Am Himmel die Flüsse - Elif Shafak

  • Was haben Arthur Smyth, der im 19. Jahrhundert in London an der Themse geboren wird und in der Gosse aufgewachsen ist, die neunjährige Narin, die im Jahr 2014 mit ihrer Großmutter in einer jesidischen Gemeinde am Tigris lebt, und die junge Hydrologin Dr. Zaleekhah Clarke, die 2018 ein Hausboot auf der Themse bewohnt, gemeinsam?


    „Am Himmel die Flüsse“ ist ein Roman von Elif Shafak.


    Die Struktur des Romans ist komplex. Er besteht aus fünf Teilen, die wiederum in zahlreiche Kapitel mit mehreren Abschnitten untergliedert sind. Erzählt wird im Präsens aus wechselnder Perspektive und in drei Handlungssträngen, die in unterschiedlichen Jahren und an verschiedenen Orten spielen. Angaben zu Beginn der Kapitel erleichtern dabei die Orientierung.


    Die Sprache ist anschaulich, atmosphärisch und authentisch. Etliche Fachbegriffe und fremdsprachige Wörter machen den Text jedoch stellenweise nicht ganz so leicht zu verstehen.


    Mit Arthur, Narin und Zaleekha gibt es drei sehr unterschiedliche Hauptfiguren. Die weiblichen Charaktere haben mich am meisten überzeugt.


    Aus inhaltlicher Sicht spielt vor allem das Thema Wasser eine Rolle, das sich auch in mehreren gestalterischen Details im Buch wiederfindet. Dabei wird vor allem der Kreislauf des Wassers und die Art und Weise, wie dieser die Menschen verbindet dargestellt. Dadurch lässt sich beim Lesen noch einiges lernen.


    Auch menschliche Nöte und Schicksale erzählt die Geschichte. Besonders berührt hat mich das IS-Massaker im Jahr 2014 an der jesidischen Glaubensgemeinschaft. Bei diesen und weiteren Aspekten des Romans zeigt sich die intensive und fundierte Recherchearbeit der Autorin.


    Die rund 570 Seiten lange Geschichte weist zwar durchaus ein paar Längen auf. Dennoch hat mich die vielschichtige Handlung gut unterhalten.


    Der deutsche Titel ist erfreulicherweise nahe am englischsprachigen Original („There are Rivers in the Sky“). Das farbenfrohe und künstlerisch anmutende Cover gefällt mir. Es greift das Wassermotiv auf.


    Mein Fazit:

    Mit „Am Himmel die Flüsse“ ist Elif Shafak ein lesenswerter, interessanter und aufschlussreicher Roman gelungen, der mich unterhalten und bewegt hat.


    Ich vergebe 4 von 5 Sternen.


    ASIN/ISBN: 3446280081

  • Zwischen Themse und Tigris

    Es gibt Schriftsteller, die bleiben bei einem sicheren Erfolgsrezept und alle ihre Romane scheinen einander ein bißchen zu ähneln. Und es gibt andere, bei denen jedes neue Buch eine Überraschung ist: Wohin werden die Leser*innen als nächstes geführt? Elif Shafak, türkische Autorin im englischen Exil, gehört zu meinen Lieblingsautorinnen, seit ich sie mit "Unerhörte Stimmen" für mich entdeckt habe. Ihr neues Buch, "Am Himmel die Flüsse" bestätigt mich darin wieder.

    Wenn es einen roten Faden gibt, der sich durch Shafaks Bücher zieht, dann ist es nicht ein bestimmtes Sujet, sondern die poetische, bildhafte Sprache, ihre Positionierung für Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen oder anders sind als die in ihrer Umgebung. Ihr neues Buch spielt zwischen Themse und Tigris, verbindet die Liebe zu Dichtung und Geschichte mit Schicksalen zwischen 19. Jahrhundert und Gegenwart und lässt auch ein bißchen das alte Mesopotamien einfließen.

    Es sind Keilschriftzeichen, Zitate aus dem Gilgamesch-Epos, Flüsse und eine blaue Tafel aus Lapislazuli, die ganz unterschiedliche Menschen in diesem Roman letztlich über Raum und Zeit verbinden: Die von einem Kindheitstrauma geprägte Zaleekha, Wissenschaftlerin und Hydrologin im London des Jahres 2018, die neunjährige Narin, die 2014 in einem Ezidendorf aufwächst und nichts von den nahenden Gefahren durch den IS ahnt und Arthur, der 1840 im Schlamm der Themse geboren wird und dank seiner Intelligenz und einigen glücklichen Wendungen einer Kindheit in größter Armut entkommen kann und als autodidaktischer Wissenschaftler im britischen Museum das Gilgamesch-Epos entziffert.

    Trauma, Verlust, aber auch Liebe erfahren diese drei Protagonisten, die von ihrer Persönlichkeit her ganz unterschiedlich, aber alle sensibel und voller Nähe geschildert werden. Shafak verbindet einen historischen Roman, der auf wahren Gegebenheiten beruht, mit Herausforderungen der Gegenwart durch Wasserverschmutzung, Umweltzerstörung und Klimawandel sowie den Massakern - man kann durchaus auch von Völkermord sprechen - an den Eziden über Jahrhunderte hinweg.

    "Am Himmel die Flüsse" ist offensichtlich akribisch recherchiert, ohne "trocken" zu wirken, Wissenswertes wird in die Geschichte verwoben, in der immer wieder Zeit und Perspektive der jeweiligen Protagonisten wechseln. Elif Shafak zeigt sich hier einmal wieder als großartige Geschichtenerzählerin voller Tiefe und Lebendigkeit. Unbedingte Leseempfehlung.

  • Elif Shafak erzählt die Geschichte dreier ganz verschiedener Menschen, deren Leben aber dennoch verwoben sind, auch, aber nicht nur durch einen Regentropfen, der bereits dem assyrischen König Assurbanipal ins Haar gefallen war.


    Arthur wird 1840 zwar in bittere Armut geboren aber mit erstaunlichen Fähigkeiten. Schon früh entwickelt er ein großes Interesse für die assyrische Stadt Ninive. 2014 lebt das ezidische Mädchen Narin mit ihrer Großmutter in Hasankeyf, doch ihre Heimat soll einem Staudamm weichen. 2018 treffen wir die Hydrologin Zaleekhah, die jung ihre Eltern verloren hat und bei ihrem Onkel aufwuchs.


    Elif Shafaks Roman hat mich schnell gefangengenommen, besonders Arthur und Narin wuchsen mir schnell ans Herz, während das bei Zaleekhah nicht ganz gelang. Arthur ist der einzige, dessen Leben wir von Anfang bis zum Ende miterleben, es ist einzigartig, und hat, wie wir im Anhang erfahren, sogar ein reales Vorbild. Ein Thema des Romans ist Wasser, dem oben genannten Regentropfen werden wir noch öfter begegnen, das alte Mesopotamien, das Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris ist immer wieder Thema, ebenso die Themse und die vielen verborgenen Flüsse, wie es sie nicht nur in London gibt. Ein anderes Thema sind die Eziden und ihr Schicksal, das auch heute noch schlimme Auswirkungen hat. Dies alles ist so gelungen miteinander verbunden wie die Leben der drei Protagonist:innen.


    Erzählt wird sehr eingängig, bildhaft und teilweise poetisch. Auch die Charaktere konnte ich mir sehr gut vorstellen, auch wenn nicht alle tiefgängig gezeichnet sind. Der Roman enthält zusätzlich ein paar Illustrationen, die vor allem die antiken Statuen und Texte betreffen. Sehr lesenswert sind auch die Anmerkungen der Autorin.


    Am Ende wird man vielleicht manches anders sehen, hat einiges gelernt und ist emotional berührt.


    Elif Shafak ist ein Name, den ich mir merken werden. Ihr Roman hat mich sehr berührt und wird lange nachhallen.