Vor einem großen Walde – Leo Vardiashvili

  • Claasen, 2024

    464 Seiten

    OT: Hard by a Great Forest

    Übersetzt von Wibke Kuhn


    Kurzbeschreibung:

    Georgien, 2010. Auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg bleibt Sabas Mutter zurück. Erst Jahre später hat sein Vater genug Geld, um nach ihr zu suchen. Doch in Tbilissi verschwindet der Vater, und auch der ihm folgende ältere Bruder. Nun ist es an Saba in das ihm unbekannte Land aufzubrechen. Begleitet von den Stimmen seiner georgischen Familie folgt Saba den Hinweisen, die sein Bruder ihm hinterlassen hat. Graffiti, versteckte Notizen, ein Manuskript. Und eine Warnung: Kehre um! Wie im Märchen wird es lebensgefährlich für Saba. Er muss in das von Russland besetzte Südossetien reisen, durch einen großen Wald, der eine Grenze ist: zwischen Ländern, zwischen Wahn und Wirklichkeit, zwischen Leben und Tod.


    Über den Autor:

    Leo Vardiashvili ist in Tbilissi aufgewachsen. Als er zwölf ist, immigriert seine Familie aus dem postsowjetischen Georgien nach England. Er hat in London Literatur studiert und arbeitet heute als Steuerberater in Birmingham.


    Mein Eindruck:

    Leo Vardiashvili habe ich vor kurzen bei einer Lesung gesehen und wollte daher dieses Buch zeitnahe lesen.

    Nach guten Anfang gab es zwar ein paar Längen, aber das gibt sich in der beeindruckend dramatischen zweiten Romanhälfte.


    Wie oben erwähnt ist der Protagonist nach Jahren zurück in seine alten Heimat Georgien, um dort seinen verschollenen Vater zu suchen. Dabei unterstützen ihn Freunde und schließlich führt die Reise in ein gefährliches Gebiet. Das von den Russen besetzt Südossetien.

    Das aufregende am Buch sind die Schauplätze, die man sonst in der Literatur seltener findet. Dazu gehört auch, dass man Verhaltensweisen der Einwohner kennen lernt.


    Es ist aber kein typisch georgischer Roman, da Leo V. auf Englisch schreibt. Kein Wunder, ist er doch schon als Kind nach England gekommen. Die Sprache hat eine Frische, aber nicht die Komplexität, die einigte georgische Schriftsteller zu eigen haben.


    Das Buch beinhaltet schwere Themen, hat aber auch eine Leichtigkeit. Daher wird es ein guter Roman, der unterhält.


    ASIN/ISBN: 3546100948

  • Die Sonne wird aufgehen, daran führt kein Weg vorbei...



    Was für ein Buch! Schon die ersten Seiten entwickeln einen Sog in das Leben des Ich-Erzählers Saba, dessen Familie auf rätselhafte Weise in Georgien verschwunden ist. Als Saba noch ein Kind ist, gelingt seinem Vater mit ihm und dem Bruder die Flucht aus dem damaligen Bürgerkriegsland, doch sie müssen die Mutter Eka zurücklassen. Der Vater arbeitet hart, um sie zurückzuholen; als dann ihre Todesnachricht übermittelt wird, macht er sich auf nach Georgien um zu recherchieren, was passiert ist. Nach einiger Zeit werden die Nachrichten immer spärlicher, bis sie mit einer geheimnisvollen Mail ganz enden und der Vater verschwunden scheint.


    Nun macht sich der Bruder auf in das Heimatland und ist nach einiger Zeit ebenfalls unauffindbar. Was bleibt Saba übrig; nun ist er an der Reihe sich auf die Suche zu begeben und die beginnt schon sehr ominös, denn als ihm am Flughafen der Pass abgenommen wird, wird klar, dass die Geheimpolizei ihn im Visier hat, doch aus welchem Grund?

    Er stellt fest, dass sein Bruder ihm Hinweise hinterlassen hat, die nur er erkennen und lesen kann. Also macht er sich auf eine abenteuerliche Suche in einer fast surreal wirkenden Stadt, durch die zu allem Unglück wilde Tiere streifen, die aus einem Zoo ausgebrochen sind. Immer mit dabei sind die Geister der Vergangenheit, die ihn nicht loslassen und mit denen er imaginäre Gespräche führt.


    Diese Handlung hätte trocken und traurig geschildert werden können, geht es doch um schwere Themen wie Bürgerkrieg, Flucht, Tod und Verlust, doch die Sprache ist, trotz des ernsten Themas, von Humor durchdrungen, die Formulierungen fast poetisch, die Eindrücke des Erzählers sind sehr plastisch. Ich habe mich beim Lesen mit dem Bürgerkrieg in Georgien beschäftigt, habe mir einen Film über Tbilissi angesehen und gestaunt, welche Schönheiten sich in diesem geschichtsträchtigen Land befinden.

    So habe ich eine Ahnung dessen bekommen, wo sich Saba auf die Suche gemacht hat und konnte ihn ein Stück begleiten.


    Über der ganzen Suche liegt eine Ahnung von Traurigkeit, eine Emotion, die einen beim Lesen der vielen menschlichen Tragödien beschleicht, an die Saba sich erinnert und doch finden sich in seinen Erinnerungen und Erlebnissen auch viele Lichtblicke; Menschen, die halfen und helfen und immer wieder auch Hoffnung auf ein besseres Leben, auf ein Wiedersehen mit seiner Familie.


    Ich könnte noch weiter schwärmen, denn dieses Buch ist einfach außergewöhnlich. Die Sprache, die Bilder, der trotzige Humor und die Erkenntnis, dass es in Zeiten von Unmenschlichkeit doch noch Menschlichkeit gibt, machen es für mich schon jetzt zu einem meiner Jahreshighlights.

    Eine begeisterte Leseempfehlung für dieses Buch, dessen Autor eine wundervolle Geschichte zu erzählen hat…