Wohnverwandtschaften – Isabel Bogdan

  • KIWI, 2024

    272 Seiten


    Kurzbeschreibung:

    Ein Roman über eine Wohngemeinschaft, in der vier Menschen unterschiedlichen Alters aus unterschiedlichen Motiven zusammenleben und feststellen: Freunde sind manchmal die bessere Familie.

    Constanze zieht nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten in die Wohngemeinschaft von Jörg, Anke und Murat. Was zunächst als Übergangslösung gedacht war, entpuppt sich als zunehmend stabil. Da ist Jörg, dem die Wohnung gehört und der eine große Reise plant; Anke, die als mittelalte Schauspielerin kaum noch gebucht wird und plötzlich nicht mehr die einzige Frau in der WG ist; und Murat, der sich einfach keine Sorgen machen will und dessen Lebenslust auf die anderen mitreißend und manchmal auch enervierend wirkt. Constanze sorgt als Neuankömmling dafür, dass sich die bisherige Tektonik gehörig verschiebt. Alle vier haben ihre eigenen Träume und Sehnsüchte und müssen sich irgendwann der Frage stellen, ob sie eine reine Zweck-WG sind oder doch die Wahlfamilie.

    In diesem virtuos komponierten, lebensklugen und humorvollen Roman kommen reihum vier grundverschiedene Menschen zu Wort, die jeweils auf ihre Weise ihre Lebensentwürfe neu justieren müssen.


    Über die Autorin:

    Isabel Bogdan, geboren 1968 in Köln, studierte Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokio. Sie verfasste zahlreiche Übersetzungen, u.a. von Jane Gardam, Nick Hornby und Jonathan Safran Foer. 2011 erschien ihr erstes eigenes Buch, »Sachen machen«, bei Rowohlt, außerdem schrieb sie Kurzgeschichten in Anthologien. 2006 erhielt sie den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzung und 2011 den für Literatur. 2016 erschien ihr Bestsellerroman »Der Pfau« und 2019 »Laufen«.


    Mein Eindruck:

    Die bewährte Romanautorin Isabel Bogdan hat wieder einen unterhaltenden Roman vorgelegt. Wohnverwandtschaften zeigt 4 Menschen, die zusammen in einer WG leben und sehr eng zusammenrücken als es einem Mitglied schlecht geht.

    Jörg, der älteste WG-Bewohner und Wohnungseigentümer zeigt Anzeichen von Vergesslichkeit und es wird allmählich immer schlimmer. Dass das nicht normal ist fällt als erster der Zahnärztin Constanze auf, die das neueste Mitglied der WG ist. Als es mit Jörg immer schlimmer wird, rücken alle zusammen und kümmern sich. Diesen Prozess zeigt Isabel Bogdan sehr gut.

    Ein weiteres bemerkenswertes Merkmal des Buches ist Bogdans Erzählweise. Sie gibt einerseits jeder Figur eigenen Kapitel, aber es gibt auch Kapitel, bei denen 2 oder sogar alle in Dialog treten. Das ist nicht unbedingt einfach, aber die Autorin meistert das.

    Zwar sind mir die äußerst sympathischen Figuren teilweise zu oberflächlich und die Handlung zu einfach gehalten, aber die positiven Merkmale des Buches überwiegen deutlich. Daher eine Empfehlung. Es ist ein Roman, den man als Fan von Belle nicht verpassen sollte.


    ASIN/ISBN: 3462004190

  • WG als Ersatzfamilie

    Als Zahnärztin Constanze nach der Trennung von ihrem Freund schnell eine neue Unterkunft braucht, zieht sie in die WG des reiselustigen Rentners Jörg, der Schauspielerin Anke und des lebenslustigen und stets optimistischen Murat. Nur vorübergehend, ist sie überzeugt. Sie ist schließlich schon eine Weile aus dem Studentinnenalter raus, die WG ist zweckmäßig und kostensparend, gerade im teuren Hamburg, wo günstige Wohnungen eher Mangelware sind. Doch der Titel von Isabel Bogdans Roman "Wohnverwandtschaften" macht schon klar: es kommt anders.

    Aus Fremden werden Freunde, aus Freunden eine Wahlfamilie. Auch wenn sich manches erst einmal einspielen muss. Anke freut sich einerseits, nicht mehr die einzige Frau zu sein, fühlt aber auch Eifersucht, als sie vermutet, dass Constanze und Murat eine gemeinsame Nacht verbracht haben. Gerade, weil sie in ihrem Beruf mit 50 plus plötzlich nicht mehr gefragt ist mit Rollen. Die finanziellen Probleme sind da nur ein Aspekt, auch Ankes Selbstwertgefühl bricht zusammen.

    Zur Wahlfamilie werden die Jüngeren auch für Jörg, den verwitweten Wohnungsbesitzer. Sein Sohn und dessen Familie leben in Südfrankreich, da sieht man sich nicht so oft. Und bekommt auch nicht mit, was vor allem Constanze und Anke zunehmend auffällt: Jörg wiederholt sich oft, wird vergesslich. Ist er einfach nur zerstreut, oder steckt mehr dahinter? Murat, der sorglose Sonnenschein der WG, spielt die Sorgen der beiden herunter, bis die Auffälligkeiten offensichtlich werden. Und auch Jörg, anfangs genervt von den Vorschlägen der Mitbewohnerinnen, sich doch mal untersuchen zu lassen, merkt, dass etwas nicht mehr stimmt.

    Leicht geschrieben, aber mit ernsten Tönen, geht es in Bogdans Buch um Beziehungsprobleme, Altersdiskriminierung und Demenz, aber auch um Freundschaft, Fürsorge, Solidarität und gegenseitige Unterstützung. Die Balance zwischen Humor und Ernst wird gut gehalten. Dabei werden die kurzen Kapitel aus der Perspektive jeweils eines der WG-Bewohner, manchmal auch als Beschreibung der Gedanken und Gefühle aller geschildert. Unsentimental und warmherzig macht Bogdan ihre Leser*innen zu Mitbewohnern der WG, die ich gerne durch das Buch begleitet habe.

  • Wundervolles Plädoyer für ein Leben in Gemeinschaft


    "Wohnverwandtschaften" von Isabel Bogdan (HC, geb., 272 S.) erschien 2024 im KiWi-Verlag, Köln. Ich kannte die Autorin bereits von ihren hervorragenden Übersetzungen her (Jane Gardam) und dem drollig, witzigen Roman "Der Pfau". Mit diesem neuen Roman hat sie sich nun endgültig in mein Herz (auch für WG's, in denen auch ich in StudentInnenzeiten gerne lebte) geschrieben.


    "Jörg ist bei uns das Mehl, die Trägermasse, ohne ihn geht gar nicht. Vielleicht bin ich das Wasser, ich halte den Teig geschmeidig. Ich glaube, Anke ist die Eier, sie macht ihn fluffig und nimmt die Klebrigkeit raus. Mit Eiern ist schon super, und wir haben zu dritt ja auch wunderbar funktioniert, aber seit Constanze da ist, sind wir was Besonderes. Constanze ist die Kräuter. Das werden die besten Spätzle ever." (Murat)

    Quelle: Buchrückentext


    Besser kann man die vier sehr sympathischen Bewohner der WG, die sich von einer Wohngemeinschaft eher zu einer Wohnfamilie mausert, nicht beschreiben: Da ist Jörg (68), dessen Frau verstarb und der nicht alleine wohnen wollte. Weshalb Murat (um die 30) und Anke (Ü50) bei ihm einziehen konnten (und damit wieder "Leben in der Bude war, was Jörg sehr mag). Zu diesen Dreien gesellt sich, so beginnt dieser wirklich schöne, herzergreifende Roman nun auch Constanze (35), die sich von ihrem Lebensgefährten Flo trennte und auf die Schnelle als Übergangslösung in die bestehende Wohngemeinschaft einzog: Im Romanverlauf stellt sie vergleichend fest, dass dies viel eher ihrer Lebensart entspricht und die WG wird mehr und mehr zu ihrem Zuhause, das sie nicht mehr missen möchte.


    Hierfür könnte es vielerlei Gründe geben: Murat, ein starker, kluger und lebenslustiger junger Mann, der auch sehr empathisch ist und "ein zuverlässiger-in-den-Arm-Nehmer" und "zum Lachen Bringer" (Anke) kocht gerne für die ganze WG (sein Lieblingsspruch, auch wenn andere kochen) "Boah, riecht das geil!" 'durchzieht' von Zeit zu Zeit den Roman und brachte mich zum Lachen (und erinnern, da ich alle 11 Tage für 11 Leute bzw. 2 WG's kochen musste; an den übrigen 10 durfte ich mich an den Tisch setzen ;-). Murat liebt seinen Garten, aus dem er das zaubert, was wenig später auf den Tisch kommt und erfreut sich an allem - ja am Leben selbst. Wir begleiten ihn zu seiner Hobby-Fußballmannschaft, seinen 'Habibis' und feiern mit ihm Geburtstag, da er Gäste liebt (ebenso wie Jörg). Einmal zeigt der lebensfrohe und stets gutgelaunte, andere aufrichtende Murat auch eine Schwäche (auf der Hollywoodschaukel bei Constanze, die die WG seiner Meinung nach erst komplett machte) und ist mir deshalb umso sympathischer.


    Ebenso wie die anderen; Constanze, Zahnärztin mit Klavier, das eigentlich zu groß für ihr Zimmer ist und sie daher lange Zeit mit einem blauen Fleck am Bein herumläuft; Anke,Schauspielerin, die als über 50Jährige kaum Aussichten auf eine Rolle hat, jedoch am Romanende auf goldenen Boden fallen sollte und Jörg, der mit Mathias eine Reise in seinem alten Bulli nach Georgien unternehmen möchte, zuvor aber noch "sich selbst und den Bulli durchchecken lassen will". Nach einer Operation im Sommer wundern sich alle, dass Jörg noch immer (und immer öfter) "verpeilt" wirkt, auch wenn dessen Sohn lapidar meint, dass sein Vater schon immer etwas 'verpeilt' gewesen ist. Eine beginnende Demenz nimmt Formen an, die alle noch enger zusammenrücken lässt und offen beratschlagen, was nun am besten zu tun sei. Die auch alle an ihr persönliches Limit bringt, besonders Anke, die oft bei Jörg bleibt, weil alle ihn nicht mehr alleine lassen mögen. Bei einem Essen (georgisch) muss Sebastian, der in Südfrankreich mit Familie lebende Sohn, erkennen, wie es um seinen Vater steht.... Kann die Wohngemeinschaft, die sich längst zu einer Wohnfamilie entwickelte, bestehen bleiben oder muss jeder nochmal den Wegweiser des Lebens neu setzen? (Angebote gibt es, der Ausblick ist positiv, selbst für Anke).


    Berührend in dieser Frage ist das Weihnachts- und Silvesterfest, das alle gemeinsam feiern, sich auf dem Sofa zusammenkuscheln, während Jörg mit Alien, dem Hund schmust: Sie möchten "sich festhalten, möchten Jörg festhalten, möchten das Leben festhalten und das Scheißlametta." (Zitat S. 266)


    Der Stil Isabel Bogdans ist klar und schnörkellos; stellenweise sehr humorvoll und die Figuren sind überaus sympathisch, dabei so fein gezeichnet, dass sie fast real wirken (manche würde die Zusammenkunft solch' liebevoller Figuren vielleicht sogar etwas idealistisch sehen können). Aber gibt es nicht Lebenslagen, Situationen, die das Beste in uns herauskitzeln können? Daran glaube ich fest und habe Jörg, Murat, Anke und Constanze sehr gerne durch eine gewisse Zeit in der WG, pardon Wohnfamilie, begleitet und sie näher kennengelernt. Tiefgang war hier auch nicht zu vermissen, trotz des humorvollen Untertons, für den schon Murat oft sorgte (was ebenfalls eine Geschichte hat).


    Fazit:


    Ein humorvoller, warmherziger und lebenskluger Roman mit viel Tiefgang. Schnörkellos und klar geschrieben mit sehr sympathischen Figuren, die die Wohnfamilie bevölkern: In der einer für den anderen einsteht; Gemeinsinn vorhanden ist (besonders im letzten Romandrittel, der von einem ernsten Thema durchdrungen ist). Ein Plädoyer für Mitmenschlichkeit und die Wohnformen des Zusammenlebens, in der auch die sog. "Lavendelehe" wieder Einzug hält. Wofür bereits die Miet- und Lebenshaltungspreise sorgen könnten.

    Meine absolute Leseempfehlung an alle früheren, jetzigen und zukünftigen WG-BewohnerInnen für die Geschichte dieser ganz besonders sympathischen Wohnfamilie und ein dankeschön an die Autorin - es wäre nicht verkehrt, würde es viele Murats, Ankes, Constanzes und Jörg's geben :D 5* von mir!