Früher dachte ich, dass Abenteuer so riechen würden wie der Band „Winnetou I“, den man sich im Bett auf das Gesicht legte: Zerfledderter Halbledereinband, Druckerschwärze, vergilbtes Papier. Aber schon damals hat mich gestört, dass Winnetou und seine Kumpane nie aufs Klo mussten, dass sie immer nur Fleisch aßen und dass sie offenbar tagelang nur herumsaßen und auf irgendetwas warteten.
Durch das offene Fenster hörte ich das Klingeln der Straßenbahnen und ihre Elektromotore beim Anfahren und beim Bremsen. Auch der Regen war zu hören, wenn er auf das Blech des Vordaches trommelte, oder wenn die Autoreifen nicht geräuschlos auf dem Asphalt abrollten, sondern in der Nässe zu zischen begannen. Dann hatte ich das Gefühl, noch Teil zu sein von einem Leben, das draußen stattfand und in das man vielleicht wieder zurückfinden könnte, irgendwann.
Als alles vorbei war, hatte ich fast die ganze Bibliothek des Krankenhauses durchgelesen. Jedes Buch hatte einen anderen Geruch. Die mit den Bildern, vor allem den farbigen, die rochen am intensivsten. Am liebsten hatte ich Geschichten vom Urwald und von der See und solche, in denen es zur Sache ging wie in „Wem die Stunde schlägt“. Ich stellte mir vor, wie es sich anfühlt, wenn man zusammen mit einem nackten Mädchen im Schlafsack liegt, das einen glattrasierten Kopf hat und das einen küsst und sagt, dass es einen lieb hat.
Ich war damals zwölf und musste noch eine Zeitlang mit Krücken gehen. Dann war äußerlich nichts mehr erkennbar.
Ein Buch hatte ich mitgenommen von dort. Absichtlich, nicht aus Versehen. Es hatte Schwarzweißfotos in seinem Innern, ziemlich verschwommene, die Korallen und Fische und Speertaucher unter Wasser zeigten. Es wurde beschrieben, wie man sich unter Wasser an Fische heranschleicht, damit man sie mit der Harpune abstechen und nach oben bringen kann, um sie zu essen oder um sie zu verkaufen. Und dass man braun wird an der Sonne, und stark, und dass die Haare bleich werden vom Salzwasser und dass man sich nicht fürchten muss, wenn der Hai kommt, weil es genügt, dass man ihn anschreit. Dann erschrickt er und flieht sofort.
Später war es dann anders mit den Abenteuern. Es gab sie, aber sie hatten einen ganz anderen Geruch.
Das Buch hieß „Unter Korallen und Haien“ und war von Hans Hass. Wenn ich es heute geöffnet in die Hand nehme, auf mein Gesicht lege und mich konzentriere, kann ich noch ein ganz klein wenig von dem spüren, was es mir damals bedeutet hatte, als ich noch nicht wusste, wie schwierig es wirklich ist, unterzutauchen in die See und die Augen offen zu lassen dabei.
Vielleicht war es ein Fehler, die Augen immer offen zu lassen, besonders nachts, wenn man eigentlich träumen hätte sollen.
lg
anjou