Nele Pollatschek - Dear Oxbridge

  • Nele Pollatschek - Dear Oxbridge - Liebesbrief an England


    Verlag: Galiani Berlin

    Erscheinungsdatum: 2020

    Seitenzahl: 240

    ISBN: 3869712031


    Über Nele Pollatschek:

    Nele Pollatschek, geboren 1988 in Ostberlin, studierte Englische Literatur und Philosophie in Heidelberg und Cambridge, an die sich ein Masterstudium und eine Promotion in Oxford anschlossen. Mit ihrem Roman "Das Unglück anderer Leute" debütierte die Autorin im Jahr 2017 und erhielt für dieses Buch den Friedrich-Hölderlin-Förderpreis und den Grimmelshausen-Förderpreis.

    Nele Pollatschek ist neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit als Journalistin tätig.


    Über den Inhalt (nach Amazon):

    Insiderbericht aus den Elite-Universitäten Cambridge und Oxford und Liebesbrief an ein eigensinniges Stück Europa: Nele Pollatschek analysiert klug, komisch und wütend eine turbulente Liebesbeziehung zu einer verwirrenden Insel.

    Als Nele Pollatschek am 23. Juni 2016 nach Oxford unterwegs ist, wo sie jahrelang studiert hat, ahnt sie nicht, dass sie am nächsten Tag zum Brexit Profiteur wider Willen werden wird. Über Nacht löst sich wegen des Währungszerfalls ihr Studienschuldenberg fast in Luft auf – gleichzeitig aber durchlebt sie den Schock ihres Lebens: Die Briten wollen mit Europäern wie ihr nichts mehr zu tun haben.

    Wenn jemand eine Obsession hat, dann ist es schwer, ihn davon abzubringen. In Nele Pollatscheks Fall heißt die Obsession seit ihrer Jugend Oxbridge. Nichts konnte sie abhalten, dort hinzukommen, wo ihre Helden, die mitunter exzentrischen englischen Geistesriesen, studierten. Irrsinnige Anstrengungen nimmt sie auf sich, um dorthin vorzudringen, erleidet das Hochstaplersyndrom, als es endlich gelingt, lernt das bizarre Verhalten der englischen Eliten kennen, kommt der Abwasserwirtschaft und dem Pillenkonsum der Briten auf die Schliche, verbringt die Nächte zwischen High-Society-Partys und Bibliothek. Gerade denkt sie, sie gehöre dazu – da erfolgt dieser Schlag.

    Wie jede verstoßene Geliebte geht Nele Pollatschek in ihrem Abschiedsbrief an England der Frage nach, wie es zum Bruch kommen konnte. Was ist nur los mit diesem England? Und mit dem Scharfblick einer Miss Marple erkennt sie: der Schlüssel zur Misere liegt da, wo sie gerade war! Das System Oxbridge bringt jene Mentalität und jenen englischen Politikertyp hervor, der gerade das Land zugrunde richtet. Mit abgründigem Humor schreibt sie ein augenöffnendes Buch und setzt ihrer großen Liebe, dem alten England, ein hochunterhaltsames und kluges Denkmal.


    Meine Meinung:

    Seit frühester Jugend hat Nele Pollatschek ein Ziel: Sie möchte Schriftstellerin werden. Um ihrem Ziel näherzukommen, möchte sie keine Schreibschule oder deutsche Universität besuchen, sondern gleich nach Cambridge oder Oxford, kurz Oxbridge genannt, gehen.

    Ihr Plan scheitert, doch am Ende zahlt sich ihre Beharrlichkeit aus. Zunächst absolviert sie im Zuge ihres Bachelorstdiums ein Austauschjahr in Cambridge, auf das ein Masterstudium und die Promotion in Oxford folgen.

    Anfänglich erfährt man in "Dear Oxbridge" etwas über die Hürden, die es zu nehmen gilt, um an einem der renommierten Colleges studieren zu dürfen, was bei Studiengebühren von 9000 Pfund beginnt, über die Wohnsituation der Studenten, die verhältnismäßig unkomfortabel im Vergleich zu der deutscher Studenten ist und nicht zuletzt über die Zusammenarbeit von Studenten und Dozenten, die oftmals aus dem Ausland kommen.

    Als es zum Brexit kommt, fügt es sich beinahe glücklich, dass Nele Pollatschek dank eines günstigen Wechselkurses mit Leichtigkeit ihren Studienkredit zurückzahlen kann, doch die Situation stellt sich ungleich schwieriger für Zuwanderer dar, die einen Großteil der Arbeitskräfte im Dienstleistungsgewerbe ausmachen und nicht wissen, wie es um ihre Zukunft bestellt ist.

    In weiteren Kapiteln erzählt die Autorin kenntnisreich und unterhaltsam, wie ein geisteswissenschaftliches Studium in Oxbridge sich von dem an einer deutschen Universität unterscheidet und wägt Vor- und Nachteile ab, die ein intensives Studium mit nächtelangen Sitzungen in einer rundum die Uhr geöffneten Bibliothek mitsichbringt und erzählt von einer Studienbetreuung, die hierzulande schwer zu finden ist.

    Nicht zu kurz kommen die Geschichte der Studienorte, Ausführungen zur Arbeitsmoral und Mentalität des Universitätspersonals sowie eine bidlhafte Schilderung der Freizeitaktivitäten, die das Angebot hiesiger Universitäten deutlich in den Schatten stellen.

    Dass die Studiengebühren, die die Autorin deutlich kritisiert, eine Lichtseite haben, wird an der eingehenden Beschreibung der Verpflegung auf dem Campus deutlich, was die Autorin zu der Erkenntnis veranlasst, dass derjenige, der vermögend ist, für Alltägliches kein Geld aufzuwenden braucht und derjenige, der arm ist, für sein Essen zu zahlen hat. Insgesamt setzt sich "Dear Oxbridge" eingehend mit der (Sozial-)Politik Englands auseinander, der in Oxbridge die Wege für die zukünftigen Eliten bereitet werden, die später das Land regieren, dass in seiner Sozialpolitik schon lange am Abgrund steht.

    Am Ende des Buches geht die Autorin darauf ein, welche Gründe dazu führen, dass in Deutschland eine Abkehr vom generischen Maskulinum stattfindet und sie plädiert dafür, dem Beispiel Englands zu folgen und mit einem Begriff für eine Berufsbezeichnung alle Menschen zu erfassen.

    Sie traf in Oxbridge einige Studenten, die sich selbst keinem Geschlecht zuordnen und argumentiert damit, dass eine sprachliche Gleichstellung auch Gerechtigkeit bedeute.

    In ihren längeren Ausführungen, die zweifelsfrei exzellent begründet sind und einmal mehr beweisen, dass in Oxbridge eine überlegene Debattenkultur gepflegt wird,

    zeigt sich allerdings auch eine Vehemenz, die wenig Toleranz für sprachliche Flexiibilität und Freiheit unter Berücksichtigung deutscher Eigenheiten aufweist, was nicht zwangsläufig auf einen aggressiven Feminismus hindeutet.

    Abgesehen vom letztgenannten Punkt ist "Dear Oxbridge" eine innige Liebeserklärung an England und seine Menschen, an das dortige Bildungswesen, das in diesem Buch humorvoll, kontrovers und stellenweise spitzfindig diskutiert wird und nicht zuletzt und überraschenderweise an das Essen auf der Insel, das offensichtlich besser als sein Ruf zu sein scheint.


    ASIN/ISBN: 3869712031

  • Studiengebühren von 9000 Pfund

    Dies galt aber nur bis zum Brexit. Jetzt können es für Nicht-Briten in Oxford eher 30.000 GBP pro Jahr werden.

    Da ich im März erst in Oxford (Pub "Turf Tavern") war und im April von der Autorin das Buch "Kleine Probleme" las (intelligent und witzig geschrieben, aber inhaltlich etwas belanglos), bin ich auf "Dear Oxbridge" auch aufmerksam geworden und werde es "demnächst" :/ lesen. Dein Eindruck liest sich zumindest nicht abschreckend.


    ASIN/ISBN: 3869712406

  • Hallo xexos ,


    die nicht geringe Erhöhung der Studienkosten in den letzten Jahren ist mir nicht entgangen, ebenso nicht wie die Tatsache, dass den Colleges erhebliche Einnahmen während der Pandemie entgangen sind, da Oxbridge die zahlungskräftigen asiatischen Studenten fehlten.


    Ob "Dear Oxbridge" jetzt belanglos oder interessant für Dich zu lesen ist, kann ich natürlich nicht beantworten.

    Zwar bin ich bislang nicht dorthin gereist, habe jedoch einige Kulturführer über diese Städte gelesen, die tiefer in die Materie als dieses Buch eingedrungen sind.

    "Dear Oxbridge" lebt von der sehr persönlichen, emotional erzählten Erfahrung während, kurz vor und nach dem Brexit, nicht von Geschichtszahlen und in erster Linie von den Menschen, die diese Universitätsstädte zu dem machen, was sie gleichermaßen sind: Bildungsstätten und Kaderschmieden.

    Um herauszufinden, ob das Buch ein Gewinn für Dich ist, musst Du es dann wohl lesen; schwer ist die Lektüre nicht und nachttischtauglich allemal :wave.