ECHT - unsere Jugend

  • Echt jetzt? Tom hat sich eine Doku über eine Jungsband angeschaut, die er damals, als sie erfolgreich war, mindestens widerwärtig fand? Für deren Fans er, wenn sie ihn beim Plattenauflegen nach Titeln der Gruppe fragten, nur Verachtung empfand?


    Ja, hat er.


    "ECHT - unsere Jugend" ist schon seit zwei oder drei Monaten in der ARD-Mediathek verfügbar, aber ich hatte den ersten Versuch nach ein paar Minuten abgebrochen. Gestern Abend, beim Prä-Streaming-Zappen durchs Linearfernsehen, blieben wir allerdings im RBB hängen und haben dann alle drei Folgen angeschaut. Und was soll ich sagen? Das ist wirklich sehenswert.


    Die Dokumentation, die überwiegend aus privaten Aufnahmen besteht, die der Sänger Kim Frank damals gemacht hat, der auch für diese Dokumentation verantwortlich zeichnet und sie (ganz wundervoll) aus dem Off kommentiert, erzählt vom Auf- und Abstieg eines Phänomens, das die Jahre 1999 bis 2001 ziemlich beherrscht hat, was die deutschen Popcharts anbetrifft, aber nicht nur in diesem Bereich. Mit dem sensationellen Erfolg der fünfköpfigen ehemaligen Schülerband, die nicht zusammengecastet worden ist, wie oft kolportiert wurde, sondern aus Freunden bestand, die mit 13 mit dem gemeinsamen Musikmachen angefangen haben (zuerst unter dem Bandnamen "Seven Up", weil noch zwei Mädchen dabei waren), kam dann auch die Prominenz, und spätestens mit der Liaison, die Frontmann Frank mit der acht Jahre älteren Bravo-TV-Moderatorin Enie van de Meiklokjes einging, wurde auch die Boulevardpresse aufmerksam. Aber von der Bravo bis zur Bild haben die fünf (zur Hochzeit ihrer Schaffensperiode) Siebzehnjährigen damals sowieso alles beherrscht, zuvorderst natürlich Viva, MTV, aber sogar die Harald-Schmidt-Show.


    Obwohl eigentlich nur die altbekannte Story von Sex, Drugs und Rock 'n Roll erzählt wird, von an Bekanntheit zerbrechender Freundschaft, von der Überforderung durch die Herausforderung, vom Glauben an die eigene Musik, die für alle anderen aber nur ein Produkt ist, und, vor allem, vom Irrtum, innerhalb einer Band gleichwertig zu sein, nimmt diese drei Stunden lange Inszenierung wirklich mit, weil sie so nahe dran ist, weil die (manchmal ziemlich peinlichen) Bilder nicht zum Zweck der Dokumentation entstanden sind, sondern überwiegend aus Spaß. Außerdem macht Frank, der schon zur Zeit des Bestehens von "Echt" mit der Filmemacherei angefangen und auch für einige Musikvideos verantwortlich gezeichnet hat, seine Sache ganz exzellent, und es wird beinahe nie pathetisch oder tränendrüsig. Und die paar Momente, in denen es doch passiert, sind gut auszuhalten.


    Ein sehenswertes Dokument über deutsche Popgeschichte. Ich finde die Musik ("Du trägst keine Liebe in Dir", "Weinst Du oder ist das der Regen?" usw.) immer noch ziemlich grausig, aber der unbedingte Wille, mit der eigenen Musik erfolgreich zu werden, koste es beinahe, was es wolle, hat mich doch beeindruckt, und dem Bandmikrokosmos bei seiner Entwicklung zuzuschauen, ist echt interessant. Außerdem wird einiges an Zeitgeschichte mitgeliefert. Das ist zwar erst zwanziglangsam Jahre her, wirkt aber wie aus einem anderen Zeitalter. Allerdings bekomme ich bei der fast schon blasphemischen Fassung von Rio Reisers "Junimond" auch heute noch eine Gruselgänsehaut.


    In der ARD-Mediathek: https://www.ardmediathek.de/se…i5kZS9zZGIvc3RJZC8xNTY3/1