Robert J. Sawyer: Die Neanderthal Parallaxe

  • In einem Tank mit schwerem Wasser, der hunderte von Metern unter der Erdoberfläche in einer ehemaligen Nickelmine zur Detektion von Neutrinostrahlen dient, materialisiert plötzlich ein Mensch, der von einer beherzten Wissenschaftlerin vor dem Tod durch ertrinken gerettet wird. Der Mensch sieht merkwürdig aus: Er ist sehr groß und kräftig, hat dicke Wülste über den Augen, eine riesige Nase, fast kein Kinn, dafür ist er stark behaart. Und niemand versteht sein Kauderwelsch. Herrschaften, wir stellen vor: Ponder Boddit aus dem Paralleluniversum, in dem nicht der homo sapiens überlebt hat, sondern der homo neanderthalensis.


    Ponder, seines Zeichens Quantenphysiker, hat an gleicher Stelle mit seinem Wissenschaftlerkollegen an einem Quantencomputer gearbeitet. Wir wissen – spätestens jetzt – alle, daß Quantencomputer möglicherweise auf Paralleluniversen zugreifen. Zumindest behauptet das eine der gängigen Theorien, der es an Beweisen mangelt, weil noch niemand einen Quantencomputer gebaut hat. Aber das ist eine andere Geschichte.


    Sawyer legt ein solides, sprachlich nicht sonderlich anspruchsvolles SF-Werk vor (Gewinner des HUGO-Awards 2004), in dem er eine Alternativwelt vorstellt, nämlich die der Neanderthaler mit ihren großen Nasen und manchmal kaum beherrschbaren körperlichen Kraft. Deshalb spielen die olfaktorische Komponente (Stichwort: Pheromone) und eine starke Überwachung durch implantierte „Gefährten“, die pausenlos Überwachungsvideos ihrer Träger an sogenannte „Alibi-Archive“ senden, große Rollen. Ansonsten wirkt die Welt der Neanderthaler achtsamer und beschaulicher; auch einige „menschliche“ Tabus existieren nicht, dafür gibt es immer noch Mammuts. Ach ja, und der Wissenschaftler-Kollege und Liebhaber Boddits wird des Mordes angeklagt, weil in den Tiefen der Mine keine Archivaufzeichnung möglich war, und von Boddit fehlt ja jede Spur.


    Das Buch bietet eine überschaubare Anzahl an Stereotypen und vorhersehbaren dramaturgischen Entwicklungen bis hin zum unvermeidlichen Happy-End, aber es ist, von seinen etwas zähen wissenschaftlichen Erläuterungen abgesehen, flott und zeitweise augenzwinkernd erzählt. Gute SF-Kost, die sich ein wenig vom Fastfood der Branche abhebt.

  • Abgesehen davon, dass amerikanische Geheimdienste angeblich bereits mit einem Prototyen des Quantencomputers arbeiten sollen, woher ich das weiß weiß ich nicht mehr:-) hört sich das nach einer lesenswerten Unterhaltung an.

    Schon der weise Adifuzius sagte: "Das Leben ist wie eine Losbude, wenn Du als Niete gezogen wurdest, kannst Du kein Hauptgewinn werden.":chen

  • Hallo, Marlowe.


    Wer weiß, welche Verschwörer gerade an was basteln ... :wow


    Das ist solide, schnell gelesene, zuweilen recht originelle Kost, und ein SF-Fan macht nichts falsch. Sprachlich usw. allerdings nicht in der Kategorie von Morgan oder Simmons.

  • Sawyer hat da mit viel Geschick, Phantasie und Hintergrundwissen einen spannenden Roman geschrieben. Dieser Roman bietet aber außerdem viele Ansatzpunkte zum Drübernachdenken. Dass gerade ein Neanderthaler, der in unserer Zeit als primitiv, wild und roh gilt, die Menschen in der Parallelwelt durch seine viel zivilisiertere Art beschämt, enthält auch einige Ironie.


    Nicht so gut finde ich, dass der Moralaspekt schon ein wenig zu aufdringlich dargestellt wurde. Trotzdem: ein aus meiner Sicht empfehlenswertes Buch.

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde

  • Mich hat das Buch leider nicht überzeugt. Ich fand es recht trocken und unspannend erzählt. Der Hauptaugenmerk lag auf der Neanderthal-Zivilisation, aber so richtig gut und toll kam das nicht rüber. Die Gerichtsverhandlung fand ich sogar recht langatmig.
    Und so wirklich originell, das die Neanterthaler so andes leben sollten als wir es tun, fand ich es gar nicht. Soviel besser empfand ich ihre Lebensart gar nicht.


    Der Folgeband landet jedenfalls nicht auf meiner Wunschliste.