Schmerz - Jón Atli Jónasson

  • Atmosphärisch spannender Islandkrimi mit besonderen Ermittlern

    4 Sterne


    Die Kriminalistin Dora hat bei einem früheren Einsatz eine Kugel in den Kopf bekommen und sich seitdem stark verändert. Ihr damaliger Partner und jetziger Vorgesetzter Elliði lässt sie seitdem nur Schreibtischarbeiten verrichten. Doch als während einer Schulexkursion im Thingvellir-Nationalpark ein Teenager verschwindet, sind Elliði und die meisten anderen Kollegen mit einer Razzia beschäftigt und dem Schichtleiter steht nur Dora zur Verfügung. Daher betraut er sie mit dem Vermisstenfall.


    Als Elliði das mitbekommt, stellt er ihr Rado zur Seite. Dieser ist ein guter Kriminalist und hat sich als Sohn serbischer Einwanderer bei der isländischen Polizei hochgearbeitet. Da er jedoch der Schwiegersohn des Mannes ist, dessen Unternehmungen die Razzia zu Fall bringen soll, kann er bei dieser nicht eingesetzt werden. Anfangs kann sich Rado eine Zusammenarbeit mit der auf ihn eigenartig wirkenden Dora nicht vorstellen. Schnell erkennt er jedoch, dass Dora Dinge bemerkt, die andere nicht sehen. Wird es ihnen gemeinsam gelingen, den vermissten Teenager zu finden?


    Geschrieben ist das Buch in der dritten Person, abwechselnd aus den Perspektiven verschiedener Protagonisten. Dank des flüssigen Schreibstils und der einfachen aber dennoch bildhaften Sprache, konnte ich diesen Islandkrimi gut und schnell lesen. Die Handlung verlief zwar eher gemächlich, aber durch die Perspektivwechsel und meine damit ständig wieder entfachte Neugier auf die Zusammenhänge sowie den weiteren Verlauf, stellte sich bei mir schnell eine atmosphärische Grundspannung ein.


    Die beiden Hauptfiguren wurden mir durch die vielen Einblicke in ihre Persönlichkeiten und ihr Privatleben sehr schnell sympathisch. Vor allem das sorgte dann auch dafür, dass ich leichte Längen und einige mir nicht wirklich realistisch erscheinende Situationen großzügig in Kauf nehmen konnte. Gerade in Bezug auf Dora trug mir der Autor doch ein bisschen zu dick auf. Sehr gut gefiel mir jedoch, dass in der Geschichte viele gesellschaftlich wichtige Themen behandelt wurden. Es gab einige für mich überraschende Wendungen. Obwohl die behandelten Fälle erst mal gelöst sind, gibt es am Schluss einen Cliffhanger.


    Der sorgte auch dafür, dass ich nun schon gespannt auf den am Ende des Buches für den Herbst angekündigten zweiten Teil der Reihe mit dem Titel Gift warte. Insgesamt hat mir dieser Krimi, trotz der erwähnten Kritikpunkte, sehr gut gefallen und ich gebe für Freunde atmosphärischer Islandkrimis gern eine Empfehlung mit.



    ASIN/ISBN: B0DK311S3M

  • Schauplatz Island – Kripo Reykjavik

    Teenager Gudbjörg alias Morgan ist im Thingvellir-Nationalpark verschwunden, im Wasser tauchen nur die Jacke und ein Schuh auf. Es handelt sich um einen historischen Ort, weil hier bereits 18 Frauen wegen Blutschande und Kindstötung ertränkt wurden. Aber was ist mit Morgan passiert?


    Aus Personalmangel werden die zwei Außenseiter Dora und Rado ausgewählt, in diesem Fall zu ermitteln. Sie müssen einspringen und ein Team bilden, um den vermißten Teenager zu finden. Die anderen Beamten sind mit einem groß angelegten Razziaeinsatz voll und ganz ausgelastet. Neben diesem Hauptstrang werden facettenreiche Nebenstränge eröffnet und es fließen gesellschaftskritische Themen wie z.B. Drogen, Kriminalität, Rassismus, Nonbinärität ein, so daß man als Leser gefordert ist, aber andererseits sehr gut mit rätseln kann, wie die Stränge zusammengehen könnten.


    Der Autor schreibt spannend. Ich konnte das Buch fast nicht aus der Hand legen, denn ich wollte wissen, wie was zusammenhängt und wie es ausgeht. Werden sie Morgan lebend finden?


    Diese neue Reihe startet mit zwei Außenseitern als Ermittler, die sich positiv von anderen Teams in diesem Genre abheben. Sie werden sehr gut charakterisiert. Zum einen lernt man Dora kennen. Sie wurde bei einem Einsatz durch einen Kopfschuß schwer verletzt , hat deshalb ein Glasauge, ständige Schmerzen, große Probleme in der Partnerschaft und mit der Psyche, sowie mit weiteren Nebenwirkungen zu kämpfen. Diese sind nicht nur negativ, sondern sie kann z.B. an einem Wochenende eine Fremdsprache lernen und hat auch oftmals einen anderen Blick auf den Fall. Seit ihrem Unfall war sie nur am Schreibtisch tätig und es ist ihr erster Fall im Außendienst. Zum anderen begegnet man Rado. Er hat serbische Eltern, ist mit der Polin Ewa verheiratet und durchlebt mit ihr gerade eine Ehekrise, hat einen 3jährigen Sohn. Er ist der Erste ohne isländische Wurzeln, der es im Polizeidienst so weit gebracht hat. Allerdings mußte er wegen der Razzia, die sich gegen Teile der Verwandtschaft richtet, aus der Schußlinie genommen und freigestellt werden. Den Fall können die beiden erfolgreich lösen. Interessant ist auch die Figur von Chef Ellidi, der sich schuld an der Verletzung von Dora gibt und sie schon alleine deshalb unterstützt. Teilweise war die Figur von Dora etwas zu überzogen, das störte mich in diesem Fall weniger, da es die Geschichte vorwärts brachte. Morgan selbst lernt der Leser am wenigsten kennen. Ich warte gespannt, wie der Autor diese Ermittler weiter entwickelt.


    Von mir bekommt dieser typische Nordic Noir eine Lesempfehlung!

  • Ein ungewöhnliches Ermittlerpaar

    Mit dem Titel "Schmerz" hat Jon Atli Jonasson schon einiges vorweggenommen, denn sein ungewöhnliches Ermittlerpaar bei der Polizei Reykjavik muss sich mit reichlich seelischem und körperlichen Schmerz auseinandersetzen. Als Team sind sie eine Art Schicksalsgemeinschaft - zusammengekommen, weil andere Probleme haben, mit ihnen zu arbeiten. Zwei Menschen, die einander zunächst sehr fremd sind und erst mit ihren ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten zueinander finden müssen.

    Da ist Dora: Ein Routineeinsatz endete tragisch, seitdem hat sie die Reste einer Kugel im Kopf und ist nicht mehr die, die sie einmal war. Eigentlich ein Fall für Frühpensionierung, doch ihr ehemaliger Partner, der inzwischen Karriere gemacht hat, hält sie im Polizeidienst - ohne Außeneinsätze, sie soll alte Fälle überprüfen, denn ihr fallen Dinge auf, die andere übersehen.

    Rado ist ganz anders: Sohn von Einwanderern aus Ex-Jugoslawien, dessen Familie während des Bürgerkriegs nach Island flüchten konnte. Er war in einer Spezialeinheit, doch plötzlich ist er außen vor: Ein Einsatz richtet sich ausgerechnet gegen seine polnische Schwiegerfamilie, die in Drogengeschäfte verwickelt ist. Plötzlich scheinen die Kollegen Rado nicht mehr zu trauen. Plötzlich darf er sich nicht mehr als Isländer fühlen.

    Ein Vermisstenfall bringt die beiden zusammen, eigentlich vor allem, weil niemand anders Zeit für den Fall hat. Plötzlich ist Dora wieder im Außendienst. Ein vermisster non-binärer Teenager, den alle anderen längst aufgegeben haben, lässt das ungleiche Team nicht ruhen. Vielleicht lebt Morgan ja doch, allen Statistiken zum Trotz. Bei ihren Ermittlungen stoßen Dora und Rado auf Fragen, die sie zu weiteren Untersuchungen jenseits des Vermisstenfalls führen - und merken zu spät, dass sie in ein Wespennest gestochen haben.

    Der Plot soll hier nicht vorweggenommen werden. Doch Jonasson zeichnet sehr sensibel und empathisch zwei Protagonisten, die teils gesellschaftlichen Erwartungen nicht entsprechen, teils plötzlich auf ihre Herkunft reduziert werden und sich mit solchen Zuschreibungen nicht abfinden wollen. Es ist auch ein Buch über den Kampf um Würde, um Solidarität und eine Freundschaft, die aus Bewährungsproben erwächst.