Birgit Ebbert: Die Königin von der Ruhr. Margarethe Krupp und die Gründung der Margarethenhöhe, Roman, Köln 2023, Bastei Lübbe, ISBN 978-3-7577-0008-9, Klappenbroschur, 496 Seiten, Format: 13,4 x 3,5 x 21,2 cm, Buch: EUR 15,00, Kindle: EUR 12,99.
Margarethe reichte ihm das Blatt, auf dem sie die Rahmenbedingungen für die Stiftung notiert hatte. Der Finanzrat holte tief Luft und steckte das Papier ein. „Ich glaube, wir haben Sie in den letzten Jahren unterschätzt.“ (Seite 271)
Margarethe hat eigene Pläne
Brav und langweilig sein, handarbeiten, sich dünkelhaft geben, weil man dem (verarmten) Adel angehört und auf den Prinzen auf dem weißen Pferd warten – das ist nichts für Margarethe Freiin von Ende (geb. 1854 in Breslau), die spätere Frau Krupp. Dünkelhaft ist ihre Mutter Eleonore in so hohem Maß, dass es für die ganze Familie reicht:
Einen Haushalt zu leiten ist unter der Würde „einer Frau ihres Standes“, also wälzt sie diese Aufgabe so schnell wie möglich auf Tochter Margarethe ab. Die muss die und wird zur Ersatzmutter für ihre zahlreichen Geschwister. Ich glaub‘, das waren rund ein Dutzend Kinder.
Margarethe gefällt die Situation nicht. Sie ist intelligent und wissbegierig und erwartet mehr vom Leben. Sie setzt durch, dass sie nach der Höheren Töchterschule das Lehrerinnenseminar besuchen darf. Sie schafft’s tatsächlich, von zuhause wegzukommen, zieht nach Berlin zur verwitweten Gräfin Maximiliane von Oriola (einer Tochter des Dichterehepaars Achim und Bettina von Arnim), geht später als Erzieherin nach Nordwales und an den Hof des Fürsten von Anhalt in Dessau. Eleonore von Ende ist entsetzt, dass ihre Tochter einer bezahlten Tätigkeit nachgeht,
und wenn Margarethe sie daheim besucht, muss sie in einem Dienstbotenzimmer schlafen, weil sie ja jetzt eine Dienstbotin ist. Es ist ein Wunder, dass Margarethe sich überhaupt noch mit dieser fürchterlichen Person abgibt!
Späte Ehe mit dem Seelenverwandten
Margarethe ist schon 28, als sie den gleichaltrigen Friedrich Krupp heiratet, den Erben der Essener Gussstahlfabrik. Zu dem Zeitpunkt kennen sie einander schon seit zehn Jahren und verstehen sich als Seelenverwandte, aber irgendwie hat er ewig gebraucht, um ihr einen Antrag zu machen.
Viel kriegen wir von Friedrich Krupp in diesem Buch nicht mit, die Geschichte beginnt erst so richtig nach seinem Tod. Aber ich habe den Eindruck, dass ihm immer alles zu viel ist und er sich aus dem Staub macht, sobald etwas anstrengend zu werden droht. Aber vielleicht tu ich ihm auch unrecht. Er hatte von jung auf gesundheitliche Probleme.
Erwartungsgemäß ist Krupp senior stinksauer, als sein Sohn eine „alte Jungfer“ heiratet, die als Gouvernante arbeitet und weder besonders reich ist noch besonders schön. In der Essener Villa des Fabrikanten ist das junge Paar nicht willkommen, sie müssen ins Gästehaus ziehen. Dass Margarethe besonders klug ist und deutlich mehr Dampf auf der Kanne hat als sein Sohn, kapiert Alfred erst spät. Was sie alles für die Familie sowie für die Firma und deren Mitarbeitende tut, wird er leider nicht mehr erleben.
Die Tochter wird die Firma erben
Nach Alfreds Tod 1887 wird Friedrich der Alleineigentümer der Firma, ist aber oft aus gesundheitlichen Gründen auf Kur in Italien, sodass eine Menge Verantwortung auf Margarethe lastet. Zwei Töchter haben die beiden: Bertha (geb. 1886) und Barbara (geb. 1887). Es steht von Anfang an fest, dass Bertha mal die Firma erben und leiten wird. Margarethe sorgt dafür, dass beide Töchter sehr gut ausgebildet werden.
Die Erbin ist noch minderjährig
1902 stirbt Friedrich Krupp. Bertha ist noch nicht volljährig. Die Firma kann sie erst in vier Jahren übernehmen. Da wird erst einmal Margarethe einspringen müssen. Auch wenn ihr Mann ihr das nie wirklich zugetraut hat, tritt sie für die kommenden Jahre als Treuhänderin in seine Fußstapfen. Verantwortung zu tragen ist sie von klein auf gewöhnt. Über die Firma hat Margarethe bei ihrem Mann und ihrem Schwiegervater viel gelernt. Sie hat Mitarbeiter, auf die sie sich verlassen kann und schreckt vor dieser Aufgabe nicht zurück.
Sollte nun jemand meinen, er könne die neue Chefin ausbooten, weil sie eine Frau ist, wird er schnell merken: äh … nein!
Frau Geheimrat Krupp ist clever, strategisch geschickt, immer gut vorbereitet – und erschreckend gut vernetzt. Dieses ganze Adelsgedöns, das ihr so zuwider ist, ist nämlich auch praktisch: Sie ist mit dem Kaiserpaar bekannt, ja fast schon freundschaftlich verbunden. Das öffnet ihr so manche Tür. Da kann so schnell niemand mithalten.
Der Traum von der Gartenstadt
Dass sie der Firma Krupp nur interimsmäßig vorsteht und gar nicht die Zeit hat, ihr ihren Stempel aufzudrücken, ist Margarethe bewusst. Das ist auch gar nicht ihr Ziel. Sie will etwas Sinnvolles tun, etwas Bleibendes schaffen und verlegt sich auf einen Bereich, in dem sie Erfahrung hat: Wohltätigkeit.
Werkswohnungen hat die Firma schon unter der Leitung von Alfred Krupp gebaut. Margarethe schwebt jedoch etwas anderes vor: eine Gartenstadt nach britischem Vorbild.
Dieses Vorhaben passt natürlich nicht allen. Aber einer entschlossenen Frau, die ihr privates Vermögen einsetzt und über ein eigenes Netzwerk verfügt, kann man schlecht Vorschriften machen. Es gibt eine Szene, in der ihr jemand ein Grundstück abkaufen will, damit sie von ihrem Plan abrückt. Sie zuckt nur mit den Schultern. Geld braucht sie nicht, Geld hat sie genügend. Sie will eine Aufgabe, und die hat sie mit ihrer Vision von der Gartenstadt gefunden.
Margarethe sitzt nicht daheim, hütet die Enkel und stickt – Margarethe baut.
Gegen alle Widerstände
Bei Romanen, die sich auf wahre Begebenheiten stützen, ist das mit der Spannung immer so eine Sache: Die Gartenstadt gibt’s: die Margarethenhöhe in Essen. Die kann man sich vor Ort oder im Internet ansehen. Wir wissen also, dass Frau Krupp ihren Plan umsetzen konnte. Das ist nicht die Frage. Hier geht es mehr darum, welche Widerstände sie zu überwinden hatte und was sie alles veranstalten musste, bis es so weit war. Da wird viel geplant, umgeplant, ein bisschen genetzwerkt und getrickst und mal mehr und mal weniger hart verhandelt.
Spannung bringen die intriganten Verwandten in die Geschichte. Diese oftmals angeheirateten Personen meinen, ein Anrecht auf ein sorgenfreies Leben zu haben, ohne dafür arbeiten zu müssen, nur weil Krupps so sagenhaft reich sind. Nicht alle Schmarotzer:innen beschränken sich auf bühnenreifes Gejammer und Gebettel. Da hat’s auch ein paar richtig fiese Gestalten drunter,
die vor Erpressung, Morddrohungen und Anschlägen nicht zurückschrecken. Ich habe mich gefragt, was sie sich davon erhofft haben, die Krupps umzubringen. Die haben doch nicht im Ernst geglaubt, dass sie dann was erben, oder? Aber gut: Die waren im Oberstübchen sowieso nicht ganz richtig sortiert.
Frauen, die bauen
Ich bin kein Groupie der Superreichen, aber Margarethe, so wie sie in diesem Roman geschildert wird, hat mir gefallen. Frauen, die bauen – denen fühle ich mich verbunden.
Margarethe ist nicht von Haus aus vermögend gewesen und hat sich deshalb auch nach ihrer Heirat eine gewisse Bodenständigkeit bewahrt. Dass ihr als Frau in der Geschäftswelt Grenzen gesetzt sind, ist ihr bewusst und sie ärgert sich darüber. Doch sie versteht es auch, das System für sich zu nutzen. Deswegen hat sie – anders als beispielsweise ihre Gesellschafterin – an radikalen politischen Veränderungen kein Interesse. Für sie funktioniert die bestehenden Verhältnisse ja.
Was meine niedrigen Instinkte angesprochen hat: Der Skandal auf Capri, in den Friedrich Krupp kurz vor seinem Tod angeblich verwickelt war.
War da jetzt was dran oder war das eine gezielte Schmutzkampagne? Das ist ein Skandal der Marke „das ist eine Privatangelegenheit, das geht uns alle gar nichts an“. Aber wenn die Sache allenthalben betratscht wird, interessiert’s einen natürlich.
Ich brauche nicht immer mörderische Spannung. Mich interessiert, wie Menschen in anderen Epochen, Gesellschaften und Schichten gelebt haben – und vor allem, wie da die Situation der Frauen war. Da schau ich gern mal ein bisschen bei den Leuten über den Gartenzaun. Dieser gründlich recherchierte Roman wird auch nicht das letzte Buch gewesen sein, das ich zum Thema „Familie Krupp“ gelesen habe.
Die Autorin
Birgit Ebbert ist freie Autorin und lebt im Ruhrgebiet. Als Diplom-Pädagogin schreibt sie Ratgeber und Lernhilfen sowie Kinderbücher und Erinnerungsgeschichten für die Arbeit mit Seniorinnen und Senioren. Seit ihrer Dissertation über Erich Kästner ist sie fasziniert von der deutschen Geschichte, was sich in ihren Büchern widerspiegelt. In Kurzgeschichten und Romanen zeigt sie, dass hinter Geschichte immer auch Leben und Geschichten stecken.
ASIN/ISBN: 3757700082 |