Ehrlich
Dieses ehrliche Buch, mit seinem trockenen Humor hat mich fasziniert. Und es nimmt den Schrecken vor dieser Diagnose, es hilft uns, den “Normalos” zu erkennen, was in einem Menschen mit Autismus vor sich geht. Wir lernen ihn besser zu verstehen und so zu akzeptieren, wie er ist. Bei der Lektüre musste ich öfters an Sheldon Cooper oder die Rosie-Projekte denken. Und ich habe versucht, mir vorzustellen, ein “Baby zu haben, das weint, wenn man es streichelt, ein Kleinkind, das einen finster anschaut, wenn man mit ihm spricht, und sich an den Armen kratzt, wenn man es berührt.” (S. 310)
Ich bedauere Fern Brady, die erst so spät diagnostiziert wurde, obwohl die Gelegenheiten gewesen wären, sie in der Kindheit schon zu bestimmen, ihre Andersartigkeit nicht als “verrückt, Spaßverderber, Extrawurst” oder dergleichen mehr abzustempeln. Es wäre ihr und ihrer Familie viel Kummer erspart geblieben, hätte sie mit den Therapien schon in der Kindheit beginnen können und nicht falsche Psychopharmaka von Ärzten ohne das richtige Fachwissen verschrieben bekommen.Fern Bradys Kindheit und Jugend muss ein Alptraum gewesen sein. In der Studienzeit weigern sich Ihre Eltern, sie finanziell zu unterstützen. Die staatliche Unterstützung von 80 Pfund im Monat reichen nicht. Allein die Miete beläuft sich auf 400 BP, Essen, Lehrbücher, Laptop, Kleidung, usw. kommen noch hinzu. Brady versucht sich mit Gelegenheitsjobs durchzuschlagen, aber wegen ihres Autismus eckt sie überall an, kann sie nie einen Job länger behalten.Sie wird zur Stripperin in diversen einschlägigen Bars und verdient nun genug Geld, um ein bescheidenes Auskommen zu haben. Nebenbei tritt sie als Stand-Up Comedian auf und hat auch Erfolg, nicht zuletzt dank ihres schottischen Akzents.Das Buch schließt mit einer positiv-wehmütigen Note. Fern Brady hat gelernt, mit ihrem Autismus zu leben, kann Meltdowns, die jetzt seltener kommen, besser wegstecken, kann über ihre Andersartigkeit reden. Aber sie ist sich auch bewusst, sie wird nie bleibende Freundschaften schließen können. Mit den Wechseljahren und deren hormonellen Schwankungen wird sie zusätzlich zu kämpfen haben, mit den Problemen des Älterwerdens und das zukünftige Altersheim in dem sie wie in der Schule ausgegrenzt sein wird, das alles weiß Brady und bereitet sich darauf vor.
Ich fand den letzten Abschnitt des Buches bezaubernd: Brady schrieb das Buch “in der Hoffnung, dass ihr [wir, die Leser] mit diesem Wissen die Welt des nächsten autistischen oder unangepassten Mädchens, auf das ihr trefft, besser macht. Dass all dies zu winzigen, schrittweisen Veränderungen führen wird, ist das Einzige, was ich sicher weiß. (S. 313)