Gerhard Henschel: Jugendroman

  • Manchmal ist es ein bisschen langweilig, über eine Brücke zu gehen


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    Zwischen 2004 und 2024 hat der großartige Gerhard Henschel, den man allein für seine Auseinandersetzung mit der „BILD“ und Kai Diekmann verehren müsste, (neben vielem anderen) insgesamt elf Romane über Martin Schlosser geschrieben, jenen nicht immer einfachen Jungen (später: Mann) aus vergleichsweise einfachen Verhältnissen. Die Reihe beginnt mit dem faszinierenden „Kindheitsroman“, der eine schier unlösbare Aufgabe völlig hinreißend löst, nämlich eine Epoche aus der Perspektive eines Kindes wiederzugeben. Dem „Jugendroman“ folgt dann der „Liebesroman“; natürlich der nächste auf meiner Liste.


    „Jugendroman“ zeigt Martin Schlosser als plusminus Vierzehnjährigen, in der Mitte der Siebzigerjahre. Die Schlossers sind aus dem Rheintal nach Meppen umgezogen, wo Martin nun ohne Freunde ist, auf eine neue Schule gehen muss und sich in einer Bewusstwerdungsphase befindet. Er beginnt, sich für Frauen und für Politik zu interessieren, ist nach wie vor glühender Fan der Borussia Mönchengladbach, die seinerzeit mehrfach deutscher Meister war, gibt aber nach und nach die eigene Fußballkarriere auf. Ansonsten erzählt „Jugendroman“ vom Dasein einer durchschnittlichen deutschen Familie in den Siebzigern, von Familienfesten, Anschaffungen, internen Auseinandersetzungen, Ausflügen und gemeinsamen Erlebnissen. Martin hält per Brief Kontakt mit den Freunden aus Vallendar, doch natürlich bröckelt auch das mit der Zeit.


    Eine Dramaturgie oder Dramatik hat diese Erzählung nicht, eher tagebuchartig und aus der Perspektive von Martin werden kleine Berichte, Kommentare, Zusammenfassungen von Fernsehsendungen oder politischen Ereignissen, die Briefe der Freunde, episodische Erzählungen und auch Martins Gedanken chronologisch aneinandergereiht, wodurch man einen sehr, sehr authentischen Eindruck bekommt, und, insofern altersmäßig passend, an die eigene Jugend erinnert wird. Im Subtext wird natürlich ordentlich kommentiert, und es wird dem jungen Martin einiges an vieldeutigen Kommentaren in den Mund gelegt.


    Das liest sich klasse und macht Spaß, jedenfalls überwiegend, weil es hier und da leider ganz schön durchhängt, denn unterm Strich passiert in diesem Buch überhaupt nichts, und das wird dann durch die Erwähnung vergessen geglaubter Fußballstars oder Fernsehsendungen auch nicht wettgemacht. Martin wird einfach ein bisschen älter und verändert sich (na gut, mehr als) ein bisschen. Es ist großartig, wie das dargeboten wird, ist aber nach meinem Gefühl ein wenig zu lang geraten. Immerhin gibt es am Ende einen Cliffhanger als Überleitung zum nächsten Martin-Schlosser-Roman, zu dem dieser in der Hauptsache eine Brücke baut, von einer Episode des Menschseins erzählend, in der man hauptsächlich nach Orientierung sucht und am Ende, fast ein bisschen überraschend, die eigene Persönlichkeit findet.

    Ein tolles Stück Literatur, keine Frage, aber wahrlich kein Pageturner.


    ASIN/ISBN: 3455006728