am Tag also, um bei der genannten Zeit zu bleiben, rund neunzig Minuten News konsumiert - was bringt einem dies? „All dies steht außerhalb ihrer Kontrolle. Fast nichts von dem, was Sie in den News hören, können Sie beeinflussen.“ (S. 131) Und so gut wie nichts von dem, was man auf diese Weise aufnimmt, ist für das eigene Leben „wissensnotwendig“. Es verstopft das Gehirn und schürt Ängste vor der Welt, vor der Zukunft.
Muß ich also Dinge wirklich wissen, die ich letztlich weder beeinflussen noch ändern kann, die aber mein Leben alleine durch die Kenntnis derselben negativ beeinflussen? Während sie keinen Einfluß auf mich hätten, wenn ich sie nicht kennen würde (und sich die Weltgeschichte durch dieses Nicht-wissen auch in keiner Weise verändern würde)? Wenn mich dies alles noch nicht überzeugt hätte, dann seine Ausführungen (mit einer Studie belegt), wie der News-Konsum - vereinfacht ausgedrückt - das Gehirn und damit die Denkfähigkeit negativ beeinflußt (vgl. S. 113ff „News verändern unser Gehirn“).
Die Antwort ist vermutlich ziemlich eindeutig. Und meine Konsequenz schon während des Lesens klar. Bis auf das anfangs erwähnte „fast“. Denn völlig verzichten werde ich nicht auf Nachrichten. Aber statt viele Artikel komplett zu lesen, reichen mir nun die Überschriften und der erste einführende Satz.* Und nur, wenn mich etwas sehr interessiert, lese ich weiter. Das spart schon mal eine Menge Zeit - und ich habe nicht das Gefühl, etwas zu verpassen. Ähnlich verfahre ich mit der lokalen Zeitung - die Lesezeit hat sich mindestens halbiert. Genauer lese ich immer die Artikel, die mich bzw. meine Familie betreffen - etwa wenn wieder einmal die Züge nicht fahren („Baustelle“), wenn in der Stadt gebaut wird und mit Umleitungen und mehr Verkehr zu rechnen ist oder andere Verlautbarungen hiesiger Behörden, die man kennen sollte.
Und wie man Wikipedia entnehmen kann, hat der Autor inzwischen auf Grund des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine seine vollständige News-Abstinenz aufgegeben - dort kann man lesen, er fokussiere sich auf „relevante Nachrichten, um rechtzeitig auf einen Ernstfall reagieren zu können“.
Wie bei so vielem, gilt es auch beim Newsverzicht einen gesunden Mittelweg zu finden. Wie der für jeden einzelnen aussieht - darüber muß man sich dann schon selbst Gedanken machen. Das Buch gibt gute und wertvolle Hinweise dazu.
Mein Fazit
Ausführlich legt der Autor die schädlichen Auswirkungen des ständigen „News-Konsums“ dar.
* = Wie ich vor vielen Jahren in einem Presseseminar gelernt habe, soll am Anfang eines Artikels ein Satz stehen, der den wesentlichen Inhalt zusammenfaßt und „auf das Lesen des ganzen Artikels Lust machen soll“ (sinngemäß aus dem Gedächtnis zitiert).
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ASIN/ISBN: 3492058434 |