Elizabeth Strout: Am Meer

  • Coronatagebuch einer weitgehend uninteressanten Person


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    Mein Lieblingsroman von Elizabeth Strout ist wohl ihr Erstling, das starke und stark erzählte Mutter-Tochter-Drama „Amy & Isabelle“, aber ich mag auch ihre Kurzgeschichten sehr, und ich habe die Olive-Kitteridge-Romane mit großer Begeisterung gelesen. Alleine, mit Lucy Barton, die 2016 im mediokren „Die Unvollkommenheit der Liebe“ als Hauptfigur vorgestellt wurde und im starken Nachfolger „Alles ist möglich“ glücklicherweise nur eine Neben-Hauptperson war, bin ich bislang nicht warm geworden, und das wird auch nicht mehr geschehen. Der bislang vorletzte Roman aus Sicht dieser fragilen, schmalen, scheuen Frau, die in einer armen Großfamilie in Amgash, Illinois, aufwuchs und als Kind misshandelt wurde, und die später dann als Schriftstellerin überaus erfolgreich wurde, nämlich „Oh, William“ (2021) über ihren Exmann gleichen Namens, hat mich nachgerade genervt, was an zwei Aspekten lag. Erstens war nicht besonders interessant, was Strout in diesem Roman erzählte, und zweitens war kaum zu ertragen, wie sie das getan hatte.


    „Am Meer“ ist genau genommen eine direkte Fortsetzung, ein zweiter Teil von „Oh, William“, denn die Handlung beginnt wenig später und erzählt wieder von den beiden, und wieder auf die gleiche, etwas quälende Weise. Wir befinden uns im Frühjahr 2020, und es zeichnet sich ab, dass es eine Pandemie geben wird. Lucy Bartons Exmann, der Parasitologe William, gehört zu denen, die sehr schnell begreifen, was passieren wird, und er schnappt sich kurzerhand seine Exfrau Lucy und nimmt sie mit aufs Land, an die Küste von Maine, wo man sonst eigentlich nur im Hochsommer hinfährt. Dort verbringen Lucy und William dann unter anderem den ersten Lockdown, in einem großen, etwas renovierungsbedürftigen Haus hoch oben auf einer Klippe. Lucy sorgt sich um ihre Töchter, William ist mit dem bevorstehenden Ruhestand konfrontiert, und draußen spielt die Welt verrückt. Wir alle haben das vor vier Jahren erlebt, was, vorsichtig gesagt, ziemlich viel Luft aus der Dramaturgie nimmt, die aber ohnehin nicht besonders prall ist. Sie gehen spazieren, sie telefonieren, sie schauen Nachrichten, sie machen sich Gedanken – all das wiedergegeben im abgehackten, mäßig anspruchsvollen Tagebuchstil, der, wie in „Die Unvollkommenheit“ und „Oh, William“ mit Formulierungen wie „Das meine ich“ und „Das ist alles, was ich dazu noch sagen will“ gesprenkelt ist, um zu unterstreichen, wie unsicher diese widersprüchliche Lucy Barton ist, die ihren eigenen Worten misstraut, aber verblüffenderweise mit ihrer weltweit erfolgreichen Schriftstellerei einen gewissen Wohlstand erwirtschaftet hat.


    Ärgerlicherweise ist nichts von dem, was Lucy so sagt und denkt und erlebt, wesentlich interessanter als das, was wir alle in dieser Zeit gesagt, gedacht und erlebt haben, eher im Gegenteil. Man kann nur froh sein, nicht mit dieser Frau eingesperrt gewesen zu sein (oder ihrem blassen, nicht minder uninteressanten Exmann), aber beinahe ein bisschen zornig könnte man werden, wenn sich die Romanheldin gegen Ende des Buchs mit der Kapitol-Erstürmung konfrontiert sieht und Verständnis für diese armen, „kleinen“ Leute empfindet, die von der amerikanischen Elite eigentlich schon immer so herumgeschubst wurden. Das hier eingeflochtene Narrativ wird auch durch die mehrfach unterstrichene Unsicherheit der erzählenden Hauptfigur nicht entkräftet, und hätte ich an dieser Stelle nicht nur noch zwei Dutzend Seiten dieses glücklicherweise ohnehin kurzen, aber schwergängigen Romans vor mir gehabt, hätte ich ihn einfach weggeworfen.


    Ich habe Elizabeth Strout erst vor drei Jahren für mich entdeckt, habe seither alles gelesen, was sie hierzulande veröffentlicht hat, aber mit „Am Meer“ endet diese Reise.


    ASIN/ISBN: 3630877486