'Jenseits der Ngong Berge' - Seiten 001 - 104

  • Grundsätzlich finde ich es aber auch nicht schlimm, dass wir manche Bücher nicht mehr lesen oder weitergeben wollen. Wir lesen ja auch eher selten Romane aus dem Mittelalter. Über manche Dinge geht die Zeit einfach hinweg. Das Frauenbild von Berte Bratt zum Beispiel ist streckenweise so antiquiert, dass ich nicht gewusst hätte, warum ich meinen Töchtern diese Bücher hätte geben sollen, da es doch viel bessere gibt, die sie dazu ermutigen, selbständig zu werden.

    Finde ich gut mit dem Sensitivity Reader. :thumbup:


    Das Thema ist ja gerade auch bei Kinderbüchern wie Pippi Langstrumpf ein heikles und oft diskutiertes. Es ist halt auch eine Gratwanderung: wie sehr soll/darf man in das Werk eines Autoren eingreifen, um heikle Formulierungen zeitgemäßer zu gestalten? Ich denke, die meisten Autoren, die damals das N-Wort und anderes (Stereotypen, Vorurteile etc.) verwendet haben, waren genauso Kinder ihrer Zeit und würden ihre Bücher heute anders formulieren.


    Behutsame Wortersetzungen finde ich OK, ansonsten könnte ich damit auch gut klarkommen, wenn entsprechende Bücher ein einordnendes Vorwort bekommen, um die Sensibilität des Lesers zu wecken, dass zu der Zeit, als das Buch geschrieben wurde, noch andere Wertvorstellungen herrschten.


    Ein Buch, das heute hingegen über diese Zeit geschrieben wird, sollte möglichst auf derlei Vokabular verzichten - daher finde ich auch den Sensitivity Reader gut. Bisher konnte ich bei der Lektüre des Buches die Sitten und Gebräuche der damaligen Zeit gut nachempfinden, auch ohne dass z.B. das N-Wort verwendet wurde. :thumbup:


    Interessant auch der Gedanke, dass manche Bücher nicht mehr weitergegeben werden. Darüber habe ich mir bisher eher wenig Gedanken gemacht. Aber ja, viele Bücher sind Kinder ihrer Zeit und geraten irgendwann in Vergessenheit. Manche davon durchaus zu Recht.


    Was Berte Bratt angeht :grin gestehe ich, dass ich diese in meiner Jugend durchaus gerne gelesen habe. Allerdings habe ich mich bereits mit 12, 13 über das Frauenbild herrlich amüsiert und mir gedacht, dass sich da zum Glück viel geändert hat. Also, als Beispiel habe ich mir sowas nicht genommen. :grin

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Zitat

    Das Frauenbild von Berte Bratt zum Beispiel ist streckenweise so antiquiert, dass ich nicht gewusst hätte, warum ich meinen Töchtern diese Bücher hätte geben sollen, da es doch viel bessere gibt, die sie dazu ermutigen, selbständig zu werden.

    Zu Berte Bratt muss ich, liebe Maren, natürlich etwas schreiben. Du hast es nicht geahnt, ich bin Mitglied im Berte-Bratt-Forum und wir haben uns über die letzten 20 Jahre auch immer wieder mit ihr und ihrem Werk auseinander gesetzt. Ihre Bücher wurden und werden weiter geliebt (es gibt regelm. neue Forenmitglieder), weil sie neben Werten auch u.a. viele weibliche Protagonistinnen zu selbstständigen und berufstätigen Frauen geschrieben hat. Sie hat ab 1933 bis 1981 Bücher geschrieben. Unbestritten schüttelt man über einiges den Kopf, frühe Hochzeiten und der männl. Versorger, aber eben auch studierende Hauptfiguren gibt es. Bildung von Frauen war ihr wichtig: "Es ist besser etwas zu haben, was man nicht braucht, als etwas zu benötigen, was man nicht gelernt hat."

    2013 zum großen Schneider-Verlagsjubiläum wurde der Sammelband: Anne, das Mädchen vom Möwenfjord Jubiläumsausgabe (Schneiderbuch Egmont März 2013) zuletzt neu veröffentlicht.

    ASIN/ISBN: 3505132527


    Berte Bratt war große Afrikafreundin. So habe ich während Deines Romans auch an BB gedacht, der Tierschutz sehr wichtig war. Ihre Romane haben manche Forenmitglieder angesteckt, mit dem Buch im Gepäck, zu reisen.


    Im WS 2019 gab es übrigens an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen das Seminar„Trotzkopf wird Ärztin“! – Medizinstudium im Mädchenbuch 1906–1970.

    Behandelte Mädchenbücher u.a. Emmy Rhoden: Der Trotzkopf (1889); Else Ury: Studierte Mädel (1906); Lisa Heiss: Auf Wiedersehen in Tübingen (1942); Emma Gündel: Elkes neues Leben (1938); Berte Bratt: Umwege zum Glück (1971); Martha Schlinkert: Heike erobert das Leben (1973); Berte Bratt: Nur ein Jahr, Jessica! (1973)

    Zitat

    Im Mädchenbuch „Studierte Mädel“ von 1906 beschließen zwei Freundinnen aus bürgerlichem Hause, dass sie Ärztinnen werden wollen. Das Buch beschreibt ihre Bemühungen um Abitur und Staatsexamen gespickt mit allerhand humoristischen Einlagen und romantischen Verwicklungen – zu einem Zeitpunkt, in dem es in Deutschland noch kaum Mädchengymnasien gab und erst wenige Universitäten Frauen zum Studium zuließen: Reichsweit durften sich Frauen erst ab 1909 immatrikulieren. Dieses Buch nahm also unbestreitbar eine Vorreiterrolle ein und mag so manche Leserin zum Medizinstudium ermuntert haben. Gleiches gilt auch für Mädchenbücher der folgenden Jahrzehnte, deren Protagonistinnen ein Medizinstudium unternahmen. Aus unserer heutigen Sicht stellt solche Unterhaltungsliteratur eine hervorragende Quelle dar, um das sich wandelnde Frauenbild vom „Heimchen am Herd“ bis zur leitenden Oberärztin im 20. Jahrhundert nachzuzeichnen und die Geschichte des Frauenstudiums zu illustrieren. Gleichzeitig ermöglicht sie die Frage nach der prinzipiellen Bedeutung von jugendlichen Leseerfahrungen für die spätere Berufswahl.

    Inhalte

    Das Seminar beschäftigt sich mit Mädchenbüchern von 1906 bis ca. 1970, liest typische Vertreter in Ausschnitten und ordnet sie in den historischen Kontext ihrer Entstehungszeit ein (Anfänge Frauenstudium, Nationalsozialismus, Nachkriegszeit, Aufbruch um 1970). Besonderes Augenmerk liegt auf der gemeinsamen Diskussion der gelesenen Mädchenbücher in der Gruppe. Alle Studentinnen und Studenten, die gerne lesen, sind willkommen (auch ohne einen Schein zu machen)!

    Wie gern wäre ich bei der Vorlesung dabei gewesen.

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Gucci ()

  • Liebe Batcat, wie spannend ist diese Geschichte mit Berte Bratt. Ja, sie sprengt vielleicht den Rahmen, aber morgen will ich doch kurz etwas dazu sagen, warum ich sie heute erwähnte.

    Liebe Eulen, bin gerade mit ach und Krach (die BAhn...) im Hotel angekommen und muss sofort los zur Blixen-Lesung, das wird spät, dann morgen früh gleich die Schülerinnen und Schüler, denen ich von Sophie Scholl erzähle, ich melde mich dann spätestens wieder aus dem Zug, danke für Eure tollen Beobachtungen und Gedanken, ich bin ganz beglückt über den Austausch mit Euch.

    Viele Grüße von Maren

  • Ich wünsche Dir einen ganz tollen und beglückenden Lesungsabend und morgen einen tollen Austausch zu Sophie Scholl. Ich wäre gern dabei - zwei tolle Figuren.


    Also, genieß die persönlichen Begegnungen.

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)

  • Gucci

    Warum wußte ich nur, dass Du bei Berte Bratt gleich einspringst? :lache

    Ich auch :-) Wobei ich Berte Bratt auch gerne gelesen habe. Einfach auch deshalb, weil es nicht nur Schulgeschichten waren wie Dolly oder Hanni und Nanni.

    Zwei Briefe für Britta habe ich geliebt....

  • Gucci

    Warum wußte ich nur, dass Du bei Berte Bratt gleich einspringst? :lache

    Ich glaube, das ist meine Pflicht. Wie hätte ich mich ohne Berte Bratt Forum als Leserin entwickelt? Wobei ich natürlich nie gedacht hätte, was sich aus meiner Anmeldung vor 20 Jahren entwickeln kann. Ich finde immer noch bemerkenswert, was andere Unbekanntes noch aufstöbern, dass ich unbekannte Texte von Sprachbegabten übersetzt bekomme und dass durch wirklich sehr gut geschriebene Fortsetzungsgeschichten die Familien der Protagonisten in unserem Zeitalter angekommen sind. Dass eine Gelegenheit hatte mit ihrer langjährigen Freundin und Mitbewohnerin zu telefonieren. Die Detektivarbeit bereitet Freude.

    Und, weil ein Kern an Mitgliedern sich so gut kennt, dass wir vieles miteinander teilen und Anteil genommen haben. So ist eine Verbundenheit entstanden und wir wissen, diese verrückten Internetfreundschaften können zu etwas Besonderem werden. In einer Woche flattern Büchereulen ganz aufgeregt in der Republik umher... ihr Ziel das Herbsteulentreffen.


    Ist es nicht schön, dass Berte Bratts Grab 34 Jahre nach ihrem Tod noch besucht wird, es seit drei Jahren eine Gedenktafel gibt. https://www.kiel.de/de/kiel_zu…che_stadtmarkierungen.php


    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Gucci () aus folgendem Grund: Text der Gedenktafel ergänzt ☺️

  • Ich muss gestehen, dass ich manchmal nicht genau weiß, wo ich mich in diesem Eulennest befinde und ob ich an der richtigen Stelle auf die richtigen Fragen antworte...


    Zu Berte Bratt: Ich habe als Jugendliche wohl so ziemlich alles von ihr gelesen, meine Freundin hatte alle Bücher von ihr, ich seltsamerweise nie eines. Ich habe die drei Bücher über "Anne" geliebt und auch "Bleib bei uns Beate" (das kann ich heute fast noch auswendig) und viele andere Bücher. Anders als Hanni und Nanni hat mich die Welt von Berte Bratt schon viel mehr beeinflussst und ich habe das später kritisch gesehen. Aber das ist ein ganz anderes Thema und ich hätte große Lust, mich einmal näher damit zu beschäftigen um noch mehr zu verstehen, woher manche der Vorstellungen über das Leben kamen, mit denen ich mich herumgeplagt habe. Auf jeden Fall möchte ich die Erzählkunst von Berte Bratt nicht hinterfragen, diese Bücher habe ich verschlungen.

  • Das ist ein interessanter Punkt, der mit den "verstaubten Dingen." Wusstet Ihr, dass ich einen Sensitivity-Reader hatte?

    Das finde ich ja sehr interessant, vielen Dank für die Info:). Bis vor kurzem wusste ich noch gar nicht, dass es so etwas wie "Sensitivity Reader" überhaupt gibt. Dann habe ich in einem Podcast ein Interview mit der Autorin Lena Hach gehört und sie hat erklärt, dass sie für ihre Bücher immer einen Sensitivity Reader einsetzt und ich habe da erst mal näher von diesem Beruf erfahren und finde es gut, dass es in der heutigen Zeit so eine Hilfe für die Autoren gibt.

  • Ich finde es auch gut, wenn bei solchen Themen jemand mit einem speziell geschulten Auge drüber guckt.


    Das habe ich nämlich auch bei Mr Bat gestern erwähnt: dass ich es wirklich klasse finde, dass in diesem Buch die Kolonialzeit überaus lebendig wird, OHNE dass das N-Wort und ähnliches verwendet wird.


    Was ich auch gut finde, was jetzt allerdings gar nix mit der LR zu tun hat (aber im weitesten Sinne mit dem Sensitivity Reader :lache): heutzutage gibt es auch spezielle Coaches für Sexszenen bei Filmen. Die klopfen mit den Schauspielern ab, was sich für die Darsteller noch "gut" machbar anfühlt und arbeiten dann raus, wie die Szenen gedreht werden. Da funktioniert eine Unmenge mit Polstern, Body Doubles, geschickter Ausleuchtung, raffinierter Filmschnitt, Kamerwinkel etc. Auch über Berührungen wird diskutiert, was okay für die Darsteller*innen ist und was nicht. Ich finde das gut und wichtig, denn auch die Darsteller müssen sich bei solchen Szenen gut und vor allem auch safe fühlen.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)