Sabin Tambrea Vaterländer

  • Der Untergang einer Diktatur

    Sabin Tambrea legt uns hier ein vielschichtiges Werk vor: Zuerst ist seine Reise aus Rumänien, der alten Heimat und der Großfamilie, nach Deutschland, zur kleinen Familie: Eltern und die große Schwester. Wie der Vater während einer Auslandstournee nach Deutschland floh und nach zwei Jahren die Familienzusammenführung schaffte. Die Schikanen, denen die Mutter in Tîrgu Mures bis zur Ausreise ausgesetzt war, die Repressionen, denen die anderen Mitglieder der Großfamilie ebenfalls ausgesetzt waren. Tambrea lässt nichts aus, was "Vaterlandsverrätern", die das “heiß geliebte Rumänien", nicht zu schätzen wussten. passierte.

    Zweitens ist die erste Zeit in Deutschland, wie die Eltern beruflich Fuß fassten, in diversen Orchestern ihren Beruf ausüben konnten und wie die beiden Kinder in Schule, beziehungsweise Kindergarten Anschluss fanden. Alina wird zu einer begnadeten Violinistin während für Sabin die Geige zum ungeliebten Zwangsinstrument wird.

    Drittens sind die aufgeschriebenen Memoiren von Sabins Großvater mütterlicherseits aus der langen und schrecklichen Zeit als politischer Gefangener des terroristischen kommunistischen Regimes. Folterungen, Schläge, Aushungern, menschenunwürdige Haftbedingungen, die Securitate ließ nichts aus, um die Gefangenen und deren Familien gefügig zu machen. Genau wie die Nazis galt auch für die Kommunisten Sippenhaft. Wurde ein Mitglied der Familie für schuldig befunden, galt die ganze Familie auch als schuldig und hatte zu leiden. Mir fiel auf, dass der Großvater akribisch die Namen all seiner Mithäftlinge samt deren Herkunftsort und Beruf aufschrieb. Er tat das, falls ihn Angehörige dieser Mithäftlinge jemals kontaktieren sollten, er ihnen gewissenhaft Auskunft geben konnte, was er über deren Verbleib wusste. Das war in dem gefährlichen “dunklen Jahrzehnt”, wie die Zeit Ende der 40er bis Anfang der 60er Jahre in Rumänien hieß, oft die einzige Möglichkeit der Familie, etwas über den Gefangenen zu erfahren.

    Viertens beschreibt Sabin Tambrea die Zeit nach der Wende, nach Ceausescus Tod, wie die Großfamilie in Rumänien sich in der neu erlangten Freiheit zurechtfindet, wie Familie Tambrea, also die Eltern und die beiden Kinder, jeden Sommer beladen mit Geschenken nach Rumänien fährt und das Wiedersehen mit allen wärmstens feiert.

    Fünfter Teil des Buches beschreibt wie die kurze Zeit der Öffnung Rumäniens nach Westen aber auch im Inneren immer stärker reduziert wurde, wie die Securitate wieder erstarkte, Intellektuelle von der Zensur immer mehr mundtot gemacht wurden. Und Ende der 70er Jahre begann die Lebensmittelknappheit, wie sie nach dem Krieg nie bestanden hatte. 5 Eier, 0,75 l Öl pro Mensch und Monat, 3 mal im Jahr Fleisch: rund um die nationalen Feiertage 01. Mai, Tag der Arbeit, 23 August Tag der Waffenwende gegen Nazi-Deutschland, 30. Dezember Tag der Republik. Das bedeutete aber nicht, dass diese Lebensmittel tatsächlich zur Verfügung standen. Meistens war nicht genug da und die Mehrzahl der Menschen ging leer aus. Der Verkehr war auch streng reguliert. Sonntags durften die Autos nur im Wechsel fahren, einen Sonntag die mit gerader Zahl und nächsten Sonntag die mit ungerader Zahl im Nummernschild fahren. Aber bei 30 l Benzin, die pro Auto monatlich betankbar waren, hielt man meistens das Benzin für Notfälle und blieb sonntags zu Hause. Krankenwagen rückten nur noch für schwangere Frauen und arbeitende Menschen aus. Wenn ein Rentner einen Krankenwagen brauchte, gaben die Angehörigen meistens ein jüngeres Alter an, denn die Aussage war klar: Für Rentner sparen wir uns das Benzin für den Krankenwagen.

    Thomas Kunze schrieb ein gut dokumentiertes Buch über den Lebensweg von Nicolae Ceausescu und seiner Frau Elena. Tambrea nimmt Bezug auf dieses Werk. Ich habe es auch gelesen und finde, Tambrea hat den Bezug zu Kunzes Buch sehr gut rübergebracht. Nicolae und ELena Ceausescu schafften es vom Schulabbrecher und Schuster- und Textilweberinlehre (auch nicht beendet) Karriere zu machen. Sie erkannten schnell das Potenzial, das ihnen die RKP bot. Sie erklommen politische Posten innerhalb der Partei ohne je wieder einen Tag zu arbeiten, bis in die höchsten Ebenen der rumänischen Politik. Elena Ceausescu, die nicht die Grundschule abgeschlossen hatte, wurde Doktor der Chemie, Präsidentin der rumänischen Akademie der Wissenschaften und wertete dadurch das Ansehen der Akademie gehörig runter. Ein Staatsbesuch in China und Nordkorea der beiden Genossen und die Idee des Persönlichkeitskultes fasste Fuß und war aus dem öffentlichen Leben in Rumänien nicht mehr wegzudenken.

    Tambreas Stil ist jeweils dem Geschehen im Buch angepasst. Der Autor beschreibt die Abfahrt aus Rumänien, die Ankunft in Deutschland und die sommerlichen Besuche in Rumänien nach der Wende aus der Sicht eines Kindes inklusive humorvolle Episoden wie das Hüpfen auf dem Bett oder der Vater der heimlich die Katze im Hof füttert. Ernst und fast schon grausam sind die Memoiren des Großvaters Sava im Gefängnis oder die letzten Jahre der Ceausescu-Diktatur. Über Schläge und Zwangsarbeit oder Strom-, Wasser und Wärmeausfall kann man nicht lachen.

    Sabin Tambreas Buch ist sehr empfehlenswert. Er gibt einen sensiblen Überblick, was es heißt, ein Vaterland zu verlassen und in der Fremde sich in ein neues Vaterland einzufinden und heimisch zu fühlen. Das Entstehen und den Untergang der rumänischen Diktatur führt Tambrea dem Leser sehr eindringlich vor Augen.


    Fazit: Vielschichtiges und sehr sensibel geschriebenes Buch


    ASIN/ISBN:
    ISBN 9783989410008

  • Buecherturm :

    Bei der Vorstellung/Rezension handelt es sich aber schon um das Hörbuch?

    Vaterländer (Hörbuch-Download): Sabin Tambrea, Sabin Tambrea, Hörbuch Hamburg: Amazon.de: Bücher

    Wie hat der Autor es denn gelesen? Wie klingt seine Stimme?

    Darauf wurde gar nicht eingegangen.

    Auch nicht auf die Länge des Hörbuchs und darauf, ob es z.B. gekürzt wurde.

    Ich finde das bei einem Hörbuch sehr wichtig.

    Er ist ja auch auf Lesetour:

    eventim.de

  • Sorry, Rosenstolz, ich habe nur das Buch gelesen. Versuche zwar an das Hörbuch auch heranzukommen, hat bis dato aber nicht geklappt. Ich schätze Sabin Tambrea sowohl als Autor als auch Schauspieler sehr. So bin ich am Hörbuch sehr interessiert. Wenn ich es mal haben sollte, werde ich auch das Hörbuch rezensieren.

  • Sorry, Rosenstolz, ich habe nur das Buch gelesen. Versuche zwar an das Hörbuch auch heranzukommen, hat bis dato aber nicht geklappt. Ich schätze Sabin Tambrea sowohl als Autor als auch Schauspieler sehr. So bin ich am Hörbuch sehr interessiert. Wenn ich es mal haben sollte, werde ich auch das Hörbuch rezensieren.

    Ich hatte nur gefragt, weil du deine Rezension unter der Rubrik "Hörbücher" eingestellt hast..............

  • ASIN/ISBN: 3989410008


    Sabin Tambrea war am Freitag (aufgrund seiner Familiengeschichte/Roman) Gast in der NDR Talkshow: https://www.ardmediathek.de/vi…gtYWVkMy04NzgxODc1MzUzMjY

    Die wieder sehr interessant war. Ich mag ihn, und die Geschichte seiner Eltern und Großeltern ist dramatisch aber auch romantisch, finde ich.

  • Dieses Buch konnte ich schnell lesen, weil der Autor Sabin Tambrea seine Familiengeschichte auf zugängliche Art erzählt. Sein Vater hat 1984 durch Flucht Rumänien verlassen. Für seine Familie zog das Nachteile nach sich und es dauerte ein wenig, bis seine Frau und die Kinder nachfolgen konnten.

    Geschildert wird zum Teil aus Kindersicht. Es gibt aber auch Passagen, bei denen Sabin selbst nicht dabei sein konnte, zum Beispiel die Liebesgeschichte seiner Eltern oder die Gefangenschaft seines Großvaters von der Securitate. Doch der Autor hat gut recherchiert. Alles wirkt glaubwürdig und passt schlüssig zusammen. Daher möchte ich Romankomposition ausdrücklich loben.

  • Wurzeln

    Wie geht man mit der Suche nach Heimat um? Das versucht Sabin Tambrea in seinem biografischen Roman „Vaterländer“ zu beschreiben.

    Tambrea und seine Eltern leben seit seiner frühen Kindheit in Deutschland, aber seine Wurzeln sind in Rumänien. Er beschreibt in Vaterländer, wie er seine Kindheit auf der Suche nach einem Zuhause verbrachte, da sein Vater als Musiker regelmäßig auf Reisen war. Entsprechend groß war die Erwartungshaltung der Eltern bezüglich seines musikalischen Könnens.

    Doch nicht nur Sabin beschreibt sein Leben. Sein Großvater berichtet von Spionage und Gefangenschaft, wobei er auch auf die ärmlichen Verhältnisse eingeht, die zu seiner Zeit als junger Mann allgegenwärtig waren. Das finde ich sehr wichtig, zeigt es doch die Schattenseiten des Lebens.

    Bei Sabins Vater geht das leider zu sehr unter. Hier stehen Musik, Flucht und Selbstverwirklichung im Vordergrund und die Zerrissenheit in der neuen Heimat.

    Ich persönlich finde das Buch super geschrieben und kann die Geschichten und Anekdoten nachvollziehen. Schade ist aus meiner Sicht, das außer dem Großvater wenig auf die Zustände in Rumänien eingegangen wird (der Vater macht Karriere und entflieht der Armut, Sabin kennt diese Umstände nicht). Auch hätte ich mir gewünscht, dass die Zerrissenheit unter den Charakteren thematisiert wird. So gebe ich vier Sterne und freue mich, wenn ich in Zukunft mehr vom Autor lese.