Russische Spezialitäten – Dmitrij Kapitelman

  • Hanser Berlin, 2025

    192 Seiten


    Kurzbeschreibung:

    Eine Familie aus Kyjiw verkauft russische Spezialitäten in Leipzig. Wodka, Pelmeni, SIM-Karten, Matrosenshirts – und ein irgendwie osteuropäisches Zusammengehörigkeitsgefühl. Wobei, Letzteres ist seit dem russischen Überfall auf die Ukraine nicht mehr zu haben. Die Mutter steht an der Seite Putins. Und ihr Sohn, der keine Sprache mehr als die russische liebt, keinen Menschen mehr als seine Mutter, aber auch keine Stadt mehr als Kyjiw, verzweifelt. Klug ist es nicht von ihm, mitten im Krieg in die Ukraine zurückzufahren. Aber was soll er tun, wenn es nun einmal keinen anderen Weg gibt, um Mama vom Faschismus und den irren russischen Fernsehlügen zurückzuholen? Ein Buch, wie nur Dmitrij Kapitelman es schreiben kann: tragisch, zärtlich und komisch zugleich.


    Über den Autor:

    Dmitrij Kapitelman, 1986 in Kyjiw geboren, kam im Alter von acht Jahren als »Kontingentflüchtling« mit seiner Familie nach Deutschland. Er studierte Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität Leipzig und absolvierte die Deutsche Journalistenschule in München. Heute arbeitet er als freier Journalist. 2016 erschien sein erstes, erfolgreiches Buch "Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters", für das er den Klaus-Michael Kühne-Preis gewann. 2021 folgte "Eine Formalie in Kiew", für das er mit dem Buchpreis Familienroman der Stiftung Ravensburger Verlag ausgezeichnet wurde.


    Mein Eindruck:

    Der junge Journalist Dmitrij Kapitelmann stellt sich selbst und seine Eltern in den Mittelpunkt des Buches. Es ist autobiografisch und wirkt auf mich sehr ehrlich.

    Daher fällt es Leser leicht, zu verstehen und nachzuvollziehen. Und es ist ein relevantes Thema.

    Kapitelmann kam als Kind mit seinen Eltern nach Deutschland.,Sie stammen aus der Ukraine, aber die Mutter ist russischstämmig und Putingläubig.

    Für Dmitrij ein Konflikt, denn einerseits will er loyal zu seiner Mutter sein, anderseits kann er die Situation realistisch einschätzen und weiß, wie jeder von uns, dass Putin der Aggressor ist.


    Hinzu kommt ein weiteres Element. Der Vater führte einen Laden mit russsichen Spezialitäten, fällt aber krankheitshalber aus und Dmitrij übbernimmt eine Weile, und das mitten in der Coronazeit.


    Man findet also bekannte Situationen vor und wie Kapitelmann sein Buch gestaltet, ist höchst wirkungsvoll, und verdienstvoll. Später im Buch reist auch er in die Ukraine, um sich ein Bild über die aktuelle Situation zu machen.

    Mich hat das Buch bewegt. Ich halte es für sehr lesenswert!


    ASIN/ISBN: 3446282475

  • Verschmitzt, ironisch und unglaublich wortgewandt gibt uns Dimitrij Kapitelman einen kleinen Einblick in sein aktuelles Leben und schildert uns seine Erinnerungen an die Vergangenheit in einem kleinen Laden im wiedervereinigten Deutschland, den seine Eltern nach der Einreise eröffneten.


    Seine Wurzeln liegen in Kiew, doch seine neue Heimat befindet sich nun schon länger im Osten Deutschlands. Inzwischen muss er sich damit auseinandersetzen, zwischen zwei Fronten zu leben, denn seine Mutter ist auch nach dem Angriff auf die Ukraine nicht gegen den russischen Aggressor eingestellt und hat den Krieg in das Miteinander der kleinen Familie gebracht.


    Die Mutter schaut den lieben langen Tag russisches Fernsehen und ist der Propaganda erlegen. Sie ist so überzeugt von der Meinung Putins, dass sie sogar mit ihren Freunden bricht, die in der Ukraine geblieben sind. Der Sohn hingegen, kann seine ukrainische Herkunft nicht vergessen und will es auch nicht.

    Er hat eine ganz andere politische Meinung und versucht, der Mutter die Realität zu erklären, doch die ist völlig verbohrt und so wächst ganz langsam ein Riss zwischen beiden.


    Dimitrij sucht nach Erklärungen und sein Blick geht zurück zu den Anfängen ihres kleinen Ladens, den sie „Magazin“ tauften und den Kunden, die dort „russische Spezialitäten“ kauften, er geht aber auch in die Gegenwart und reist in die Ukraine, um die verloren gegangenen Freunde zu besuchen…


    Was hoch politisch ist, wird sehr charmant, humorvoll und interessant verpackt. Statt eines depressiven Rückblicks findet sich eine fast liebevolle Erinnerung an alte Zeiten in einem nicht immer ausländerfreundlichen Ostdeutschland. Und auch der Besuch in der Ukraine lässt den Autor nicht in Traurigkeit versinken, obwohl es viele Gründe dazu gäbe.


    Ich habe dieses Buch sehr gern gelesen. Der Wortwitz, die Sprachgewandtheit und der leise Humor verwandeln dieses ernste Thema in einen sehr lesenswerten Stoff.

  • Von Sprache, Familie und Krieg

    Wenn man als Kind in ein neues Land mit einer neuen Sprache kommt, dann droht buchstäblich das Entgleiten der Muttersprache. Denn selbst wenn die zu Hause gesprochen wird - Kinder können sprachliche Mimikrys sein. Und anders als für die Erwachsenen in der Familie "reift" ihre muttersprachliche Sozialisation nicht mit dem Erwachsenwerden häufig nicht mit, sondern behält eine gewisse Kindlichkeit, die später Befremdlichkeit auslöst, erneut ganz buchstäblich: Sie haben zwar eine Muttersprache, sind aber irgendwie fremd in hier. In "Russische Spezialitäten" von Dmitrij Kapitelman geht es stark um Sprache als Heimat und den Heimatverlust, der auch Sprachverlust sein kann. Ganz besonders wenn politische Entwicklungen die Identität erschüttern und innerhalb der Familie zerreißen:

    Der Erzähler, in Kiew geboren und im Grundschulalter nach Deutschland gekommen, und seine Familie waren russischsprachige Ukrainer. Der Krieg spaltet die Familie. So sehr die Mutter sich voller Zuneigung an Kiew erinnert, so gläubig lauscht sie nun den russischen Propagandasendungen, die sich auch an die russischsprachige Diaspora in Deutschland wenden. Ich-Erzähler Dmitrij (es bleibt offen, inwieweit die familiäre Zerrissenheit autobiografisch ist, wenn auch Erzähler Dmitrij und Autor Dmitrij vieles gemeinsam haben) fühlt sich solidarisch mit den Menschen in der Ukraine, die gegen die russische Aggression kämpfen. Und hadert plötzlich mit der Sprache, die er so liebt und die plötzlich die Sprache des Feindes ist:

    "Ich trage eine Sprache wie ein Verbrechen in mir und liebe sie doch, bei aller Schuld. Neben aus der Ukraine geflohenen Menschen stehe ich stumm wie ein Baumstumpf. Zumindest bis ich einige von ihnen ebenfalls Russisch sprechen höre."

    Die Zerrissenheit ist umso größer, da sich das ganze Leben der Familie auch beruflich in einem postsowjetischen Mikrokosmos in Leipzig bewegt, dem "Magazin", jenem Geschäft für russische/ukrainische/georgische usw Spezialitäten, das auch kulinarisches Heimweh bedient. In den Corona-Jahren ist Dmitrij hierhin zurückgekehrt als Manager, die alternden Eltern sollen so geschützt werden. Von den Pandemiejahren hat sich der Laden nie erholt, und auch das gesellschaftliche Klima tut ihm nicht gut, während eine gegen Migranten hetzende Partei immer mehr Zuspruch erhält.

    Kapitelman beschreibt, wie der Krieg Familien spaltet und Freundschaften zerstört, wie Dmitrij schließlich noch einmal in seine Geburtsstadt fährt, seinen Sandkastenfreund Rostik besucht, immer mit der Angst im Hinterkopf, er könnte trotz deutscher Staatsbürgerschaft an der Ausreise gehindert und in die Armee eingezogen werden. Die Schilderungen dieser Erfahrungen zwischen Raketenalarm und Zusammengehörigkeitsgefühl, Nostalgie und Trauer über die Zerstörungen sind besonders eindrucksvoll in diesem Buch, dass trotz schwerer Themen eine gewisse Leichtigkeit bewahrt. Das Verhältnis des Autors zu seinen Eltern - liebevoll, wütend, besorgt wird mit einer Prise Humor und viel Wärme gezeichnet. Ein Buch, das den Krieg und das, was er mit den Menschen macht, auch denjenigen näherbringen kann, die Nachrichtensendungen ignorieren.

  • Verwirrend


    Russische Spezialitäten, Roman von Dmitrij Kapitelmann, Ebook, Hanser-Verlag
    Bittersüß und zutiefst politisch.
    Eine ukrainische Familie eröffnet im Osten Deutschlands einen Laden mit russischen Spezialitäten. Der Sohn liebt auf der Welt nichts mehr als seine Mutter, die russische Sprache und Kiew, seine Geburtsstadt. Dann kam der Angriffskrieg der Russen in der Ukraine. Seine Mutter ist auf der Seite Putins, sieht russisches Fernsehen und ist komplett der russischen Propaganda verfallen. Das spaltet das Verhältnis von Mutter und Sohn. Während des Krieges, beschließt der Sohn eine Reise in die Ukraine zu machen.
    Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. Die einzelnen Kapitel tragen, eine den Inhalt zusammenfassende Überschrift. Lieder, Übersetzungen, Gedichte und Eigennamen sind kursiv hervorgehoben. Russische und ukrainische Texte beleben das Schriftbild. Ich hatte große Probleme mit den Wortschöpfungen des Autors, viele Begriffe sind mir unverständlich. Rotzenstraff, liebeslau, himmelsfühlen, unbeflehbar, hinterhistorisch, mit diesen Wortneuschöpfungen kann ich absolut nichts anfangen, keine Ahnung was der Autor damit aussagen will. So hat sich bei mir kein Lesefluss eingestellt, die Sprache ist eckig und kantig, ich habe mich mit der Lektüre schwergetan, das Buch immer wieder entmutigt aus der Hand gelegt, einige Abschnitte mehrmals lesen müssen.
    Der sowjetische Leim ist offensichtlich dicker als Blut, das hat die Mutter ihrem Sohn immer wieder deutlich zu verstehen gegeben. Der zynische Humor und die Situationskomik jedoch, haben mir gefallen, da gab es zwischendurch immer wieder lustige Szenen. Andere Szenen zum Beispiel, die Zigarettenfrau am Bahnhof von Grimma und die sprechenden toten Fische konnte ich jedoch nicht nachvollziehen. Obwohl das Buch überwiegend gelobt wird, konnte ich nichts damit anfangen, wir wurden keine Freunde.
    Die Abschnitte in denen Kapitelmann über seinen Aufenthalt in der Ukraine berichtet, haben mich betroffen gemacht. „Resignation“ würde ich diesen Abschnitt beschreiben. Das ist der stärkere, doch leider nur kurze 2. Teil. Die Figuren außer dem Protagonisten sind mir fremd geblieben. Die Mutter und ihr Wesen habe ich einfach nicht verstanden. Entweder ist sie die liebende Mutter oder sie unterstützt die russischen Mörder, beides geht für mich nicht. Als Dimitrij in bei einem Bombenangriff in einem ukrainischen Hotelbunker sitzt gibt sie ihm zu verstehen, er braucht keine Angst zu haben denn das russische Militär beschießt ausschließlich militärische Ziele. Der Vater dagegen konnte mein Interesse eher wecken, ihn mochte ich.
    Für mich sprachlich schwierig, in die Mentalität der Figuren und ihren Charakter, konnte ich mich nicht hineinversetzen, über die Zeit in der Ukraine hätte ich gerne mehr Schilderungen gehabt.