Der 21. Dezember von Johanna
Die Mädchen, der Weihnachtsmann und wilde Tiere
Juliana hockte im Schneidersitz auf dem Sofa, ihr Handy in der Hand.
Seltsamerweise sah sie gar nicht darauf, was äußerst ungewöhnlich war, sondern starrte aus dem Fenster. Der vor ihr stehende Kakao wurde langsam ebenso kalt, wie es draußen wirkte.
Mathilde, die vor ihr auf dem Teppich saß, an ihrem Kakao schlürfte und bis eben in ihr Rätselheft vertieft gewesen war – sie liebte Rätsel – guckte sie erstaunt an und meinte: „Was ist denn mit Dir los, Du siehst so traurig aus. Ist das Handy kaputt?“
„Was?“ tauchte Juliana aus ihrer Versunkenheit auf. „Ach ne, ich bin nur wütend und enttäuscht von den blöden Politikern.
Da freue ich mich schon so lange darauf, bald endlich wählen zu können und dann bringen die mich einfach um meine Wahl, weil die sich schlimmer verhalten, als ihr in eurem Kindergarten.“ Sie blickte auf Marianne.
Diese ganz empört: „Wir sind nicht schlimm, sondern lieb und klug.“
„Eben“ sagte Juliana: „ Ihr benehmt euch vernünftiger und lernt es, Euch zu streiten und dann auch wieder zu versöhnen und weiterzuspielen.
Die „gnädigen“ Damen und Herren Politiker sind genau dazu nicht in der Lage, geben einfach auf, ziehen die Wahl vor und dann noch so bescheuert, daß die dann eben knapp vor meinem 18. Geburtstag stattfindet und ich nun doch nicht mit wählen kann.“
Madita tröstete sie: „Wenn die alle so blöd sind, freu Dich doch, bei diesem Affenzirkus nicht mitmachen zu müssen. Dafür darfst Du heute wählen was wir spielen wollen, als kleiner Trost.“
Juliana lächelte ihre kleine Schwester an „ Du hast ja recht, laßt uns jetzt kurz vor Weihnachten nicht an so ärgerliche Dinge denken. Lieber überlegen wir uns, was wir jetzt machen und ob wir dieses Jahr hoffentlich den Weihnachtsmann treffen und mit ihm wieder viel Spaß haben werden.“
Plötzlich sah Madita erschrocken in den Garten, da sahen es die andern ebenfalls. Am Fenster tauchte das Gesicht eines Rentieres auf.
„Rudolph“, rief Marianne erfreut, „was machst Du denn hier?“
„Oh, oh, das kann nichts Gutes bedeuten.“ sprach Mathilde aus, was auch Juliana dachte.
„Mädels, zieht Euch warm an, wir müssen raus. Daß Rudolph hier alleine auftaucht, bedeutet bestimmt, daß der Weihnachtsmann in Gefahr ist“, raunte Juliana ihren Schwestern zu.
In Rekordzeit schlüpften die vier Mädchen in ihre Winterjacken, stürzten vor die Terrassentür und sahen Rudolph an.
Der drehte sich um, stapfte langsam durch den Schnee im Garten in Richtung Wald.
Im Schlepptau vier Mädchen, die ihm folgten.
Ein Stück weiter in „ihrem“ Wald, wie sie ihn nannten, entdeckten sie den Weihnachtsmann neben seinem Schlitten liegend auf dem Boden, das eine Bein seltsam abgewinkelt.
„Wie gut, daß mein lieber Rudolph Euch gefunden hat“, stöhnte der Weihnachtsmann: „Ich glaube, mein Bein ist gebrochen.“
„Oh nein, Weihnachtsmann, wie konnte das denn passieren?“ fragte Marianne entsetzt, die sich sofort neben ihn setzte und ihm vorsichtig über den Kopf strich.
„Tja, liebe Marianne, nun hast Du doch noch recht bekommen. Weißt Du noch, wovor Du früher immer Angst im Wald hattest?“
„Vor Wildschweinen“ platzte Mathilde heraus. „Aber hier gibt es doch gar keine.“
„Jetzt schon.“ Sagte der Weihnachtsmann. „Da brach völlig unerwartet eins aus dem Gebüsch hervor, als ich kurz vom Schlitten gestiegen bin um..., na Ihr wißt schon.
Ich hörte es rascheln und knistern, drehte mich um und schon stürmte die Wildsau auf mich zu, stieß mich um und rammte mich am Bein.
Zum Glück schrie Rudolph laut auf, daß das Schwein von mir ließ.
Da ich hier direkt bei Euch um die Ecke war, habe ich schnell mein Rentier losgeschickt, Euch zur Hilfe zu holen.“
„Wie kann das denn nur passieren, ich dachte, Du bist gegen so etwas immun? Das muß ja ein echt gemeines Wildschwein gewesen sein.“ Sagte Madita fassungslos.
Pragmatisch, wie sie war, warf Juliana ein: „Du mußt ins Krankenhaus, das muß geröntgt und geschient werden.
Mal sehen, wie wir Dich dort hinbekommen.“
Sie konstruierten aus Ästen und Zweigen eine Art provisorische Trage, die sie dank Julianas Pfadfindererfahrungen ratz fatz fertigstellten, hievten den Weihnachtsmann vorsichtig erst auf Diese, dann anschließend mit viel Kraftanstrengung auf den Schlitten.
Und ab ging es ins Krankenhaus.
Als sie so auf dem Schlitten vorfuhren, staunte die Belegschaft der Notaufnahme nicht schlecht, zum Glück lag Schnee, daß es nicht ganz so seltsam anmutete.
Der Weihnachtsmann kam auf eine Trage und sofort wurde er hinein gefahren und versorgt.
„Wie lieb von Euch, daß Ihr Euren Großvater hergebracht habt, nun müßt Ihr noch ein wenig warten, er wird gut versorgt werden.“
Madita, ehrlich wie immer, meinte: „Das ist nicht unser Großvater, das ist doch der Weihnachtsmann.“
„Aha, alles klar“, schmunzelte die Krankenschwester mit einem nachsichtigen Gesichtsausdruck. Sie glaubte natürlich nicht an die Worte der Kinder.
Eine Stunde später durften sie ins Zimmer. Den Weihnachtsmann zierte ein prächtiger Gips um sein Bein.
„Geht es Dir besser?“ fragten die Vier.
„Oh ja, dank Eurer schnellen Hilfe gab es keine Komplikationen, es mußte nichts operiert werden, zum Glück war es ein glatter Bruch.“ Lächelte der Weihnachtsmann schon wieder.
„Allerdings bekomme ich jetzt ein Problem mit der rechtzeitigen Auslieferung der Geschenke für die Kinder. Den Schlitten kann ich notfalls auch mit Gipsbein führen, nur mit der Kaminkletterei könnte es schwierig werden.“
„Das ist das geringste Problem, da helfen wir Dir natürlich. Hauptsache, es geht Dir besser.“ Erklärte Juliana.
„Würdet Ihr das machen? Das ist ja wunderbar. Auf Euch kann ich mich immer verlassen. Ich sehe zu, daß ich hier morgen rauskomme, da muß ich mir noch etwas überlegen. Aber das schaffe ich schon.“ Meinte der Weihnachtsmann, während er sich gedankenverloren über seinen Bart strich.
„Die halten Dich hier für unseren Opa und glauben nicht, daß Du der Weihnachtsmann bist.“ Sagte Marianne kläglich. „So schnell lassen die Dich bestimmt nicht gehen.“
„Laßt mich nur machen, Mädels, das bekomme ich schon hin, wenn ich eine Nacht gut schlafen kann.“ Antwortete der Weihnachtsmann.
Am nächsten Morgen - Rudolph durfte eine ruhige Nacht im Garten der Mädchen , wo er sehr verwöhnt wurde, verbringen – fuhren sie alle gemeinsam den Weihnachtsmann abholen.
Sie wunderten sich, daß das problemlos möglich war. Ebenso über die heute alle sehr fröhlich und freundlich wirkenden Ärzte und Schwestern, die alle ihren Freund herzlich mit seinem Gehgips verabschiedeten und ihm noch mitgaben, sich zu schonen und Anstrengungen zu vermeiden.
Dann ging es auch schon los. Geschenke aufladen und an die richtigen Adressaten verteilen, Kamine sichten, klettern, wieder hochsteigen, auf den Schlitten hüpfen.
Die Mädels machten sich durchaus gut, so als Kaminkletterinnen.
Nach getaner Arbeit wollten die vier Mädchen gerne noch eine Extrarunde mit dem Schlitten fahren, da er jetzt leichter und flotter unterwegs war.
Als sie über ihren Wald flogen, kurz über den Baumwipfeln, passierte das Malheur.
Eine plötzliche Windbö brachte den Schlitten zum Schlingern und Marianne, die gerade vor Freude etwas herum hüpfte, kullerte über den Rand und plumpste vom Schlitten.
Madita schrie auf, versuchte noch, nach Marianne zu greifen.
Der Weihnachtsmann leitete sofort eine Rettungsmaßnahme ein, schoß mit dem Schlitten nach unten, um so das Mädchen noch mit dem Schlitten aufzufangen.
Marianne aber, die ja wie bekannt, immer und überall herum kletterte, war in einer hohen Tanne hängengeblieben und rutschte und kletterte langsam abwärts.
Kaum war sie am Boden, landete auch schon der Schlitten neben ihr.
Die Passagiere wollten schon aussteigen, da sahen sie, daß Marianne stocksteif stehenblieb, sich nicht rührte.
Da bemerkten es auch die anderen. Etwa 50 Meter entfernt stand das fiese Wildschwein und machte sich zum Angriff bereit.
Juliana hielt Rudolph fest, der sich dem Schwarzkittel entgegenstellen wollte, aber natürlich keine Chance gegen ein wildgewordenes Wildschwein hatte und band die Zügel fest an den Schlitten.
Mathilde und Madita reagierten intuitiv. Bevor noch das Schwein losrennen konnte, sprangen sie vom Schlitten, machten sich bereit und stellten sich in Position.
Wie gut, daß sie gerade erst vor ein paar Tagen ihre letzte Karateprüfung absolviert hatten und mental noch so richtig im Kampfmodus waren.
Das Wildschwein guckte zwar etwas verwirrt, stürmte dann aber auch schon los.
In dem Moment schnappte sich Juliana Marianne und sprang mit ihr auf den Schilitten.
Die Wildsau raste auf Mathilde und Madita zu, kam bei den beiden an und sah sich dann unversehens mit etlichen Schlägen, Stößen und Tritten konfrontiert.
Schlag auf Schlag ging es, die beiden Mädchen wirbelten herum und teilten aus.
Kurze Zeit später lag das Wildschwein reglos im Schnee.
„Cool“ krächzte Marianne aus dem Schlitten, die sich, jetzt in Sicherheit, schnell wieder von ihrem Schrecken erholt hatte.
Frech, wie gewohnt, fragte sie: „ Gibt’s jetzt Wildschweinbraten zu Weihnachten?“
Dank der langsam abebbenden Anspannung mußten alle befreit lachen.
Da regte sich plötzlich das Wildschwein, blinzelte böse: „Ihr spinnt doch wohl, mich essen zu wollen. Mit Euch will ich nix mehr zu tun haben, ich wandere aus.“
Sprach es, stand auf, schüttelte sich und flitzte in den Wald.
Perplex starrten die vier Mädchen auf die jetzt leere Stelle.
Konsterniert meinte Madita: „Daß Bären sprechen können, wissen wir ja mittlerweile, aber Wildschweine?“
„Ok“, vermeldete Mathilde lakonisch. „Dann also wieder Würstchen mit Kartoffelsalat.“