'Späte Ernte' - Seiten 273 - Ende

  • Lis wird mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Sehe nur ich dabei diesen Schmierfink Julian R. vor meinem geistigen Auge? Möchte ich mit so jemand verheiratet sein? Selbst ohne diesen expliziten Skandal lädt man an der Seite so eines Mannes „eine Art von Schuld“ auf sich, auch wenn man keine Ahnung von Übergriffen etc. hat. Doch allein der Job als Schmutzfink bei einem Lügenblatt macht so jemanden zu einer Art von Täter und wenn man an seiner Seite ist, respektiert/akzeptiert oder zumindest duldet/toleriert man, dass der Partner durch seine Arbeit viel Schmutz produziert, der Menschen verletzt und manchmal sogar ruiniert.


    Allerdings konnte ich hier die Vorwürfe, sie wäre nur Goldgräberin, die von ihrem Ex profitiert hat und sich nun den nächsten Kerl sofort angelt, nicht nachvollziehen. Allerdings fände ich die Frage, wie in einem umgekehrten Fall mit einem Mann verfahren worden wäre, sehr interessant zu beleuchten. Lis' Fehler war es einfach, zu lange die Vorteile ihres privilegierten Daseins zu genießen und dabei die Augen gegenüber ihrer Umwelt geschlossen zu lassen. Sicher, die Taten hat ihr Mann beganngen, aber sie hat sehr lange einfach weggesehen und -gehört. Schuld hat sie damit juristisch nicht auf sich geladen, aber dass sie eine moralische Schuld empfindet, kann ich gut nachvollziehen. Und ehrlich gesagt spricht es auch für sie, dass sie so empfindet und sich nicht einfach nur schüttelt und denkt „fort mit Schaden“.


    Das Kästchen mit den Papieren... ja, so erklärt sich Lenes Härte, auch gegenüber Gisela. Dabei kann das Kind ja nichts dafür. Wen sollte man hassen? Elias vielleicht, der hatte ja sicher so eine Ahnung, dass er keine Konfirmanden über die „Rattenlinie“ schleust. Der Verdacht auf Nazis oder Kriegsverbrecher lag schon nahe. Sehr gut gefallen hat mir hier, dass der Prolog noch einmal aufgegriffen wurde und die doch sehr harte Szene so in einen zeitlichen Kontext gesetzt wurde. Das hat gut gepasst.


    Aber schwierig: Lene konnte anscheinend weder Elias noch sich selbst verzeihen, und ihrer Tochter Gisela anscheinend auch nicht. Eine traurige Geschichte, die lange Schatten geworfen hat. Ob und wieviel Gisela wohl selbst davon weiß? Ist es in so einem Fall besser zu wissen, welchen Grund die Ablehnung hat oder nicht? Auch das finde ich eine schwierige Frage: weiß man es, kann man ja argumentieren, dass man doch selbst nichts dafür kann, die Tochter eines Schweins zu sein. Weiß man es nicht, fragt man sich, was man falsch gemacht hat, dass man nicht so von den Eltern geliebt wird, wie man es sollte...


    streifi

    Ich denke, Elias war darüber schockiert, was für ein Monster er da ins Haus gelassen hat. Und vermutlich dachte er sich, besser Lene erfährt es von ihm als jemand anderem. Wäre es so gewesen, hätte sie ihn sicher gefragt, ob er es gewußt hätte und eine Lüge hätte sie garantiert als solche erkannt.


    Vermutlich ahnte er, dass hier die Flucht nach vorne immer noch besser ist als ein (trügerischer) Zeitgewinn durchs Verheimlichen der Schlagzeile. Alles kommt
    irgendwann ans Tageslicht.


    Die finale Aufklärung ging mir ein klein wenig zu glatt vonstatten: Laden an Saskia übergeben, Befreiungsinterview und gut ist. Da hätte ich mir ein wenig mehr Ausführlichkeit gewünscht. Dafür, wie sehr und wie lange Lis unter dem Prozeß und seinen Folgen gelitten hat, wurde mir das ein wenig zu hektisch abgenudelt.


    Und ganz ehrlich: Marco spielt so eine kleine Rolle im Buch – den hätte ich gar nicht gebraucht. Auch ohne ihn war für mich sehr gut erkennbar, dass Anna eine toughe Frau ist, die alleine sehr gut klarkommt – aber eben auch keine typische Einzelgängerin ist.


    Nichtsdestotrotz hat mir das Buch wirklich sehr gut gefallen und ich bedanke mich sowohl bei Nicole Wellemin bei der Leserundenbegleitung als auch beim Verlag für das Gratisexemplar, das einen Platz in meinem Regal finden darf (und wer mich kennt, weiß, dass bei mir aus Platzgründen nur wenige Bücher nach der Lektüre bleiben dürfen).

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Am Schluss kommt die ganze tragische Geschichte von Lene, Elias und Gisela ans Licht.

    Ich kann verstehen, dass Elias Lene die Zeitung gezeigt hat.

    Wahrscheinlich stand er selbst noch unter Schock.

    Sicher hat er nicht damit gerechnet, welche Auswirkungen das auf Lene und ihr weiteres Leben haben wird...........

    Arme Lene. Mit diesem Wissen weiterleben zu müssen ist aber auch ganz schwer. Das steckt man nicht so einfach weg.

    Aber schade, dass Gisela vieles abbekommen hat.

    Zumindest Elias hat ihr aber seine Liebe gezeigt.

    Lene war ja auch schon vorher sehr abweisend und harsch zu Gisela, ich denke an die Szene mit den Fragen zum Himmel.........


    Zumindest die aktuellen Schicksale in der Gegenwart scheinen eine gute Wendung zu nehmen.

    Ja, Elisabeth hat ihre Augen wohl lange Zeit zugedrückt und nichts sehen wollen........dafür kann sie schon Schuldgefühle entwickeln.

    Das kann ich nachvollziehen.

    Für die Taten ihres Mannes ist sie aber nicht verantwortlich.

    Und ich glaube ihr auch, dass sie an Seitensprünge (wie vom Vater gekannt) gedacht hat.....und den Rest ausgeblendet hat. Oder was in der Art.

    Nun, als Lis, kann sie quasi ein neues Leben beginnen - was für ein Geschenk.


    Und Anna geht zielstrebig ihren Weg.

    Die Rolle von Marco fand ich auch nicht so ganz überzeugend, vielleicht aber auch nur, weil ich mir so eine Beziehung nicht für mich vorstellen kann.

    Er war ja insgesamt nur sehr wenig präsent.


    Die Beschreibungen vom Apfelanbau und der Herstellung von Apfelsaft war sehr interessant.

    Und ich finde sortenreine Säfte auch toll.

    Wobei ich niemals täglich und gegen den Durst Saft trinke.

    Von daher würde ich mit so besonderen Säften und Mischungen zu besonderen Anlässen, also nicht im Alltag, gut klarkommen.

    Auf mein Glas Wein würde ich deswegen aber nicht verzichten. ;-)

  • Lene war ja auch schon vorher sehr abweisend und harsch zu Gisela, ich denke an die Szene mit den Fragen zum Himmel.........

    Hier ist ihr (mal wieder?) bewußt geworden, dass in Gisela eben auch anderes Blut fließt. Die Familie selbst ist ja eine einfache Bauernfamilie - da hat man nicht Zeit für solche Gedanken.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Hier ist ihr (mal wieder?) bewußt geworden, dass in Gisela eben auch anderes Blut fließt. Die Familie selbst ist ja eine einfache Bauernfamilie - da hat man nicht Zeit für solche Gedanken.

    Ja, sicher........schon da war klar, dass Gisela es nicht leicht hat und nie haben wird.


    Und wenn ich so nachdenke.........eigentlich haben doch Lene und auch Elias sich oft schöne Gedanken über etwas gemacht. Vorstellungen über ihr Leben und Träume..........sie sind mir beide gefühlsmäßig und auch in ihrem Denken immer offen vorgekommen. Zumindest in den "guten Zeiten".

    Schlimm und traurig, wie einem so etwas genommen werden kann.

  • Ich kann mich meinen Vorschreiberinnen nur anschließen: ein wirklich schönes und gelungenes Buch! :anbet Für mich war auch das Ende sehr passend und die geraffte Erzählweise zum Schluss angemessen. Da gings ja "nur" noch um den versöhnlichen Abschluss.


    Bevor ich auf einzelne Punkte näher eingehe, möchte ich gern nochmal was zum Vergleich Alte Sorten und Späte Ernte sagen, den wir im 1. Abschnitt hatten. Dort habe ich ja geschrieben, dass ich beide Bücher sehr ähnlich finde. Das war ungefähr im ersten Drittel des Buches der Fall, aber

    irgendwann haben sich die Bücher für mich unterschiedlich entwickelt und jedes Buch hat eigene Schwerpunkte und eine eigene Tonalität. Anfangs also vergleichbar, später ganz unterschiedlich - fand ich super so! :)

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Ganz frei spreche ich sie nicht. Sie war eine Frau, die sich vor Problemen immer weggeduckt hat. Unbewusst hat sie ihrem Mann damit vermittelt, dass sein Verhalten ihr gegenüber nicht so schlimm ist. Dass man Frauen gut manipulieren, belügen, mit Geld und bisschen Blabla befriedigen kann. Lis hat über 30 Jahre sein Frauenbild mitgeprägt. Und das hat er auch auf andere Frauen produziert. ...

    Ich sehe deinen Punkt hollyhollunder und sicher hat Lis sein Frauenbild (mit)geprägt. Aber trotzdem: NEINE! Für mich hat Lis keine Schuld. Warum entschuldigen wir - immer noch - die Taten von erwachsenen (!) Männern mit dem vermeintlichen Fehlverhalten von Frauen??? Warum sollen müssen Ehefrauen auf ihre Ehemänner aufpassen, Mütter auf ihre erwachsenen Söhne und Mitarbeiterinnen auf ihre Chefs ??? Das sind doch keine kleinen Kinder, sondern mündige Erwachsene, die sehr genau wissen, dass ihr Verhalten nicht in Ordnung ist. (Was anderes wäre es natürlich, wenn Lis tatsächlich gewusst hätte, was ihr Mann da treibt, aber der Verdacht des Fremdgehens und zufällig mitbekommene Andeutungen auf der Damentoilette sind mir da viel zu wenig). Lassen wir doch die Schuld bei den Tätern und verharmlosen und entschuldigen wir ihr Fehlverhalten nicht!


    Jeder Mensch lernt und kann sich ändern.

    :write Und jeder (erwachsene) Mensch ist für seine eigenen Taten verantwortlich!

    Allerdings fände ich die Frage, wie in einem umgekehrten Fall mit einem Mann verfahren worden wäre, sehr interessant zu beleuchten.

    Diese Frage finde ich auch interessant! Vielleicht bin ich jetzt ungerecht und sehe es zu einseitig, aber habt ihr schon einmal gehört, dass ein Mann an den Taten - außerhalb des eigenen Zuhauses - seiner Ehefrau mitschuldig gemacht wurde? Und ihm vorgeworfen wurde, er war zu wenig aufmerksam und hätte es merken müssen, dass irgendwas nicht stimmt?


    Auch die andere Frage, die Batcat aufgeworfen hat, finde ich interessant:

    Selbst ohne diesen expliziten Skandal lädt man an der Seite so eines Mannes „eine Art von Schuld“ auf sich, auch wenn man keine Ahnung von Übergriffen etc. hat. Doch allein der Job als Schmutzfink bei einem Lügenblatt macht so jemanden zu einer Art von Täter und wenn man an seiner Seite ist, respektiert/akzeptiert oder zumindest duldet/toleriert man, dass der Partner durch seine Arbeit viel Schmutz produziert, der Menschen verletzt und manchmal sogar ruiniert.

    Das finde ich wirklich schwierig zu beantworten. Zum einen ist natürlich jede/jeder selbst für seine "Taten" verantwortlich (siehe oben), aber hier profitiert ja der Ehepartner auch von der "schmutzigen" Arbeit. Da habe ich noch keine Antwort darauf, muss mal drüber nachdenken.


    In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch erwähnen, dass mir die Darstellung von "anderen" Meinungen von Lis Geschichte durch die engagierte Kommentarschreiberin oder die faire Reporterin sehr gefallen hat. Zwar dachte Lis zuerst, die ganze Welt sei gegen sie, doch als sie sich wieder öffnen konnte, konnte sie auch solche Beiträge sehen und wertschätzen. Das fand ich realistisch und gut dargestellt, weil es kein schwarz-weiß ist. :thumbup:

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Ich sehe deinen Punkt hollyhollunder und sicher hat Lis sein Frauenbild (mit)geprägt. Aber trotzdem: NEINE! Für mich hat Lis keine Schuld. Warum entschuldigen wir - immer noch - die Taten von erwachsenen (!) Männern mit dem vermeintlichen Fehlverhalten von Frauen??

    Nein. Es geht doch gar nicht um ihn. Ich habe sein Verhalten NICHT entschuldigt. Mit keinem Wort. Es geht um SIE. Das eine hat mit dem anderen doch nur marginal zu tun. Erst mal geht es darum, dass sie am Boden zerstört ist. Und das liegt nicht nur an dem, was er getan hat, sondern erst mal daran, dass sie sich selber verzeihen muss. Und das muss sie, weil sie NICHT gehandelt hat. Weil sie geschwiegen, weggeduckt, weggesehen hat. Deshalb ist sie so kaputt am Anfang. Weil sie sich fragt, warum sie nicht anders reagiert hat. Und sie muss sich erst mal Absolution holen, von andern und von sich. Das wäre gar nicht nötig, wenn sie anders gehandelt hätte. Mich interessiert da noch gar nicht, was er getan hat. Hätte ja sein können, dass er sie NUR betrogen hat. Wäre das besser gewesen für sie? Wäre ihre Seele gesünder gewesen? Wäre sie nicht trotzdem kaputt genug gewesen? Und Frauen verhalten sich auch Frauen gegenüber so. Hier geht es nicht darum, wie Männer sind. Sondern wie Frauen sind. Und dass Männer "auch" wegen der Frauen so sind.

    Denkst du wirklich ein Mann kommt auf die Welt und entwickelt sich dann in einem luftleeren Raum zum Vergewaltiger, Verprügler, Frauenverachter, Frauenunterdrücker? Die Gesellschaft und persönliche Umstände machen ihn dazu. Und die Gesellschaft hat mehr Frauen als Männer. Und sie hat Frauen, die Frauen mobben, Frauen die Mädchen beschneiden, Frauen, die ihren Söhnen sagen, dass Männer nicht weinen und dass sie nicht kochen können und keine rosafarbenen Fußballshirts tragen sollten.


    Ich bleibe dabei. Wir Frauen müssen unser Verhalten überdenken und ändern, dann ändern wir die "Welt". Und sicher hat Lis ihren Mann nicht zu dem gemacht hat, was er ist. Aber in 30 Jahren hat ihr Verhalten seines sicher beeinflusst. Das gilt natürlich auch umgekehrt. Ein wenig sind beide zu dem was sie sind auch wegen des Verhaltens des anderen geworden.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Ninni Schulman - Den Tod belauscht man nicht

    Hanna Caspian - Im Takt der Freiheit


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Naja, ein wenig leisten die Männer bei der Erziehung ja auch.... Wenn man einen Vater hat, wie Lis ihn hatte und den Kindern vorgelebt wird, dass man keine Rücksicht nehmen muss auf den Partner und einfach macht was man will, dann prägt das auch die Kinder. Und nachdem ja gerne den Mädchen eher fügsames Verhalten und Anpassung beigebracht wird und bei den Jungs halt eher mal die eigene Wildheit noch gelobt wird, ergibt das hinterher halt unterschiedliche Verhaltensweisen. Ich denke grad in Lis Generation ist schon noch sehr darauf geachtet worden, dass Frauen sich zurücknehmen und Männer machen was sie wollen. Genau das ist ihr ja als Kind eingetrichtert worden und der Tod der Eltern hat sie nur darin bestärkt, dass das auch so sein muss, damit nichts schlimmes passiert. Unbewusst hat sie sicher auch die Befürchtung gehabt, dass etwas Schlimmes mit ihr passiert, wenn sie gegen Mannie und sein Verhalten aufbegehrt. So wie bei ihrer Mutter.


    Natürlich muss sich was ändern in de Erziehung und dem Umgang mit Kindern. Ich denke unsere Generation hat das eh schon anders gehandhabt als die unserer Eltern. Meine Mädels gehen sehr viel selbstbewusster in die Welt als ich es damals in ihrem Alter gemacht habe. Und da bin ich auch stolz drauf. Ich denke, das haben mein Mann und ich gut hinbekommen. Aber leider geht es auch anders und bis Mädchen wirklich die gleichen Chancen bekommen wie Jungs wird es sicher noch eine Weile dauern. Aber die Richtung ist ja schon mal die richtige. Wenn ich mir überlege, dass noch zu meiner Kinderzeit Frauen der Job einfach vom Ehemann gekündigt werden konnte, wenn sie den Haushalt nicht nach seinem Gusto erledigt hat... :pille

  • Natürlich muss sich was ändern in de Erziehung und dem Umgang mit Kindern. Ich denke unsere Generation hat das eh schon anders gehandhabt als die unserer Eltern.

    Das dachte ich auch. Aber wenn man in den SocialMediaWelten unterwegs ist, packt ein das nackte Grauen über die Kommentare. Erst zuletzt musste der DFB seine Seite für Kommentare blocken, wegen des neuen Trikots für die EM. Oder was Influenzerinnen und alle anderen erzählen, was sie für Kommentare bekommen auf manche Posts. Sooo viel hat sich da doch nicht geändert. Sobald man mal an der hübschen Oberfläche kratzt.


    Ich betone nochmal. Ich behaupte nicht, dass Lis die Welt verändert hätte. Und ja, auch Männer sind Beispiele für ihre Kinder. (Auch wenn IMMER NOCH in der Mehrzahl die Frauen zuhause bei den Kindern bleiben)Aber sie hätte erst mal ihre Welt verändert und wer weiß.

    Mir ging es nur um den Satz.... Lis hätte nichts ändern können, wenn sie sich anders verhalten hätte. Das zweifle ich an.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


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  • Liebe Alle,

    ich hoffe, ihr hattet erholsame und schöne Feiertage.

    Ich bin jetzt auch wieder zurück und lese voller Staunen und Dankbarkeit eure Diskussion hier. Es freut mich sehr, wie ihr euch von der Geschichte mitreißen lasst und euch nun genau dieselben Fragen stellt, die mich zu dieser Geschichte inspiriert haben.


    Es wurde weiter oben (ich weiß nicht mehr genau von wem) mal gefragt, ob es ein konkretes Vorbild für Lis gab. Nein. In ihre Figur und das Echo der Öffentlichkeit sind aber verschiedene Menschen und die Reaktionen der Umwelt auf die Verbrechen ihrer Angehörigen eingeflossen, zB Hillary Clinton, Linda de Mol aber auch eine Spiegel-Reportage über die Angehörige von Mördern Klick.


    Und ganz ehrlich: Marco spielt so einekleine Rolle im Buch – den hätte ich gar nicht gebraucht. Auchohne ihn war für mich sehr gut erkennbar, dass Anna eine toughe Frauist, die alleine sehr gut klarkommt – aber eben auch keine typischeEinzelgängerin ist.


    Das ist spannen - ich hatte Marco nämlich gar nicht als "Beweis" für Annas "Taffheit" gesehen, sondern wollte an der Akzeptanz der anderen auf ihr alles andere als konventionelles Lebensmodell zeigen, dass es MÖGLICH sein kann, Lebensmodelle, die einem erst einmal fremd und auch befremdlich vorkommen, ohne Beurteilung zu akzeptieren, auch wenn man selbst es nicht für sich haben wollen würde.

  • Nicole Wellemin  
    Ah, das habe ich so gar nicht gesehen. Wohl, weil in meinem weiten Umfeld die unterschiedlichsten Lebensmodelle existieren (mit Trauschein und ohne, gemeinsame oder getrennte Schlafzimmer und Wohnungen, Fernbeziehungen etc.). Das ist für mich alles ganz selbstverständlich und ich denke mir: solange das Paar mit der für sich gefundenen Lösung happy ist, bin ich es auch. :lache

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Das klappt aber nur, wenn die Männer das auch tun. So schön ich die Idee finde, dass wir Frauen viel möglich machen können, leben wir einfach doch in einer von Männern dominierten Welt

    Habe nie was anderes behauptet. ;) Ich wollte halt nicht über die Männer reden, sondern darüber was Lis hätte tun können. Aber hab jetzt auch alles gesagt dazu.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


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  • Mir ging es nur um den Satz.... Lis hätte nichts ändern können, wenn sie sich anders verhalten hätte. Das zweifle ich an.

    Ich glaube wir reden aneinander vorbei. Uns gehts um ganz unterschiedliche Punkte.


    Dir geht es um Lis. Ich gebe dir vollkommen recht, dass es einen Unterschied gemacht hätte, wenn sie sich anders verhalten hätte, vor allem für sie selbst. Sie hätte ein ganz anderes Bild von sich selbst, das hast du ja gut aufgeführt. Ob es Manni geändert hätte ist Spekulation - da spielt sehr viel mehr rein als "nur" das Verhalten der Ehefrau.


    Aber mir geht es um ganz was anderes: nämlich dass es Männern wie ihn (und Frauen natürlich genauso) viel zu leicht gemacht wird, die Verantwortung an andere abzuwälzen. Nach dem Motto: ich hab zwar was verbrochen, ABER ich bin ja gar nicht schuld (natürlich überspitzt dargestellt). "Schuld" sind alle anderen: die Eltern, die Gesellschaft, die Ehefrau, die Frau, die einen zu kurzen Rock getragen oder sich nicht/zu wenig/falsch gewehrt hat .... Und das macht mich wütend! Egal wie man aufwächst, wie das Frauenbild ist, welches Umfeld man hat ... schuld an der Tat sind die Täter! Und nicht alle anderen!

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • hollyhollunder

    Ich gebe Dir teilweise recht.


    Ja, wir Frauen müssen uns in manchen Dingen ändern. Männer aber auch. Und nicht zuletzt die ganze Gesellschaft. Da gibt es so unendlich viele Dinge (die in dieser Diskussion letztlich zu weit führen): Männer dürfen natürlich weinen. Sie dürfen rosa tragen. Genau so wie Frauen Infomatikerinnen, Ärztiinnen und Mechanikerinnen werden dürfen.


    Ich kriege immer die Kotze, wenn es in Läden "Jungsabteilungen" gibt mit blauen Shirts und Superhelden drauf oder auch nur Bob, dem Baumeister. In der "Mädchenabteilung" gibt es rosa Einhörner, Feen und Ponys. Warum gibt es nicht EINE Abteilung, in der es einfach alles gibt? z.B. auch blaue Shirs mit Einhörnern und rosa Shirts mit Drachen?


    Warum sind in so Büchern wie "100 Tips für ..." in der Jungensausgabe Tipps für Lagerfeuer und Abenteuer und in der Mädchenausgabe Tipps fürs Pickelausquetschen und wie man sich schminkt? Warum gibt es hier nicht EIN Buch mit ALLEM drin?

    Warum werden Mädchen oft immer noch so erzogen, dass sie kochen und putzen lernen, aber nicht, wie man einen Ölwechsel macht und einen Nagel einschlägt? (und natürlich umgekehrt).


    Da gibt es noch so unendlich viel zu tun! Auch wenn ich mich anfangs gegen Gendern "gewehrt" habe, finde ich es wichtig: Sprache ändert Denken und Denken ändert Verhalten...


    Hach. Ich könnte mich echauffieren. :bonk Aber diese Diskussion ist eigentlich ein anderes Spiel- (oder Minen- ;))Feld.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Vor lauter Lis bin ich noch gar nicht dazu gekommen, was zu Anna und Lene zu schreiben.

    Wen sollte man hassen?

    Niemanden. ;) Für mich ist es eine dramatische Geschichte, wo viele kleine "Fehler" zusammengekommen sind, die sich zu einer Familienkatastrophe entwickelt haben.


    Ich kann Elias verstehen, dass er die Chance nutzt, durch die Schleusung nicht nur Geld zu verdienen, sondern sich auch als Mann zu beweisen. Ich kann auch verstehen, dass er sofort zu Lene geht, als er den Zeitungsartikel findet. Er ist wohl selbst erschrocken und ich habe den Eindruck, dass er sich und Lene (und Gisela) als Einheit sieht und die Erkenntnis mit ihr teilen will. Dass sie so extrem abwehrend reagieren wird, konnte er nicht ahnen. Natürlich kann man über die Art und den Zeitpunkt diskutieren, aber insgesamt fand ich es schon richtig, es Lene zu sagen. Es war sonst ein sehr großer Vertrauensbruch gewesen.


    Auf mich hat es so gewirkt, als sei die Erkenntnis, wer Julius ist, der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Aber in Lene hat es schon vorher gearbeitet und gebrodelt. Für mich ist der Kern des Problems, dass sie sich selbst nicht verzeihen kann. Dazu kommt, dass sie Elias nicht mehr vertraut und Gisela sie ständig an ihren "Fehltritt" erinnert. Und dann macht sie in meinen Augen den größten Fehler: sie verschließt sich ihr gesamtes Leben und bleibt in ihrer vermeintlichen "Schuld" gefangen. Tragisch. Aber so wie Lene geschildert wurde, durchaus nachvollziehbar.


    Lene war durch ihre Erziehung und Erfahrung gewohnt, alles alleine zu machen und mit sich selber auszumachen, aber gerade das wird ihr hier zum Verhängnis. Für mich fehlt ihr ein soziales Umfeld, dem sie sich anvertrauen kann. Sie hat ja nur Elias, ihr fehlt eine Mama, eine Schwester, Cousine, Freundin oder irgendjemand, der ihr einen anderen Blick auf das Geschehene bietet. Oder - was zu ihrer Frömmigkeit, ihrer Zeit und ihrem Umfeld passen würde - ein Beichtvater, dem sie sich anvertrauen kann und der ihr die ersehnte Absolution gibt.


    Was ich am Buch super fand, war die Nachvollziehbarkeit der Handlungen. Die ganze Vorgeschichte von Lene und ihr Verhalten passen sehr gut zusammen, das ist alles sehr schlüssig. :thumbup:Und auch die Parallelen von Lenes und Lis Geschichte - Lis findet aus ihrem Loch wieder raus, Lene schafft das leider nie mehr.

    Immerhin konnte Anna sich von der Vorstellung lösen Schuld an den Taten des Großvaters getragen zu haben.

    Darüber war ich auch sehr froh, auch, dass sie das eigentlich schon vor der Handlung des Buches geschafft hat. Es wäre sonst zu viel geworden, so passt das für mich sehr gut. Bei Anna sehe ich Ähnlichkeiten mit Lene - ihren Dickkopf, ihren Drang, alles alleine schaffen zu wollen. Ich war froh über Annas Entwicklung im Buch, sie schafft es, Hilfe anzunehmen und das nicht als "Versagen", sondern als "Unterstützung" zu sehen. :thumbup:

    Hat Gisela von ihrem Vater eigentlich erst erfahren, als Anna das Kästchen gefunden hat? Die hat ja ein Leben lang vergeblich um die Anerkennung ihrer Mutter gekämpft so wie es scheint.

    Das hätte mich auch interessiert, Gisela bleibt für mich der "missing link" in der Generationenabfolge. Aber vielleicht hätte auch das das Buch gesprengt. Ihr Erleben ist eine andere Geschichte.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021