Leon Morell - Die Anatomie einer neuen Zeit

  • Kurzbeschreibung (Quelle: Verlagsseite)

    1540. Die kräuterkundige Verena von Pfäffikon soll als Hexe verbrannt werden. Doch bevor sie auf dem Scheiterhaufen stirbt, brennt das Dorf – Verena gelingt die Flucht. Drei beschwerliche Wochen später trifft sie – als Mann verkleidet und sich nun Johann nennend – in Padua ein. Im Sog einer Gruppe von Studenten gelangt sie ins anatomische Theater und wird Zeugin, wie der berühmte Anatom Andreas Vesal eine Obduktion ausführt. Doch noch während der Demonstration wird Vesal nach draußen zu einem sterbenden Studenten gerufen. So wie der Arzt erkennt Verena sofort, dass der junge Mann vergiftet wurde. Gemeinsam obduzieren sie die Leiche und finden sich in ihrem Verdacht bestätigt. Doch wer sollte einen Studenten vergiften? Und warum?


    Autor (Quelle: Verlagsseite)

    Leon Morell, Jahrgang 1967, studierte Musik- und Literaturwissenschaft, war Dozent für Kreatives Schreiben und ist seit 2012 Mitinhaber einer literarischen Buchhandlung in Berlin. Seine große Begeisterung gilt Italien und der italienischen Renaissance.


    Allgemeines

    Erschienen im dtv-Verlag am 13. Februar 2025 als HC mit 432 Seiten

    Gliederung: Roman in 70 Kapiteln – Leseprobe aus „Der sixtinische Himmel“

    Erzählung in der dritten Person aus der Perspektive der Verena von Pfäffikon

    Handlungsort und -zeit: größtenteils Padua, eine Woche im Sommer 1539


    Inhalt

    Die kräuterkundige Verena von Pfäffikon, deren Mutter bereits als Hexe verbrannt wurde, gerät ebenfalls ins Visier der Hexenjäger. Während sie in einer Zelle auf ihre Hinrichtung wartet, kommt es in ihrem Dorf und dem angrenzenden Wald zu einem Großbrand, in dessen Wirren ihr die Flucht gelingt. Um unauffällig zu sein, gibt sie sich fortan als Mann aus und nennt sich Johann Lederer. Einige Wochen später erreicht sie Padua, eine Stadt, die Freiheit verspricht; die dortige Universität soll relativ frei von Bevormundung durch die Katholische Kirche sein. Verena gibt vor, ein Student zu sein und gerät eher zufällig mit einigen Studenten, die sie zufällig kennengelernt hat, in eine Vorlesung des Anatomen Andreas Vesalius (1514 – 1564), der öffentliche Leichensektionen vornimmt und dafür berühmt, bzw. berüchtigt ist, seine Beobachtungen auch dann lautstark zu verkünden, wenn sie im Widerspruch zu der von der Kirche abgesegneten „offiziellen“ Lehre des Galenos steht.

    Während der Vorlesung stirbt direkt vor der Universität ein Student unter merkwürdigen Umständen.

    Sowohl Vesal als auch die kräuterkundige Verena gehen davon aus, dass der Student vergiftet wurde; in der Nacht brechen sie in den Schuppen ein, in dem der Leichnam gelagert ist und nehmen eine illegale Sektion vor. Ihr Bestreben während der nächsten Tage ist es, das Gift zu identifizieren, eine wirksame Therapie zu finden und herauszufinden, weshalb der Student und anschließend auch weitere Personen durch Gift getötet werden.


    Beurteilung

    Der Roman ist kein Krimi, bei dem ein Giftmörder zur Strecke gebracht werden soll. Vielmehr handelt es sich um einen historischen Roman, der die Verdienste von Andreas Vesalius, seines Zeichens Reformator der Anatomie würdigt. Mit seinem Lebenswerk, den sieben Büchern „De humani corporis fabrica“ („Über den Bau des menschlichen Körpers“), erhalten die Ärzte des 16. Jahrhunderts erstmals eine präzise Darstellung des Menschen, seiner Muskeln, Sehnen und des Skeletts. Für Vesal zählen nicht überkommene Vorstellungen eines antiken Arztes, der offensichtlich nur Tiere seziert hat, sondern nur seine eigenen Beobachtungen und die entsprechenden Schlussfolgerungen. Zusammen mit Verena, die er gleich als Frau erkannt hat, aber als seinen Assistenten Johann Lederer ausgibt, zieht er die Aufmerksamkeit und schließlich auch den Unwillen kirchlicher Würdenträger auf sich, die eigenständig Denkende als Dämonen und eine Gefahr für die Kirche halten.

    Vesalius wird, soweit man das nach anderen Quellen beurteilen kann, in seinem Charakter gut und lebensnah dargestellt, er ist intelligent, wissbegierig, selbstbewusst und auch etwas selbstverliebt. Im vorliegenden Roman tritt er als Sympathieträger auf. Auch die fiktive Verena ist eine kluge und zupackende Frau, als Leser ist man gern mit diesem tatkräftigen Gespann unterwegs. Die Dialoge zwischen den beiden muten allerdings gelegentlich etwas zu modern für das 16. Jahrhundert an.

    Im Roman treten weitere berühmte historische Persönlichkeiten der Zeit auf (Tizian, Jan van Kalkar, diverse Kirchenmänner und – indirekt - der Basler Drucker Oporinus). Hier wäre ein Personenverzeichnis zu diesen Persönlichkeiten wünschenswert gewesen und auch ein historisches Nachwort fehlt leider. Bei der Suche nach Mitteln zur Rettung der vergifteten Personen wird eine Maßnahme eingesetzt, die eher im 20. Jahrhundert verortet werden muss. Für den Laien ist es nicht ersichtlich, ob Vesalius tatsächlich der Vorreiter bei dieser Behandlung war.


    Fazit

    Ein farbenprächtiger und spannender Roman, der Andreas Vesalius ein würdiges Denkmal setzt, ein historisches Nachwort wäre noch eine wünschenswerte Ergänzung gewesen!

    8 Punkte



    ASIN/ISBN:

    ASIN/ISBN: 3423284358

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