Schreibwettbewerb November 2005 - Thema: "Gefunden"

  • Thema November 2005:


    "Gefunden"


    Vom 01. bis 20. November 2005 könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb November 2005 zu o.g. Thema per Email an webmistress@buechereule.de oder über das Kontakt-Formular (s.o. im Forum) zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym eingestellt.


    Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörter wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!


    Nur für registrierte Mitglieder mit mindestens 50 Beiträgen!


    TIPP: Schreibt Eure Beiträge in Word und nutzt die Rechtschreibhilfe. Im Programm Word findet Ihr unter „Extras“ die Möglichkeit „Wörter zählen“.


    Wir wünschen Euch viel Spaß und viel Erfolg!

  • von Seestern


    Entsetzt und fassungslos starrten die Jugendlichen auf den leblosen Körper zu ihren Füßen.
    "Der is doch nich tot, oder?" Die zaghafte Frage durchbrach die lähmende Stille, die sich wie ein Grabtuch über die kleine Gruppe am Fuße der Brücke gelegt hatte.
    "Wunder gibt es immer wieder!" Hysterisches Gelächter breitete sich aus, bevor dem Sänger die Stimme brach und er sich geräuschvoll- würgend am Brückenpfeiler erleichterte.
    Einer der Fünf tippte die am Boden liegende Gestalt vorsichtig mit der Fußspitze an, was ein schmatzendes Geräusch zur Folge hatte, woraufhin zwei weitere Gruppenmitglieder davonstürtzten, um sich in einiger Entfernung die Seele aus dem Leib zu kotzen.
    Entsetzlich hell beleuchtete der Mond die Szenerie, deren Mittelpunkt ein blutiger, zu Brei geschlagener Klumpen war.
    Einstmals lebender, atmender, fühlender Obdachloser, der in dieser Nacht den Tod gefunden hatte.

  • von Branka


    „Was hast du da?“ fragte er als ich durch die Eingangstür kam. Ich sah ihn erschrocken an. „Nichts“ antwortete ich, sah weg und steckte das Papier hastig in meine Tasche. Ich wollte nicht, dass er mein verweintes Gesicht sah. Er wollte einen Schritt näher kommen, doch ich drehte mich ruckartig um und rannte hinaus.


    Vor einer Stunde war ich in der Garage gewesen. Gleich am Eingang fand ich eine Kiste welche die Aufschrift „Privat Chris“ trug. Neugierig öffnete ich sie und sah hinein. Ich fand Telefonrechnungen, Briefe und Fotos von fremden Frauen. Verwirrt leerte ich sie aus und wühlte in dem Haufen herum, bis mir klar wurde was diese Kiste beinhaltete.
    Er hatte es wieder getan. Ich begann zu weinen. Mein Misstrauen war niemals ganz gegangen, doch mein Vertrauen wurde mit jedem Tag wieder stärker. Ich hatte angefangen mich auf unsere gemeinsame Zukunft zu freuen. Jetzt lag wieder alles in Scherben vor mir.


    Ein Geräusch holte mich zurück in die Gegenwart. Ich stand in der Garage. Gedankenverloren war ich wieder hier her zurück gegangen. Ich drehte mich um und sah ihn in der Tür stehen. Er sah erst mich an, dann wanderte sein Blick über die am Boden verstreuten Papiere und Fotos. Wieder kamen seine Augen bei mir an und in seinem Blick lag eine erschreckende Erkenntnis. Ich schwieg. Er wollte auf mich zukommen doch eine abwehrende Handbewegung meinerseits ließ ihn erstarren. „Komm mir nicht zu Nahe!“ schrie ich. Ich konnte nicht mehr ruhig bleiben. Er schwieg und sah mich immer noch entsetzt an. „Ich will das du deine Sachen packst und sofort verschwindest!“ schrie ich wieder und drehte mich weg. Ich setzte mich auf den Boden und begann von Neuem zu weinen. Es ließ sich nicht mehr zurückhalten. Hemmungslos weinte ich, bis ich nicht mehr konnte.
    Nach endlosen Minuten, wie es mir schien, erwachte er aus seiner Erstarrung und kam auf mich zu. „Du verstehst das falsch.“ Begann er. „Wie bitte?“ erwiderte ich und sah ihn wütend an. „Ich verstehe etwas falsch? Was bitte ist daran falsch zu verstehen?“ Ich begann zu zittern. Er sah mich an und Tränen glitzerten nun auch in seinen Augen. „Ich kann dir das alles erklären“ antwortete er leise. Ich schwieg und wartete auf seine Erklärung. „Dieser Karton ist nicht von mir. Christian hatte mich gebeten, einige Dinge für ihn hier aufzubewahren. Dieser Karton gehört auch dazu. Er wollte nicht, dass seine neue Freundin die findet.“ Er zeigte auf die am Boden verstreuten Papiere. Still griff ich nach dem nächsten Stück Papier das ich fand und las ein paar Zeilen. „Oh, diese Briefe und Fotos sind von Christian?“ sagte ich langsam.


    Erleichterung breitete sich zwischen uns aus. „Weißt du....“ sagte ich nach einigen Momenten. „Zum ersten Mal bin ich wirklich froh darüber, dass ich im Unrecht war, Christoph.“ Endlich lächelte ich wieder. Er nahm mich in seine Arme und erwiderte mein Lächeln.

  • von Heaven


    Moritz war sauer. Stinksauer! Er kochte innerlich vor Wut. Es war so gut geplant. Pauline und Stefan, seine besten Freunde, haben sich mit ihm stundenlang den Kopf zerbrochen. Erst wollte Pauline ja nicht mitmachen. Sie fand sie gar nicht so schlimm und schließlich war sie doch noch nagelneu. Aber irgendwann hatte sie Mitleid mit Moritz.
    Nun war Moritz mit seiner Mutter auf dem Weg zum Busbahnhof. Unruhig und mürrisch guckt er aus dem Fenster ihres Autos. Als sie an einer Ampel halten, schaut eine alte Dame neben ihnen freundlich zu ihm rüber und winkt ihm lächeln zu. "Blöde Kuh!", denkt Moritz und streckt ihr die Zunge raus. Warum müssen alte Frauen immer so freundlich sein??? Sich um alles kümmern was sie eigentlich nichts angeht? So verdammt ehrlich sein? So wie die alte Frau, die wohl seine gehasste Jacke abgegeben hatte. Seine Mutter hat sie ihm vor kurzem gekauft. Aber Moritz hasst das olle Ding. Wie sieht er denn damit aus? Mit solch einem Ding läuft doch kein richtiger Junge wie er rum! Gelbe und rote Streifen!!!! Wie ein Mädchen!
    Morgens versuchte er sich meist ungesehen aus dem Haus zu schleichen. Doch seiner Mutter ist jedesmal schneller, nahm ihm die alte schwarze Jacke wieder ab und gab ihm die grässliche. "Die alte Jacke ist doch schon völlig kaputt, Moritz. Damit kannst du doch höchstens noch zum Fussball spielen rausgehen."
    Auf dem letzten Schulausflug hat er die Chance genutzt und die neue Jacke einfach im Bus liegen gelassen. War ja ein Linienbus und täglich fahren tausende mit. Könnte ja jeder verloren haben, seinen Namen hatte die Mutter glücklicher Weise noch nicht rein geschrieben. Wer weiß, vielleicht findet ein Mädchen das olle Ding, findet die gar schön und nimmt sie mit!?
    Als seine Mutter abends nach der Jacke fragte, machte er ein bedauernswertes Gesicht und erzählte, dass er nicht genau wusste wo er sie verloren hatte.
    Aber da hatte er nicht mit der Beharrlichkeit seiner Mutter gerechnet. Sie fragte ihn genauestens wo sie überall waren, wo sie Rast gemacht hatten, mit welcher Bahn oder Bus sie gefahren sind und......... schnappte sich das Telefon und startete eine Suchaktion. "Keine Bange Moritz, die Jacke finden wir schon wieder.", sagte sie und strich ihm liebevoll über den Kopf. Verdammt! Warum sind Mütter immer so???
    Sie halten vor dem Bürogebäude des Busbahnhofs und steigen aus. Moritz betet stumm vor sich hin. "Das ist sie bestimmt nicht. Die war neu, hat sicher einer mitgenommen. Die Jacke, die die alte Dame beim Busfahrer abgegeben hat ist bestimmt nur so ähnlich, aber nicht seine. Ganz bestimmt."
    Seine Mutter nimmt ihn an die Hand und sie gehen hinein. Der Mann im Fundbüro hatte schon auf sie gewartet, begrüßte sie kurz und ging in einen Nebenraum. Und dann erstarrte Moritz.
    NEIIIIIIIIIIIIIIIIIIIN !! Verdammt!! SEINE Jacke legte der auf den Tisch. Diese olle blöde Mädchenstreifenjacke. Er hätte am liebsten geheult. Seine Mutter bedankte sich freundlich und hielt sie ihm hin, damit er sie gleich wieder anziehen kann. "Siehst du, nun hast deine schöne Jacke zurück."

  • von Tom


    Mein Vater war Obst- und Gemüsehändler. Unser Speiseplan enthielt kein Fleisch, keine Wurst, keinen Fisch. Er pflegte zu sagen: „Was uns der Boden gibt, geben wir ihm am Ende des Weges zurück. Menschen sind Herbivoren. Pflanzen enthalten alles, was wir brauchen.“
    Wenn er mißmutig war, und das war er oft, hielt er lange, deprimierende Vorträge über Ernährung. Niemand von uns widersprach ihm, obwohl er größtenteils Unsinn redete; Mutter gab uns heimlich Würstchen, sonntags, wenn Vater bis spät in der Nacht unterwegs war, auf Einkaufstour bei seinen Bauern. Wir verschlangen die Würstchen hastig.
    Bis zu meinem sechzehnten Lebensjahr aß ich ansonsten nie Fleisch. Vater schnupperte in unsere Münder, wenn wir aus der Schule kamen. Wir hatten solche Angst vor Strafe, daß wir auf die Angebote unserer Freunde nie eingingen. Diejenigen, die uns mal zum Essen besucht hatten, drängten uns danach ihre Wurststullen auf, aber wir lehnten ab.
    Das war in den frühen Siebzigern. Die Legende, Spinat würde besonders viel Eisen enthalten, war noch nicht widerlegt. Spinat gab es an jedem zweiten Tag. Ich haßte ihn. Spinat und meinen Vater.


    Mit sechzehn zog ich in die Stadt, um eine Lehre anzutreten. Am ersten Montag ging ich zum Fleischer und kaufte die Wursttheke fast leer. Bis zum Ende der Woche war mir übel; Wurstreste verkümmerten in der Truhe meines spärlichen Zimmers. Am nächsten Montag, nach dem Wochenende daheim, schlug ich abermals zu, teilte es mir aber besser ein. Und ich entdeckte eine Köstlichkeit besonderer Art: Salami. Dieses würzige, salzige Delikatesse, die man pfundweise aus der Hand essen konnte. Binnen kürzester Zeit war ich salamiabhängig. Sie enthielt alle Aromen, die ich bis dahin schmerzlich vermißt hatte.


    Jetzt, mit fast vierzig, ernähre ich mich von fast nichts anderem mehr. Das Handschuhfach meines Autos quillt vor BiFis über. Ich bestelle Pizza mit einer achtfachen Portion Salami beim Italiener und lasse meistens den Teig übrig. Ich brate, backe, koche, frittiere und dünste Salami. Ich lege unterarmdicke Salami längs aufs Brot; zweimal habe ich mir beim Essen schon den Gaumen verrenkt. Ich würde Salamisaft trinken, wenn es welchen gäbe; meine Experimente sind kläglich gescheitert. Ich püriere Salami und gebe einen Teelöffel voll in meinen Kaffee. Ich habe versucht, Kaugummi mit Salamigeschmack herzustellen. Und ich habe festgestellt, daß eine Ahnung vom Salamiaroma erhalten bleibt, wenn man welche beim Zigarettendrehen in den Tabak krümelt. Selbst meine Zahnpasta versehe ich mit aus frischer Salami gepreßter Flüssigkeit. Aber vor dem Schlafengehen futtere ich sowieso noch ein halbes Pfund.


    Meine Haut hat inzwischen eine dunkel-rötliche Färbung angenommen, durchsetzt mit weißen Flecken. Ich sehe aus wie eine wandelnde Cervelatwurst. Ich mag mein Bild im Spiegel sehr.


    Meine Ernährungsgewohnheiten haben mich schon so manchen Job gekostet, meistens wurde ich rausgemobbt. Doch seit ein paar Tagen ist mein Glück vollkommen.


    Ich bin der neue Aufsichtsratsvorsitzende von ZOMTEC.

  • von Doc Hollywood


    „Da haben wir Dich also“, flüsterte sie leise und hielt dabei das Fernglas an die Augen gepresst. Ihr Blick wurde kanalisiert, die Welt schien nur aus dem kleinen Stück vergrößerter Fensterfront zu bestehen. Keine Vorhänge, nur Jalousien, die nicht ganz hochgezogen waren. Das Doppelfenster gehörte anscheinend zum Wohnzimmer. Ein Bücherregal, eine Couch – beige, wie langweilig – ein Fernsehapparat, nichts Außergewöhnliches zu entdecken. Nebenan war die Küche, weiß, schlicht und ebenfalls langweilig. Rechts neben der Küche war ein kleineres Fenster zu sehen. Es war dunkel und hoch angebracht. Badezimmer, vermutete sie und richtete das Fernglas wieder zurück auf das Wohnzimmer. Da war ein alter Fernseher, kein teurer Plasma-Breitbildschirm, wie einer an ihrer Wohnzimmerwand hing.


    Sie hatte lange überlegt, ob sie sich wirklich seßhaft machen wollte, aber das Geschäft war in den letzten Jahren gut gelaufen und sie hatte kein Lust mehr ständig unterwegs sein zu müssen. Sie kannte die Hotelzimmer der Welt. Bangkok, Los Angeles, Rio und viele gottverdammte Städte und Dreckslöcher, deren Namen sie in dem Augenblick vergessen hatte, als die Jobs erledigt waren und die Flugzeuge von den Rollbahnen abhoben – sie wegbrachten von einem fernen Land zu einem anderen, zu ihrem eigenen fernen und fremden Land, ihrem Zuhause.
    Ihr Appartment, so geschmackvoll und sündhaft teuer es auch ausgestattet war, schien ihr immer noch fremd, nicht viel anders, als die Hotelzimmer der letzten Jahre. Vor ein paar Monaten war sie eingezogen und es wollte sich immer noch kein Gefühl der Geborgenheit einstellen. Sie schob es auf den letzten Auftrag, den sie angenommen hatte. Nur dieser eine Auftrag noch, dann konnte sie ihren Ruhestand genießen.


    Es wurde langsam dunkel und Zeit, daß er endlich auftauchte. Sie sah auf die Uhr. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte sie, wie gegenüber das Wohnzimmerlicht eingeschaltet wurde. Instinktiv griff sie zwischen ihre Füße, holte den Koffer hervor und klappte ihn auf dem Stuhl neben sich auf. Mit geübten Handgriffen schraubte sie den Lauf an den Grundkörper, arretierte die Schulterstütze und ließ das Zielfernrohr mit Bajonett-Verschluß hörbar einrasten. Sie hob die Waffe an die Schulter, das Fadenkreuz wanderte über die gegenüberliegende Fensterfront. Sie sah gerade noch, wie seine Beine aus dem Wohnzimmer verschwanden. Das Küchenlicht wurde angeknipst, die Kühlschranktür aufgemacht. Das Fadenkreuz ruhte in Kopfhöhe auf einer Postkarte aus dem „Sunshine State Florida“. Mit dem Zuklappen der Kühlschranktür verschwanden Postkarte, aber auch viel zu schnell sein Kopf aus dem Schußbereich. Sie nahm den Finger einige Millimeter vom Abzug und schwenkte das Fadenkreuz hinüber zum Wohnzimmer. Er tauchte nicht auf, zog es in die Länge.


    „Setz’ Dich nur auf Deine langweilige Couch und ich kann abdrücken.“ Sie ließ die Waffe wieder über die Küche gleiten und weiter nach rechts. Im Bad war es dunkel, aber das Fenster stand offen! Sie biss sich auf die Lippen, als das Fadenkreuz über dem verräterischen Funkeln eines Zielfernrohres stehenblieb, das direkt auf sie zeigte.
    Nicht nur ein letzter Gedanke schoß ihr durch den Kopf, der in einer Blutfontäne lautlos nach hinten gerissen wurde. Am Schluß war sie es, die gefunden worden war.

  • von Hinterwäldlerin


    Unerklärlich, fest verschlossen,
    damit’s ja nicht wird genossen,
    schadenfreudig und eiskalt
    sitzt’s versteckt im Wörterwald.


    Lebt von Haar’n, herbeigezogen,
    wird auf Goldwaagen gewogen;
    wird gesucht wie’n böser Dieb,
    das Schlimmste: niemand hat es lieb!


    Hinter Erzählperspektiven,
    hinter Syntax und Motiven,
    hinter Raum, Zeit und Personen
    würde sich die Suche lohnen!


    Wenn man jenes grob geordnet,
    erkannt, entwirrt, Infos gehortet,
    gedeutet im Zusammenhang
    sind die Hauptarbeiten schon getan.


    Es fehlt noch etwas Fantasie,
    ein Teil- Gespinne, Denkmagie,
    doch wenn auch dies ist überwunden
    kann man schrei’n: „Ich hab’s gefunden!“


    Und wie man merkt ist dies Gedicht
    - springt es dir schon ins Gesicht?-
    ein wunderbares Wortversteck
    für den Interpretiermich- Gag.

  • von Trugbild


    Auf der Suche nach dem geheimnisumwobenen Artefakt durchforstete er die abgelegensten Winkel des unvorstellbaren Bauwerks. Er fand Schlüssel aus Zahlen und Zeichen, sich nach Entwirrung in ewigem Kreislauf zu neuen Rätseln formend, nach undurchdringbarem Prinzip geordnete Verstecke und eine Verzweigungsdichte, die anhin bekannte Labyrinthe zum Kinderspielplatz degradierte.


    Getrieben durch die angeborene Motivation des Entdeckers und aufgepeitscht durch den anerzogenen Drang nach Kontrolle und Ordnung, kundschaftete er die Irrwege nach dem Zufallsprinzip aus. Er geriet in Sackgassen, drehte um, bog ab, stürmte vor, drang durch zeitbefreite Räume und dimensionslose Querverbindungen – tiefer und tiefer hinein in die bodenlosen Abgründe einer nicht greifbaren Welt.

    Geradezu lächerlich schien es, dass selbst der Erbauer, auf seinem Thron aus rücksichtslosen Raubzügen und zerstörten Träumen, auch nur noch annähernd die Herrschaft über die Komplexität seiner Schöpfung haben könnte, trotz Hilfe von 3826605063 Barbaren. Ein ausser Kontrolle geratenes Experiment, das wie ein Sog unvorstellbarer Stärke alles verschlang und sich dabei stetig ausbreitete, um unaufhaltsam an zerstörerischer Kraft zu gewinnen.


    Kurz bevor die Angst vor einem Erstickungstod überhand nahm und ohne auch nur einen einzigen greifbaren Hinweis auf den Verbleib des Artefakts erhalten zu haben, kurz bevor das Kartenhaus aus nicht gewonnener Erkenntnis in sich zusammenfiel, realisierte er die Ausweglosigkeit seiner Lage, hielt inne und liess die Visualisierung seines Tiergefährten pulsierend über dem nächsten Fundstück ruhen. Unter dem wachsenden klaustrophobischen Zwang nach Freiraum, zog er sie zum Endpunkt, zur Aufgabe, zum einzigen Fluchtweg aus dem physischen Nichts: zum Start, nur zwei Schritte entfernt von der erlösenden temporären Terminierung.....



    Wer als erstes die korrekte Interpretation aller Rätsel dieser Kurzgeschichte gefunden und im Kommentar kommuniziert hat, erhält vom Verfasser einen Finderlohn in Form eines Büchergutscheins über 15 Euro.

  • von Sprequell70


    Morgens fahre ich zur Vorschuluntersuchung meiner Tochter Kim in die Kita. Auf halber Strecke merke ich, dass Vorsorgeheft samt Impfausweis zu Hause ist...also umkehren! Dann komm ich auf'm Parkplatz an, verkündet mir mein Göttergatte, dass ich alleine klarkomme und er fährt arbeiten. Ich hatte ihn gebeten, sich dafür Zeit zu nehmen, da beide Elternteile anwesend sein sollten.


    In der Kita hole ich Kim aus ihrer Gruppe und ab zum Untersuchungs-zimmer. Da mache ich ein Plauschchen mit einer anderen Mutti. Diese wedelt gelangweilt mit einem Zettel herum, den ich schon mal irgendwo gesehen hatte. Ach herrje, das ist doch der Zettel für die Vorschulunter-suchung! Ich tausche also mit dem anderen Kind, bringe Kim in ihre Gruppe und fahre nach Hause. Dort angekommen: Ach herrje! Dieser "Zettel" hat einen 3-seitigen Anhang zum Ausfüllen! Na was für ein Glück, dass mein Mann mir das wiedermal nicht gesagt hat. Völlig angestresst probiere ich das Teil auszufüllen und brauche dazu das Vorsorgeheft. Bei einer Frage muss ich meinen mich hängen lassenden Mann anrufen und blöke ihn auch gleich mal voll. Renne mit dem ausgefüllten Zettel wieder zum Auto und ab zur Kita. Hole Kim aus ihrer Gruppe, latsche zum Untersuchungszimmer (das Kind vor uns ist noch drin). Das Kind nach uns wartet schon. Diese Kindesmutter wackelt gelangweilt mit dem Vorsorgeheft. Ich denke erleichtert: Na zum Glück habe ich das eingepackt und greife zur Sicherheit in meine Tasche. Aber was ist das?!!!! Meine Tasche ist erstaunlich leer! Kein Wunder, denn das Vorsorgeheft habe ich zu Hause auf'm Tisch liegen gelassen! Ich wühle meine viel zu kleine Tasche durch, weil ich die Tatsache nicht wahrhaben will! Naja, was soll's! Ich gebe eine nicht zu verstehende Bemerkung bei der anderen Mutti ab, von wegen Vorgehen und ich komme gleich wieder. Dann bringe ich Kim in ihre Gruppe und rase erneut los. Völlig gestresst rufe ich meinen Mann an und brülle ins Telefon! Der weiß nicht wie ihm geschieht und fragt Dank seines schlechten Gewissens nach, wann wir rankommen, denn er könnte in einer halben Stunde dort sein. Ich blöke ins Telefon, dass ich das nicht wisse und lege auf. Am Parkplatz angekommen, heule ich, nehme mir 5 Minuten, um auf mein Lenkrad einzuschlagen und mich zu beruhigen!
    Als ich Kim aus ihrer Gruppe hole, scheine ich äußerlich geschwitzt, aber dennoch ruhig. Im Untersuchungszimmer sitze ich neben meiner Tochter und staune, wie toll sie alles macht und dass sie vor allem mitmacht und spricht! Ärztin und ich sind am Ende vollauf zufrieden! Ich gebe Kim wieder in ihrer Gruppe ab, fahre nach Hause.


    Zu Hause gönne ich mir noch 'nen Kaffe (mein Puls ist wohl noch zu niedrig), setzte mich hin und flenne erneut, über die Ungerechtigkeit, die ich meinem Mann mal wieder angetan habe! Da hält ein Auto, mein Männe kommt rein, entschuldigt sich für das Missverständnis auf'm Parkplatz, nimmt mich in die Arme, drückt mich und lässt mich nicht mehr los. Manchmal frage ich mich, wo ich, hysterische Kuh, diesen Mann nur gefunden habe!!!

  • von Polli


    Als Milli vom Mittwochs-Flohmarkt zurückkam und sich die Wohnungstür nur eine Handbreit nach innen öffnen ließ, stutzte sie. „Schatz, was machen wir jetzt?“, fragte sie den Riesenteddy auf ihrem Arm. Natürlich redeten ihre Kuscheltiere nicht, sie war schließlich mit ihren grauen Haaren kein Kind mehr, das an sprechende Elche und zauberhafte Märchengestalten glaubt. Sie zwängte einen Fuß in den Spalt und rückte die Kartons und Kisten mühsam zur Seite. Mit Anstrengung drückte sie sich gegen die Tür, dann schob sie sich durch die Öffnung, den Teddy hoch oben über ihrem Kopf. Drinnen hielt sie erschöpft inne.


    Sie hatte nicht den Vorsatz gehabt etwas zu kaufen. Wirkliche Sammler schwören, dass ihre Fundstücke darauf gewartet haben, von ihnen entdeckt, errettet zu werden und sie sprechen von schicksalhaften Begegnungen. Jeder, der eine Parfümfläschchen-, eine Briefmarkensammlung besitzt oder die Trödelmärkte regelmäßig mit zwei, drei vergilbten Büchern verlässt, weiß, wie es ist, erwählt worden zu sein. Der Teddy hatte sie einfach nur eindringlich angesehen. Und jeder, der schon einmal eindringlich angesehen wurde, weiß, wie es Milli ging. Sie zahlte und nahm ihn mit.


    Die Kuscheltiere waren nicht das Problem. Sie türmten sich auf ihrer Matratze, die als Bett und Ablagefläche diente. Herunterfallen konnten sie nicht, denn davor standen Kisten, Kartons und sperrige Fundstücke. Milli liebte es, auf ihren weichen Körpern zu liegen, gewärmt und beschützt im nächtlichen Dunkel. Jetzt, eingeklemmt zwischen Wohnungstür, gestapeltem Hausrat und einer Sammlung schmutziger Pfandflaschen, murmelte sie: „Wir sollten etwas aufräumen.“
    Aufräumen? Ausmisten, Ausräuchern sollte man bei der alten Schachtel, den Kammerjäger vorbeischicken! So redeten die Nachbarn. Laut. Natürlich waren sie im Recht, aber gab ihnen das die Befugnis, ihre gehässige Rechtschaffenheit herauszuposaunen, so laut, dass es nicht half sich die Ohren zuzuhalten?


    Milli bahnte sich einen Weg durch die Sachen bis zu ihrer Matratze. „Hier darfst du für immer bleiben“, sagte sie und streichelte den Teddy. „Niemand wird dich hergeben oder in die Mülltonne stecken.“ Der Gedanke, dass irgendwo draußen eine Babypuppe mit einem hilflosen Lächeln unter Küchenabfällen begraben lag oder, wie schrecklich, im riesigen Ofen der städtischen Müllverbrennungsanlage ihr Ende finden würde, ließ Milli zittern. Sie umklammerte den dicken Teddy und rief: „Niemals!“, dann fiel sie in einen unruhigen Schlaf.


    Eine Etage tiefer versammelten sich die Bewohner des Mietshauses. Sie hatten dem Hausbesitzer zahlreiche höfliche, dann wütende Briefe geschrieben, schließlich die Polizei und das Ordnungsamt eingeschaltet. Ohne Erfolg. Solange sie Miete zahlt und niemanden gefährdet, können wir nicht einschreiten, hatte man ihnen geantwortet. Vertreiben müsste man sie, dann sind wir sie los. Das hatten sie erst gedacht, dann leise zueinander gesagt, und jetzt riefen sie einstimmig: „Ausräuchern!“ Es hatte etwas Endgültiges, Reinigendes, es würde ihnen gut tun. Natürlich sprachen sie nicht davon, wie oder wann sie es tun wollten. Auch wurde niemand zur Ausführung bestimmt. Nein, eigentlich gab es überhaupt keinen richtigen Plan. Es war nur ein schöner, befreiender Gedanke.


    Schwere Rauchvergiftung, sagten die Feuerwehrleute drei Tage später. Hat den Plunder wohl selbst angesteckt, die Alte, sagten die Nachbarn und sie sahen einander nicht in die Augen.

  • von Wilma Wattwurm


    „Mammi, Mammi, kuck mal was ich gefindet habe!“
    „Gefunden heißt das. Was hast du denn gefunden, Lukas?“
    „Mammi, komm kucken, komm doch!“ Das Geschrei aus der Küche wurde fordernder.
    Genervt stellte Claudia die Nagellackflasche weg und bewegte sich ein paar Schritte Richtung Wohnzimmertür.
    „Psst, du weckst noch Papa auf!“
    Diese Warnung war eigentlich überflüssig. Bernd würde so schnell nicht wach werden. Wenn der schlief konnte die Welt untergehen, ohne daß er es merkte. Samstags kam er meistens erst zum Mittagessen aus dem Bett. Und gestern abend war es wieder spät geworden.
    „Mammi, du mußt abba kommen kucken“, ertönte es etwas leiser.
    „Ich kann jetzt nicht, Lukas“, erwidete Claudia resolut und pustete über die frisch gelackten Nägel.
    Lukas war derzeit in seiner Entdeckungsphase und man mußte ihm nicht immer seinen Willen lassen. Der Bengel mußte lernen, daß sich nicht alles um ihn drehte.


    Aha, die Lokalnachrichten. Sie ging zurück zur Couch. Vorsichtig, mit gespreizten Fingern, um den Lack nicht zu beschädigen packte sie die Fernbedienung.
    Die „Queen Mary“ im Hamburger Dock, die mußte sie sich unbedingt ‚live’ ansehen. Bis zum 19. November war das noch möglich. Lukas würde so ein Riesenschiff sicher auch gefallen. Vielleicht würde Bernd sogar mitkommen. Obwohl...
    Der hatte ja zu nichts mehr Zeit, selbst an Wochenden mußte er arbeiten, von den langen Abenden ganz zu schweigen. Manchmal kam ihr der Gedanke, er habe eine Geliebte.
    Sie griff zur Nagellackflasche um die zweite Schicht anzubringen.
    Eine andere Frau, nein, daran mußte sie nicht denken, nicht ihr Bernd.
    Energisch strich sie mit dem Pinsel über die Nägel der linken Hand.



    Oh je, nicht schon wieder. Nicht noch ein Opfer. Der „Stempelmörder“ hatte scheinbar wieder zugeschlagen. Aufgeregt tickte sie ein paar Mal auf die Volumentaste. Dieses abartige Schwein trieb seit mehreren Monaten sein Unwesen. Vergewaltigte junge Frauen vom Straßenstrich, erdrosselte sie und drückte ihnen dann mit einem ordinären Bürostempel „ERLEDIGT“ auf die Stirn. Pervers!
    Eine 15jährige Heroinhure diesmal. Man hatte sie in einer dunklen Seitengasse vom Steindamm gefunden. Was für ein Mensch tat nur so etwas?
    Angewidert schaltete Claudia den Apparat aus.


    Zeit um nachzusehen, was ihr Sohn diesmal wieder „entdeckt“ hatte.
    Sie ging zur Küche, blieb wie angewurzelt an der Tür stehen.
    „Lukas, was machst du denn da? Und wie siehst du denn aus? Was soll die Schweinerei?“
    Der Küchentisch war übersät mit einem blauen Fleckenmuster und Lukas war gerade dabei, die weißtapezierte Wand dahinter zu bearbeiten.
    „Nicht schön?“ fragte er sie enttäuscht-verwundert anblickend.
    „Nein, nicht schön“, herrschte sie ihn an. „Woher hast du das überhaupt?“
    „Hab ich gefindet, hab ich doch gesagt“.
    „Gefunden heißt das, wie oft noch, wo hast du das gefunden?“
    „In die Tasche von Papas Mantel“.
    Entsetzt starrte sie auf die verunzierte Tapete und ihre Pupillen erweiterten sich, als sie das Muster genauer betrachtete. „ERLEDIGT“ entzifferte sie, zigmale kreuz und quer stand es da, in blauen Großbuchstaben: „ERLEDIGT“.

  • von Telefonhexe


    Tom ging leise summend die Straßen des kleinen Städtchens entlang.
    Die Leute denen er unterwegs begegnete nickten ihm freundlich zu,
    denn alle kannten ihn. Tom gehörte schon lange zum Stadtbild, war da
    nicht mehr wegzudenken mit seinem etwas schmuddeligen Rucksack und
    dem ewig gleichen freundlichem Grinsen im Gesicht.


    Die Luft roch nach Schnee und es war saukalt, aber er hatte es nicht
    eilig. Seine Suche war erfolgreich gewesen und hatte ihm eine gute
    Ausbeute beschert. Die musste er nun schnellstmöglich zu seinen
    anderen Schätzen stellen, die alle schon auf ihn warteten – Zuhause,
    in dem kleinen schiefen Häuschen das Tom bewohnte.


    In seinem Zimmer stellte er zuerst vorsichtig den Rucksack auf sein
    Bett und überprüfte mit raschem Blick seine Sammlung. Ja, sie könnte
    noch Zuwachs vertragen, allerdings wurde der Platz schon etwas knapp.
    Bewundernd glitt sein Blick über die aufgereihten Kostbarkeiten, von
    denen jedes Ding seine eigene einzigartige Geschichte hatte.


    Tom öffnete die Verschnürung des Rucksacks. Ganz langsam, um den
    Genuß zu vergrößern, griff Tom in die Tiefen des Beutels und holte
    ein dick in altes Zeitungspapier geschlagenes Päckchen heraus. Das
    Papier hatte sich etwas mit Feuchtigkeit vollgesogen, so dass es
    leider nicht mehr raschelte als er die Lagen vorsichtig
    auseinanderzog. Tom war sich sicher, dass dieser Ring das absolute
    Schmuckstück seiner Sammlung werden würde. Er war perfekt geformt,
    dick und schwer, im Licht der alten Glühlampe die sein Zimmer
    erleuchtete schimmerte er in einem einzigartigen Rotton. Sicher war
    es echtes Gold, bestimmt. Immer noch lächelnd überlegte er sich, wo
    denn dieser Höhepunkt der Sammlung seinen Platz finden sollte.


    Da wäre der Platz neben der wunderbaren blausilbernen Brosche die er
    in dem Unfallfahrzeug letzthin gefunden hatte. Ok, es war kein
    wirklicher Unfall, denn er hatte ja die Radmuttern des Autos gelöst
    als er die Frau mit seiner Brosche hat aussteigen und in das Geschäft
    gehen sehen. Aber keiner der Angehörigen hatte das Schmuckstück
    hinterher vermisst, also gehörte es wirklich ihm, ihm ganz allein.


    Aber er entschied sich lieber dafür, den Ring neben die schöne
    goldene Uhr zu legen. Gold gehört zu Gold, da war er sich sicher. Die
    Uhr stammte von dem dicken alten Mann, den er im Stausee uner Wasser
    gedrückt hatte, bis dieser sich nicht mehr bewegte. Der Depp wollte
    sie ihm nicht schenken, also musste Tom sich sein Eigentum auf andere
    Weise holen.


    Stirnrunzelnd betrachtete Tom die rostroten Flecken auf dem ansonsten
    makellos blanken Ring während er ihn auf das Regal legte. Er wünschte
    sich, dass er ihn einfacher hätte bekommen können. Aber die alte Frau
    behauptete, dass er ihr gehören würde, wobei Tom genau wusste, dass
    das nicht sein konnte. Also musste er ihn sich mit Gewalt holen und
    der Dame den Finger abschneiden. Als sie so laut schrie, dass er es
    nicht mehr aushielt hat Tom ihr den Mund so lange zugehalten bis sie
    nicht mehr zappelte.


    Nun lag sie in ihrer Wohnung, tot und kalt, und konnte sehen wo das
    hinführte, wenn man Tom nicht gab was Tom gehörte.

  • von Pelican


    Wen haben wir denn da ...?


    Sie ist groß. Für eine Frau ist sie sogar sehr groß.


    Ihre Haut ist sehr hell. Sieht weich aus, zart.
    Mmmhhh..., wenn ich mir nur vorstelle, dass Ihre Hand vom Nacken beginnend über meinen Rücken streicht, überläuft es mich heiß und kalt. Und ihre Kurven! Da will man am liebsten gleich drauf!


    Sie riecht gut aus der Distanz. Sauber. Frisch. Dezent... angenehm. Ich hasse es, wenn Frauen so duften, dass sie die Sinne nicht betören sondern regelrecht verstören. Das ist fast so schlimm, wie sie stinken, wenn sie sich nicht waschen. Widerlich!
    Aber die hier riecht gut.


    Sie sagt etwas.
    Ihre Stimme gefällt mir. Frauen mit lauten oder gar schrillen Stimmen lösen bei mir regelrecht Panik aus. Ihre Stimme ist klar, deutlich, schmeichelnd - keinesfalls laut.


    Sie lacht. Ein sympathisches Lachen, nicht zu laut, nicht zu leise, nicht brüllend oder polternd, und auch nicht hämisch. Ja, ich mag ihr Lachen.
    So wie sie hier im Rasen liegt, genießt sie das Leben bestimmt genauso wie ich.


    Sie ist es. Ich bin mir ziemlich sicher.
    Wir passen zusammen.
    Oh, da liegt ein Typ neben ihr ...!
    Nein, davon lasse ich mich jetzt nicht beeindrucken.
    Ich weiß einfach, dass sie die Richtige ist.


    Aber wie mache ich ihr das klar?
    Ich kann mich ihr doch nicht einfach an den Hals werfen, oder?


    Ach, egal. Ich werde schon einen Weg finden.
    Sie wird schon noch merken, welches Glück sie hat, dass ich sie gefunden habe –
    meine neue Dosenöffnerin.

  • von Waldfee


    Vor kurzem hat Herr Schmitt eine Arbeit gefunden. Genau genommen hat die Fallmanagerin der Agentur für Arbeit Herrn Schmitt in der Kartei gefunden. Herr Schmitt hatte auch Arbeit gesucht, nur nicht diese. Frau Schmitt war die Erleichterung anzusehen: „Gut, dass du wieder gefragt bist.“ Er lächelte müde.


    Vor der Agentur für Arbeit gilt Herr Schmitt als voll erwerbsfähig. Im wahren Leben sieht es anders aus: Es gibt genug junge Bauingenieure, die bei schlechtem Wetter ohne Rheuma in zugigen Containern sitzen können. Sie haben einen dynamischen Gang, schlurfen nicht (eine Eigenart von Herrn Schmitt) und halten auch die Schultern gerade. Ihre Mundwinkel zeigen nach oben, was auf eine positive Grundeinstellung schließen lässt.


    Der Trainer im Bewerbungsseminar hatte ihm gezeigt, worauf es ankommt. Seitdem macht Herr Schmitt sich positive Gedanken, wenn er doch einmal zu einem Vorstellungsgespräch geladen wird. Diesen Job habe ich in der Tasche, denkt er, während er dem Personalchef die Hand schüttelt, und er kann die Freude darüber körperlich spüren. Im Bauch sitzt sie, hüpft auf und ab und fährt Looping. Mundwinkel nach oben ziehen und lächeln. Hände öffnen, Handflächen zeigen, nichts verbergen, bloß nicht krampfen. Schultern gerade, durchatmen und mit klarer Stimme angemessen laut sprechen.


    „Yep! Jetzt haben Sie’s!“ hatte der Trainer am Ende des Seminars applaudiert. „Sie haben ein gutes Profil, Herr Schmitt.“ sagen die Personalchefs, und dann: „Wir haben noch andere Bewerber. Wir melden uns.“ Herr Schmitt ist kein Siegertyp.


    Seit Arbeitslosengeld Zwei fahren sie viel mit dem Rad. Nur an Rheuma-Tagen holt Herr Schmitt den Wagen aus der Garage. Die Suche nach den günstigsten Lebensmitteln ist zu einer Beschäftigung geworden, die ein, zwei Stunden des Tages füllt. Einladungen, die teure Geschenke erfordern, sagen sie ab. Sie laden auch selbst nicht mehr ein.


    Aber jetzt bringt er wieder Geld nach Hause. Nicht, dass er die Wahl gehabt hätte. Herr Schmitt streicht die Wände der Agentur für Arbeit an. Und manchmal wundert er sich, dass die Fallmanagerin ihn gefunden hat, denn seine Kollegen in der Hartz IV-Kolonne sind Handwerker. So genau kennen die die Berufsbilder ja nicht, hatte Herr Schmitt gedacht. Die denken, ich komme vom Bau. Sein Versuch, das aufzuklären, war zwecklos.


    Die Schmitts wohnen etwas außerhalb, idyllisch gelegen. Fünfundzwanzig Kilometer fährt er mit dem Wagen zur Arbeit, dreißig zurück, um den langen Feierabendstau zu meiden. Der Personennahverkehr wurde mangels Passagiere eingestellt. Wenn er die Benzinkosten abzieht, bleiben zwei Euro fünfzig von acht Euro Tageslohn. Frau Schmitt findet das in Ordnung: „Du willst doch nicht, dass sie die Bezüge kürzen?“


    Die Handwerker fluchen. Diese Arbeit verbaut ihre Chancen auf Arbeit, schimpfen sie. In die Politik sollte man gehen, denkt Herr Schmitt. Nein, auf die Straße. Da sitzt seine Fallmanagerin und lässt ihr feines Büro renovieren. Herr Schmitt taucht den Pinsel ein und schreibt mit Sorgfalt, sehr groß: „Arbeit macht frei“. An die nächste Wand auch. Und die übernächste. Bis sie es merkt. Schnallen sie den Gürtel in Zukunft eben noch ein bisschen enger.

  • von Scorpion


    Fasziniert starrte ich auf das runde Gebilde in meiner Hand. Eine Art Kugel, leicht durchscheinend und ja, es leuchtete und schimmerte auf geheimnisvolle Weise von innen heraus. Noch einmal wischte ich sanft mit meiner Handfläche darüber, um es von dem Sand und der Erde zu befreien, aus der ich es gerade eben ans Tageslicht gebracht hatte.
    Wochen und Monate hatte ich danach gesucht, den Legenden um diese magische Kugel war ich sogar schon seit Jahren gefolgt und heute hatte ich ihn schlußendlich gefunden, den Dajrym, das sagenumwobene Auge der Zeit. War es wahr? Ob man damit wirklich den Lauf der Zeit und das Gefüge der Welt ändern könnte?
    Tief in mir spürte ich ein nervöses Zittern. Nochmals blickte ich in den trüben Wirbel im inneren der Kugel. Schemenhafte Umrisse wurden deutlicher. Ich sah Bäume und Tiere, Menschen, ganze Völkerscharen, ich sah Flugzeuge am Himmel, Schiffe auf den Meeren, Paläste, Prunk, Waffen, Bauern bei der Arbeit.
    Wenn man den Legenden Glauben schenken konnte, so zeigte der Dajrym immer und immer wieder Schlüsselpunkte in der Geschichte der Welt. Punkte, an denen die Geschichte so oder ganz anders hätte verlaufen können. Drehte man es dann zur rechten Zeit in die richtige Richtung, so könnte man Dinge ungeschehen machen und den Lauf der Geschichte verändern. Ich hatte es gefunden, nach einem halben Leben der Suche.
    Ich setze mich auf einen der Felssteine am Rand der Klippen. Die Sonne stand schon tief über dem Meer, die Welt war still als würde sie gespannt den Atem anhalten und ich bettete den Dajrym behutsam auf meinem Schoß. Es sollte mir zeigen, was es in seinem Dasein alles gesehen hatte. Viele Bilder spulten sich in seinem Inneren ab. Immer wieder sah ich die Sonne, Maschinen, Pflanzen, Kinder und Alte, Gräber, trauernde Mütter. Ich wagte es und drehte den Dajrym. Wieder blickte ich hinein. Ich sah rollende Panzer, marschierende Soldaten, verdorrte Felder. Ich drehte die Kugel. Dunkle Nebel wie Rauch, brennende Städte, fliehende Menschen. Drehung. Tote Vögel, Skelette ... Ich hatte genug gesehen, ich wollte nichts mehr sehen. Weit schleuderte ich die Kugel in's Meer. Die untergehenden Sonne spiegelte sich darin und ein letzter Lichtblitz flackerte darin auf.

  • von Sinela


    Wieder einmal stehe ich auf dem Balkon und schaue dir bei der Arbeit zu. Ich kann mich nicht einfach nicht satt sehen an deinem Anblick. Deine langen Haaren fielen mir schon auf, als ich dich das erste Mal wahrgenommen habe. Wie oft habe ich dich an den folgenden Tagen beobachtet, zuerst heimlich, dann ganz offen, sodass es dir auffallen musste. Du hast angefangen, tollkühne Dinge zu tun. Ich hatte oft Angst um dich, besonders als du meintest, den Fluch der Karibik nachspielen zu müssen und dich von der Kette des Baukranes vom 4. Stock des Nachbarhauses auf den Boden hast runtersetzen lassen. Ein Lächeln umspielt meine Lippen. War das wirklich erst zwei Wochen her? Am Tag darauf lernten wir uns Dank einer Nachbarin endlich persönlich kennen. Ein Blick in deine blauen Augen, die wie ein klarer Bergsee in der Sonne funkelten, und ich war rettungslos verloren. Amor hatte mich regelrecht mit Pfeilen gespickt. Zu meinem Glück ging es dir genauso und wir verbrachten wunderschöne Tage – und Nächte.


    Nun hast du meine Blicke gespürt. Du schaust zu mir herauf und strahlst mich an. Mein Herz quillt über aus Liebe zu dir und ich lächle zurück, freue mich auf den Abend, den wir zusammen verbringen wollen. Aber ich werde dir nicht sagen, was mich seit Tagen bedrückt. Mein Blick fällt in das Innere des Zimmers, auf die vielen gepackten Kartons. Morgen werde ich nach Hamburg ziehen, 500 km weit weg von hier. Nach langem Suchen habe ich endlich den Job gefunden, den ich mir Zeit meines Lebens gewünscht habe. Aber meinen Traummann werde ich deshalb verlieren, denn du bist fest mit deiner Heimatstadt verbunden. Das Leben ist einfach nicht fair.

  • von Marlowe


    Der erste Kuss hat Dir geschmeckt


    in Dir das wilde Tier erweckt


    seit damals bekamst Du nie genug


    begingst tagtäglich Selbstbetrug


    und fandest nichts dabei



    Das Erstemal hat es noch wehgetan


    doch fachte es auch deine Neugier an


    Du musstest alles ausprobieren


    hattest ja nichts mehr zu verlieren


    und fandest nichts dabei



    Des einen Weh war Dir Dein Wohl


    aus Langeweile dann Alkohol


    täglich von allem ein wenig mehr


    triebst Du ziellos hin und her


    und fandest nichts dabei



    Wenn Du Dich einmal dann vergaßt


    erstaunt mal in Dich selber sahst


    warst Du mit allem ganz zufrieden


    nachdenken hast Du stets vermieden


    und fandest nichts dabei



    Es begann mit Deinem ersten Kuss


    es endete mit dem goldnen Schuss


    in einer langen einsamen Nacht


    hast Du einfach Schluss gemacht


    und fandest nichts dabei