'Diese eine Entscheidung' - Seiten 001 - 092

  • Ich habe schon angefangen, und das ist echt harte Kost! Das war mich klar, aber schwer zu ertragen ist es trotzdem. Erstaunlich finde ich, wie gut und flüssig sich das Buch bisher trotz allem liest. Rein sprachlich gefällt es mir.

  • Ich versuche es mal, was sich nicht einfach gestaltet, denn das Buch erschlägt mich.

    Ich etappe mich dabei, dass ich mir wünsche, es ginge in diesem Roman nur um eine Frau, die in ihrer Ehe gefangen ist, an der sie aber, obwohl unglücklich und mit einem Gefühl der Leere, trotz allem festhält, und ihrer Affäre mit einem Kollegen, der ihr nicht gut tut, sie aber in Flammen aufgehen lässt. Das würde mir genügen.

    Statt dessen ist da eine Richterin, die sich in ständiger Gefahr befindet, bedroht wird, die Bilder in ihrem Kopf nicht loswerden kann. Sie versucht offen zu bleiben, zu hinterfragen, zu verstehen, und muss sich doch im Stillen ihr Scheitern eingestehen.

    Fanatismus, Terror und fanatischer Idealismus greifen mich an beim Lesen. Trotzdem liest man wie in einem Strom gefangen. Jedenfalls geht es mir so.

  • Mir geht es ähnlich, allerdings berührt mich die berufliche Seite sehr viel mehr als die gescheiterte Ehe.

    Da frage ich mich, wie man tagtäglich diesen Hass und Fanatismus ertragen kann, ohne völlig abzustumpfen.

    Almas Ringen um Gerechtigkeit wird sehr eindringlich beschrieben.

    Ich weiß, was du meinst, aber ich habe das Gefühl, dass ich mit jeder Zeile darauf warte, dass es zu einer Katastrophe kommt, dass Alma den falschen freigelassen hat, dass ihre Kinder ins Kreuzfeuer geraten, dass sie nicht mehr nur im Fadenkreuz steht, sondern angegriffen wird.

    Ich kann das grad nicht...

  • Die Szene, in der sie mit den Eltern eines getöteten Kindes spricht, finde ich schwer auszuhalten. Was immer sie tut und sagt, es kann nur falsch sein.

    So ist ihr ganzer Job.

    Ja, das ist so eine Szene, und so ist ihr ganzer Arbeitsalltag. Ich kann das selbst beim Lesen schwer ertragen. Und alles wird in einem recht nüchternen Ton erzählt, was er eigentlich noch schlimmer macht.

  • Ich würde gerne mehr von der beruflichen Seite lesen. Die vielen Details vom Ehe- und Sexleben waren mir etwas zu viel. Noch hat für mich das Buch gar nicht angefangen, ich weiß noch gar nicht, in welche Richtung es eigentlich geht.


    Die Gewalt- und Terrorbeschreibungen kann ich locker lesen, so etwas geht nicht so nah an mich ran. Anders wäre es mit expliziten Bildern und Videos. Ich hatte mir vor ca. zehn Jahren mal brutale Videos vom IS angeguckt; ebenso letztes Jahr Videos vom Hamasüberfall auf Israel. Diese hatte ich dann aber abgebrochen, einzelne Passagen habe ich aber immer noch vor Augen. Sowas brennt sich ein, deswegen wollte ich davon auch nicht zu viel sehen.

  • xexos stimmt, Bilder wirken noch anders.


    Bei Alma beeinflussen sich Privat-und Bierufsleben. Wie eigentlich bei allen Menschen.

    Nur ist es bei ihr intensiver als bei den meisten anderen.


    Clare Alma bemüht sich sehr, sich nüchtern und unbeeindruckt zu zeigen. Tatsächlich sieht es in ihr ganz anders aus.

    Und der Erzählton spiegelt das.


    Am Ende des Abschnitts, auf S. 83 gibt es den Halbsatz: "der Terror gebiert Ungeheuer im Kopf".

    Eine Erkenntnis, die mich selbst immer wieder beschäftigt, angesichts der Nachrichten in der Welt.


    Zudem muss ich dabei an Nietzsches "Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird." Denken.

  • Provokative Frage:

    Muss man von Verstümmelungen, von Attentaten, Enthauptungen, brutaler Gewalt in Kindheit und Gegenwart lesen, um es zu wissen? Muss man das ansehen, das aushalten, um verstehen und mitfühlen zu können? Ist man zu bequem in seiner Nische, wenn man sagt, dass man das grad nicht kann oder will? Was machen solche Bilder, solche Beschreibungen mit uns?


    Ich glaube nicht, dass man sich, wenn ich jetzt speziell auf Alma eingehe, von so viel Leid, Brutalität, Verzweiflung, Fanatismus je erholen kann. Mir ist klar, dass all das nicht verschwindet, wenn man die Augen schließt. Ist es Feigheit, sich ab einem bestimmten Punkt selbst zu schützen? Alma tut es nicht, scheint mir.


    Mich interessiert eure Meinung.

  • Clare das ist eine ganz wichtige Frage finde ich.

    Meiner Meinung nach muss man einen großen Unterschied machen, zwischen einer Privatperson und jemandem, der oder die sich beruflich mit Verbrechen, Gräueltaten usw auseinandersetzen muss.


    Ich als Privatmensch darf und sollte mir nur so viel zumuten, wie ich ertragen kann. Gerade vor Bildern im Fernsehen kann man sich schützen und muss das nicht ansehen. Einer der Gründe, warum ich kaum mehr Nachrichten oder aktuelle Dokus im Fernsehen anschaue.

    Ich höre aber Nachrichtensendungen, vor allem im Deutschlandfunk.


    Anders ist das mit Menschen, die berufliche ermitteln oder urteilen müssen. Da geht es um Einzelheiten, um die Identifizierung von Tätern, um ide Einordnung von Straftaten.

    Die dürfen nicht wegschauen.

    Auch wenn ich mir oft genug die Frage stelle, wie die wohl damit fertig werden und wer ihnen dabei hilft.

  • Die Antwort auf eure Fragen kann nur sehr individuell erfolgen, da jeder das anders verarbeitet und jeder auch eine andere Resilienz dafür hat. Mit Feigheit hat das aber nichts zu tun. Arbeitest Du nicht im Krankenhaus, Clare ? Auch die dortigen Bilder sind nicht für jeden etwas. Ich möchte zumindest nicht bei einer Operation zuschauen, vor allem nicht in einer Augenklinik.

    ... Unterschied ..., zwischen einer Privatperson und jemandem, der oder die sich beruflich ... auseinandersetzen muss.

    Ich als Privatmensch darf und sollte mir nur so viel zumuten, wie ich ertragen kann. (...)

    Anders ist das mit Menschen, die berufliche ermitteln oder urteilen müssen. (...)

    Die dürfen nicht wegschauen.

    Das sehe ich nicht so. Auch Profis müssen sich schützen. Sie bekommen im besten Fall eine regelmäßige Supervision. Anderenfalls sollten sie dringend den Job wechseln, wenn sie überfordert sind. Jeder darf sich nur soviel zumuten, wie er/sie ertragen kann. Das ist Selbstschutz und überlebenswichtig.


    Es gibt Einheiten, die gucken sich bspw. täglich beruflich Kinderpornographie an. Ich habe glaube ich mal gelesen, dass diese Menschen auch unter besonderer Betreuung stehen. Solche Bilder brennen sich wirklich im Gedächtnis ein und können Albträume verursachen. Ich denke, dass man das vorher gar nicht einschätzen kann, was diese permanente Beeinflussung mit einem selbst machen kann. Umgekehrt kann diese dauernde Beschäftigung auch abstumpfen. Wie eingangs geschrieben: Alles sehr individuell.

  • Rumpelstilzchen

    Danke für deine Antwort. Das treibt mich gerade beim Lesen dieses Buches um.

    Ich selber informiere mich fast ausschließlich übers Radio (Deutschlandfunk) und über die Tagesschau-App. Alles andere greift mich zu sehr an, weil ich Bilder schlecht wieder loswerde. Ich finde, dass jeder für sich, ohne die Augen zu verschließen, seinen Weg finden muss, je nachdem, was man ertragen kann. Nur so kann ich mich selbst schützen.

    Ich habe Hochachtung vor Menschen in Berufen, bei denen sie täglich mit Gewalt in den verschiedensten Schattierungen konfrontiert sind.

  • Annalena Baerbock war vor zwei Wochen bei Caren Miosga. Sie hatte in dem Interview gesagt, dass sie sich alle Videos vom 07.10.2023 in Israel angeguckt hat. Und das dürften andere Videos als die in den öffentlich zugänglichen Nachrichten sein. Sie wollte sich eher davor schützen, dass sie später durch gefälschte Videos beeinflusst wird. Sie meinte, dass sie sich das alles antun muss, schwer auszuhalten war das aber auch.

  • Provokative Frage:

    Muss man von Verstümmelungen, von Attentaten, Enthauptungen, brutaler Gewalt in Kindheit und Gegenwart lesen, um es zu wissen? Muss man das ansehen, das aushalten, um verstehen und mitfühlen zu können? Ist man zu bequem in seiner Nische, wenn man sagt, dass man das grad nicht kann oder will? Was machen solche Bilder, solche Beschreibungen mit uns?

    Bevor ich auf das Buch genauer eingehe, beschäftigt mich diese Frage, die ich für mich erst mal beantworten möchte. Aber etwas anders als vielleicht von dir gedacht.

    Ich habe gerade erst das Buch "Die Frauen jenseits des Flusses" gelesen. In dem geht es um Frauen, die als Krankenschwestern im Vietnamkrieg waren und danach zuhause mit Ablehnung und den eigenen posttraumatischen Belastungsstörungen zu kämpfen hatten. Also auch keine leichte Kost. Etwas die Hälfte des Buches spielte in Vietnam und gefühlt auf jeder zweiten Seiten waren Männer mit zerfetzten Körpern, abgetrennten Gliedmaßen, sterbende und tote Männer.


    Warum also lese ich solche Bücher? Warum lese ich Krimis, in denen Menschen Menschen auf die unterschiedlichsten Arten ins Jenseits befördern? Warum gucke ich Filme, in denen solches geschieht? Was treibt mich, so etwas zu lesen und/oder anzuschauen. Ja, könnte man jetzt sagen, das ist ja zum Großteil Fiktion (auch wenn viele dieser Bücher wie dieses und der Vorgänger auf Tatsachen beruhen). Und man könnte sagen, dass ich eben nicht, wie du Clare in einem Beruf bin, der mich real fordert und der mir reale Schicksale vor Augen führt. Brauche ich die Dosis also im Privatleben? Suche ich nach Unterhaltung, dem fehlenden Thrill?


    Ich versuche mich mal an einer Antwort: Mich schockiert, überrascht und beschäftigt, wie Menschen so etwas Menschen antun können. Wie Menschen ticken, wie Menschen sich radikalisieren, instrumentalisieren, in den Krieg treiben lassen. Das fängt an bei der Begeisterung, die Menschen im Mittelalter entwickelten, wenn es daran ging, einer Hinrichtung beizuwohnen. Neben vielfältigen anderen Gründen war es auch Sensationsgier und das Interesse, einem Mord beizuwohnen. Und die vielfältigen Attentate sind für die Täter im Endeffekt nichts anderes als das, was die amerikanischen Soldaten im Vietnamkrieg den Zivilisten antaten, wenn sie über ihnen Napalm abwarfen, ihre Dörfer dem Erdboden gleich machten und ausaussprechliches an der Zivilbevölkerung taten. Wie kann so etwas passieren? Was geht in den Menschen vor? Warum tun sie es, meinen es tun zu müssen? Was treibt sie an? Kann man etwas daraus lernen? Kann Strafe etwas bewirken? Etc.p.p. Ich denke, dass ist (neben anderen) der Grund dafür, warum ich solche Bücher "gerne" lese.


    Bei Büchern, die reale Geschehnisse eins zu eins widergeben, bin ich natürlich sehr angefasst und erschüttert. Letztes Beispiel "Feuer" von Ron Leshem. Ich muss das Buch immer wieder unterbrechen und bin auch noch nicht durch. Aber ich werde es fertig lesen. Ich finde es sehr wichtig für mich nicht wegzuschauen. Aber ich bin da auch wohl eher resilient. Da muss natürlich jeder sehr auf sich achten. Und die Bilder, so wie Xexos, habe ich mir nicht angeschaut. Alleine die Vorstellung, dass Angehörige gesehen haben, finde ich erschütternd. Das könnte ich nicht.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Ninni Schulman - Den Tod belauscht man nicht

    Hanna Caspian - Im Takt der Freiheit


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)