Sing, wilder Vogel, sing - Jacqueline O‘Mahony

  • Klappentext (Amazon):


    Die junge Honora war schon immer eine Außenseiterin in ihrem Dorf an der irischen Westküste. Es ist das Jahr 1849. Als die Hungersnot ihre Gemeinschaft mit brutaler Wucht trifft, schöpft sie genau aus ihrem Anderssein die Kraft zu überleben. Nachdem sie alles verloren hat, bricht sie auf nach Amerika, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Honora gibt nicht auf, ehe sie ihre Freiheit findet – und jemanden, der sie als das erkennt, was sie ist.



    Meine Rezension:


    Lass uns gehen


    Im Jahre 1849 herrscht in Irland eine große Hungersnot. Die irischen Pachtbauern sind abhängig von englischen Gutsherren, erfahren aber von diesen keinerlei Unterstützung. Etliche Menschen verhungern, einige wollen auswandern, überleben jedoch die Schiffspassage nach Amerika nicht, wenige bauen sich im fremden Land ein neues Leben auf. Stellvertretend für sie steht die junge Honora, die ganz allein und völlig auf sich gestellt die Reise in die Ferne antritt, aber auch dort die erhoffte Freiheit nicht so schnell findet. „Lass uns gehen“, wird zu ihrem Leitspruch.


    In Amerika beginnt diese sehr berührende Geschichte über eine starke Frau, deren Mut und Ausdauer überaus bewundernswert ist. Anschließend an diesen kurzen Einstieg mittendrinnen kehren wir zu den Anfängen in Irland zurück. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter und dem Aufwachsen bei einem gestrengen Vater ist Honora alsbald von ihrem Ehemann abhängig und steht nach der Hungerkatastrophe von Doolough mittellos da. Auf diesen sehr spannenden, aber auch bedrückenden Teil in Irland folgt ein zweiter Teil über Honoras Zeit in Amerika. Mittels elegantem Sprachstil und detaillierten historischen Fakten (siehe Nachbemerkungen und Interview mit Jacqueline O’Mahony) entführt uns die Autorin in eine düstere Zeit, wo man schon einen enormen Überlebenswillen gebraucht hat, um in einer Situation wie der Honoras noch Hoffnung und Zuversicht zu verspüren, zu grausam spielt ihr das Schicksal mit.


    Auch wenn Honora eine fiktive Figur ist, verspürt der Leser sofort eine gewisse Nähe zu ihr, die Authentizität, mit welcher sie stets beschrieben wird, ist großartig, ihr Lebenskampf einzigartig. Die Autorin schafft an allen Orten eine sehr gut vorstellbare und realistische Atmosphäre, man kann nicht anders, als mit der jungen Frau mitzufühlen und Seite für Seite gespannt ihrem Weg zu folgen. Sie will frei sein, scheint aber stets vom bösen Omen des piseog (Rotkehlchen), das in der Nacht ihrer Geburt ins Haus geflogen ist, verfolgt zu werden. Lass uns gehen, überlegt sie immer wieder und wandert von einem Ort zum nächsten. Kann sie irgendwo ihr Glück finden?


    Ein großartiger Roman über die schreckliche Hungersnot in Irland, verknüpft mit den Parallelen zu den indigenen Amerikanern. Honoras Reise nach Amerika und weiter bis in den Wilden Westen ist bewegend, berührend, zuweilen erschütternd. Wer an historisch belegten Fakten interessiert ist und eine willensstarke, zupackende Frau kennenlernen möchte, der liegt hier auf jeden Fall richtig. Ich empfehle „Sing, wilder Vogel, sing“ sehr gerne weiter!



    Titel Sing, wilder Vogel, sing

    Autor Jacqueline O‘Mahony

    ASIN B0CZK74FQ9

    Sprache Deutsch

    Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Geb. Buch (368 Seiten)

    Erscheinungsdatum 25. September 2024

    Verlag Diogenes

    Originaltitel Pociao

    Übersetzer Roberto de Hollanda


    ASIN/ISBN: B0CZK74FQ9

  • Fakten gut in Romanform gewandet. 4*

    Das Cover überzeugt durch ein modernes Gemälde einer jungen Frau, die still in gewisser Trotzhaltung den Betrachter ansieht – stellvertretend für die weibliche Hauptfigur Honora aus dem Dorf Doolough an der Westküste Irlands. Durch Alice und ihre mystischen Weissagungen erhält der Roman einen mächtigen Zauber, der besonders auch in dem Symbol des Rotkelchens das Buch wie einen roten Faden durchzieht. Ab 1849 werden ihr Außenseiter-Dasein und das von Honora neben der dortigen großen Hungersnot beschrieben. Aus historischen Quellen ist der Marsch der hungrigen Iren aus diesen abgelegenen Gebieten nach Louisburgh zur Delphi Lodge, einem Jagdhaus, belegt, auch der dramatische Ausgang des Rückweges mit 400 Toten. Die Kolonisierung durch englische Willkür steht am Pranger. Honora mit ihrer Willensstärke, ihrem Mut und Überlebenswillen kämpft gegen willkürliche Gesetze zunächst in Irland an, aber auch in Amerika. Ihr Widerstand gegen Fremdbestimmung steht stellvertretend für den irischen Kampfgeist und Stolz. Ebenso historisch interessant ist die Parallele zu den indigenen Völkern im wilden Westen. Das indigene Volk der Choctaws hatte 1847 den Iren eine Spende aus Solidarität zukommen lassen, aus der eine dauerhafte Verbindung entstand. Denn gerade sechzehn Jahre zuvor hatten sich die Choctaws auf den Pfad der Tränen begeben und Tausende von ihnen ebenfalls durch Hunger und Krankheiten verloren. Die Themen nach sozialer Gerechtigkeit und Solidarität laden hier zum Nachdenken ein bei der Aufdeckung der vielen Hintergründe durchs Googeln. So wie ein wildes Rotkelchen seine rote Farbe auf der Brust in Gefangenschaft verliert, so spiegelt sich auch Honoras Andersartigkeit wieder: nur in Freiheit entfaltet sich ihr innerstes Wesen.

    Manche Zeitsprünge in Kapitelübergängen sind etwas verwirrend. Ansonsten ist viel irische Historie wunderbar in Romanform verpackt.