Mir geht es nicht gut, weil... (ab 31.05.24)

  • Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich mich überhaupt zu dem Thema Depression und anderen Erkrankungen der Seele äußern möchte. Da das Eulennest im Normalfall eh ein recht empathischer und wissender Haufen ist, sind einige dieser Gedanken sicher überflüssig und müssen nicht erwähnt werden. Da das trotz allem ein öffentliches Forum ist und die ganzen Suchkraken im WWW diese Texte oft finden und als Suchergebnisse Menschen außerhalb unseres "Dorfes" präsentieren, habe ich für mich beschlossen, dass einige Dinge nicht oft genug erwähnt werden können, um auf der einen Seite Betroffenen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind und zum anderen dem Umfeld und den Angehörigen vor Augen zu führen, was da eigentlich passiert.


    Niemand, wirklich absolut NIEMAND wacht morgens plötzlich auf und leidet unter einer Depression. Es muss für jeden Mitmenschen sofort klar sein, dass da immer ein wochen-, monate- oder teilweise sogar jahrelanger Leidensweg vorausgeht. Es ist eine Abwärtsspirale, die unglaublich kräftezehrend ist, da man ja niemanden mit seinen Wehwehchen belästigen möchte. Andere bekommen ihr Leben schließlich auch hin und man möchte sich nach Außen hin die Schwäche nicht eingestehen. Also funktioniert man, trägt seine Masken und man nimmt weiterhin am Leben teil, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Das funktioniert super - für eine Weile, bis die Kräftereserven erschöpft sind und man eben nicht mehr funktionieren KANN, wie es von einem erwartet wird. Dann beginnen die Ausfälle. Aber liebe Leute, diese Ausfallerscheinungen sind SYMPTOME der Depression und nicht die Depression selbst. Diese findet viel früher im Verborgenen statt. Sie lässt innerlich den Putz bröckeln, raubt Kraft, zermürbt den Schädel. Macht kontinuierlich Kopf und/oder Körper kaputt. Solange, bis sich auf irgendeine Art und Weise der Zusammenbruch einstellt und die Menschen im Umfeld fassungslos, überrascht, ungläubig, erstaunt - however - reagieren und die Problematik überhaupt wahrnehmen.


    Während der akuten Phase können bestenfalls Profis wirklich HELFEN, das gesamte übrige Umfeld bestenfalls UNTERSTÜTZEN.


    Und was irgendwie viel zu oft vergessen oder ignoriert wird: Dieses verdammte Monster verschwindet (wenn überhaupt) nur sehr viel langsamer, als es gekommen ist. Oftmals bleibt es einfach da, als Teil des Menschen. Nur die Symptome werden weniger oder verschwinden im besten Fall ganz. Die Narben bleiben.


    Übrigens:

    Die Telefonseelsorge (TelefonSeelsorge® Deutschland | Sorgen kann man teilen. 0800/1110111 · 0800/1110222 · 116123. Ihr Anruf ist kostenfrei.) ist eine wunderbare Einrichtung, auch für die Angehörigen und Freunde von Betroffenen. BEVOR es zu den bekannten Klassikern wie "geht doch einfach mal raus, spazieren!" oder "lass dich doch nicht so hängen!"


    Nur ein paar unsortierte Gedanken von jemandem, der das "ganz unten" sehr genau kennengelernt hat.

  • Das Thema "Depression" ist in den letzten Jahren immerhin etwas präsenter geworden, es hat sich mehr Akzeptanz und Verständnis entwickelt, wenn auch längst noch nicht genug, aber immerhin ist bei einigen Menschen angekommen, dass es da nicht irgendwie um bad vibes geht, sondern um eine ernste, ernstzunehmende, stark einschränkende, oft sehr schwere Erkrankung, die das Leben komplett auf den Kopf stellen kann. Es gibt inzwischen auch viele Initiativen, Hilfegruppen, Vereine usw., die unterstützen und Ersthilfe leisten - oder auch dabei helfen, Plätze bei Psychotherapeuten zu finden, was alles andere als einfach ist, denn aufgrund der krassen Vergabeverfahren für Kassensitze dürfen sehr viel weniger Psychotherapeuten und -innen ihre Dienste gesetzlich Versicherten anbieten, als erforderlich wären.

  • Für mich als Unbetroffener war sehr überraschend und erhellend die Sendung Chez Krömer mit Torsten Sträter aus dem Jahr 2021 (hu, schon wieder so lange her!). Ich weiß nicht, ob das medial der Auslöser war, aber gefühlt habe ich seitdem viel öfter was zum Thema Depression gehört oder gelesen. Und das finde ich sehr positiv.


    PS: Die Sendung gibt es noch in der ARD-Mediathek.

  • Ich finde es einfach so schlimm, dass so viele Betroffene sich nicht an Vertraute wenden können. Ich verstehe das allerdings so gut, ich kann ja nicht mal ohne Depression gut um Hilfe bitten.
    Dass das Thema jetzt öffentlich gemacht wird, finde ich gut. Das sollte bei weiteren Problemen dieser Art so gehandhabt werden.

  • Ich glaube, viel mehr Betroffene könnten sich theoretisch schon an vertraute Personen wenden.


    Aber das kostet halt auch viel Überwindung und dann ist die Frage, wie gut man als Laie/Unbetroffener da wirklich "helfen" kann. Wobei... oft ist vielleicht noch die beste Hilfe, die man in so einem Fall geben kann (außer, da zu sein und Ohr und Schulter zu bieten), der Rat und die Bitte, sich professionelle Hilfe zu suchen. :gruebel

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Es gibt halt unterschiedliche Formen, bei mir die funktionale. Es klappt noch lange im Job, für alles andere fehlt die Energie. Bis es auch für den Job nicht mehr reicht. Verständnis können meist nur die aufbringen, die selbst betroffen sind. Was anderes denken, das muss einem einfach irgendwann nicht mehr wichtig sein. Das gehört zur Therapie dazu.


    Booklooker  :knuddel1Sich Sorgen zu machen über geliebte Personen und auch Tiere setzt mir auch immer sehr zu. Gute Besserung!

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

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  • Gummibärchen Wenn man nicht weiß wie man sonst helfen kann (da bin ich einfach Laie), tut manchmal einfach eine Umarmung gut. :knuddel1


    Booklooker Ich hoffe, dein Männe wird bald genesen. Gute Besserung an ihn.


    Insomnia  :knuddel1


    Allgemein zum Thema Depression: Hier ist es aktuell sehr schwer Termine für eine Therapie zu bekommen. Sehr viele haben gleich komplette Aufnahmestops für neue Patienten, die ,bei denen man tatsächlich durchkommt, können einem maximal sagen, dass man auf eine Warteliste kommt mit einer ungefähren Wartezeit von mind. 1 Jahr.

    Menschen bei denen es sehr schwer ist, bleibt manchmal keine andere Wahl als sich selbst einweisen zu lassen und auch dort ist man leider nicht immer an der richtigen Stelle, damit es besser wird. Ich unterstütze aktuell eine Freundin bei der Suche. Sollte sie jemanden finden, der noch Patienten annimmt, würde ich da vielleicht auch mal anfragen. Andererseits denke ich mir auch immer, so schlecht geht es mir ja auch wieder nicht und andere Leute brauchen die Plätze dringender.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Vor Jahren wollte ich Hilfe, die Antwort ich solle Pillen nehmen bis ein Therapieplatz frei ist. Die Klinik meinte da ich mich nicht umbringen möchte, hätte ich keine Chance eingewiesen zu werden. Da musste ich mich selber berappeln. Im großen und ganzen klappt es. Habe ich Depressionen, ich weiß es nicht. Ich würde gern einiges aufarbeiten, was mich gefühlt am durchstarten hindert. Ich stelle mir immer wieder selbst ein Bein, weil ich gefühlsmäßig stolpere ;-)


    Booklooker alles Gute für Deinen Mann :knuddel1

  • tweedy39 Ja so in der Art schätze ich es bei mir auch ein. Ich nehme Tabletten, die denke ich ganz gut funktionieren und wurschtel halt so vor mich hin, manchmal besser manchmal schlechter. :knuddel1


    Ich möchte außerdem noch meinen Respekt ausdrücken für alle, die hier so offen über diese sehr persönlichen Themen sprechen. :schuechtern

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Paradise Lost


    Kleiner Strohhalm-Tipp für ganz akuten Hilfebedarf:

    Alle Therapeuten mit Kassenzulassung MÜSSEN eine Sprechstunde pro Woche anbieten. Hier kommt man über den Terminservice der Kassenärztlichen Vereinigung schnell dran. Und diese Termine direkt quasi wöchentlich bei unterschiedlichen Therapeuten buchen.


    So kann man direkt vortasten und filtern, mit wem man sich eine Therapie vorstellen kann und wo es eben menschlich nicht passt. Und schon hinter der Anrufbeantworter-Barriere kann man sich auf ganz anderen Positionen auf den Wartelisten setzen lassen.

    Viel Erfolg :wave

  • Wobei es leider zumindest in Berlin bei Kindern und Jugendlichen sehr schlecht aussieht diesbezüglich. Für meinen Sohn gab es vor zwei Jahren keinen stationären Therapieplatz, so dass er trotz seiner sechzehn Jahre Escitalopram verordnet bekam, da das am besten zu seinem Krankheitsbild passte. Da das Medikament aber erst ab 18 zugelassen ist und nur Kliniken und nicht die Jugendpsychiaterin Off Label use verordnen dürfen, hat meine Freundin, die ein Glück Ärztin ist, die Verantwortung übernommen und es privat verordnet. Auf die Schnelle hat er "nur" ( aber immerhin, und das war wirklich Glück) eine Gesprächstherapie bekommen. Ein Jahr später hatte er dann eine Zusage für eine stationäre Behandlung, allerdings vollstationär für ein Level, aus dem er zum Glück schon hinaus gewesen ist. Das alles ist ziemlich zäh und angsteinflößend, finde ich. Auf die Vielzahl von psychisch nicht mehr gesunden Kindern, Jugendlichen und jungen Menschen ist das Gesundheitswesen nicht eingestellt. Das System ist da ziemlich überfordert. Denn Leitliniengerecht wäre erst eine Therapie, bei Nichterfolg ein Medikament. Und nicht anders herum. Nur leider geht es dann nicht anders und das ist dann allemal besser als ein Sprung vor den Zug.


    Schwierig.


    Ich bin übrigens der Meinung, dass man unbedingt diese Krankheit enttabuisieren und darüber reden sollte. Ganz bestimmt kann das helfen.

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Danke Inso, ich hab ihr schon eine 60-seitige Liste von 116117 rausgelassen, die sie jetzt auch so Stück für Stück durchgeht, aber da ist es halt oft eben auch nur der AB da der sagt "Wir haben keine Kapazität". Aber wir sind ja noch nicht durch damit.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Meine Große war zu Anfang der Coronaphase in stationärer Behandlung wegen Depressionen und Angstzuständen. Einen Therapieplatz haben wir schnell bekommen. Allerdings wurde uns von der Klinik in der Nähe abgeraten und wir sind fast eine Stunde gefahren. Einmal die Woche zum Gespräch, dann Samstag Morgen zum Abholen und Sonntag Abend wieder hinbringen. War für alle eine anstrengende Zeit. Einen Therapieplatz für danach haben wir mit Glück auch gefunden, aber das ist echt schwierig. Da habe ich viele E-Mails geschrieben.

    Depressionen belasten nicht nur die direkt Betroffenen. Und es ist ein langer Weg mit Höhen und Tiefen.

    “You can find magic wherever you look. Sit back and relax all you need is a book." ― Dr. Seuss