Vielleicht eine Buchempfehlung, von der ich finde, dass sie ganz gut in den Kontext passt:
Stephen Fry: Geschichte machen
Vielleicht eine Buchempfehlung, von der ich finde, dass sie ganz gut in den Kontext passt:
Stephen Fry: Geschichte machen
Und noch eine Leseempfehlung, ein Artikel dazu aus den
Für mich das Stimmigste, was ich zu diesem Thema lesen durfte.
"Und so wird aus einem literaturwissenschaftlich interessanten Detail ein größeres, symptomatisches Problem. Dann nämlich, wenn öffentliche Debatten auf Basis von unvollständigen Informationen stattfinden und Redaktionen alles nur noch als Meldung ohne Hintergrund behandeln."
Ok, dann fügen wir dem Artikel von Lukas Heinser doch etwas Hintergrund dazu...
Dahl hat die Umpa Lumpas geändert, Heinser scheint der Meinung zu sein, dass damit auch weitere Textänderungen nach Dahls Tod im Sinne des Autor sein können.
Die Änderungen an Dahls Werk wurden durch Sensitivity Reader erarbeitet. Typische Änderungen werden vorgenommen bzgl:
- Farben, sowohl in Bezug auf Haut (Ein Gesicht white of horror wird zu agog with horror) als auch in anderen Bezügen (Eine Stimme die darkly ist, wird zu einer die mysteriously ist)
- Verweise zu anderen Ländern, Regionen, Ethnien werden entfernt oder geändert. Z.B. aus hopping like a dervish wird like a frog
- Sex/Gender ist natürlich ein Thema. Queer im Sinne von strange wird entfernt. Men and woman, boys and girls, mothers and fathers werden ersetzt durch äquivalente gender-neutrale Begriffe wie parents oder siblings. Maskuline Pronomen werden zum Teil ersetzt, z.B. aus the catspringer in his burrow wird the catspringer in its burrow. Manchmal wird auch aus einem männlichen Charakter ein weiblicher (Der Character Small Fox in Fantastic Mr. Fox) Biologische Geschlecht wird durch das soziale Geschlecht ersetzt, so wird bzgl. Miss Trunchbull in Mathilda most formidable female geändert in most formidable woman.
- Rollenbilder aus der Zeit werden angepasst und beleidigende Begriffe im Kontext von Frauen werden abgemildert. Aus ugly old cow wird z.B. ghastly old shrew. Unterschiede zwischen Männer und Frauen werden entfernt, z.B. wurde folgendes gestrichen If I is giving a girl's dream to a boy, even if it was a really whoppsy girl's dream, the boy would be waking up and thinking what a rotbungling grinksludging old dream that was.
- Aussehen und Behinderungen sind ein großes Thema. Ob jemand körperlich attraktiv oder unattraktiv ist, wird häufig entfernt, vor allem bei Frauen. Das Wort fat darf nicht vorkommen, es wird ersetzt durch Wörter wie large oder enormous. Referenzen Richtung kleinen Wuchs werden entfernt. Zum Teil wird auch schon old geändert oder entfernt. Wörter wie crazy oder mad werden entfernt wie auch Hinweise auf niedrige Intelligenz oder psychische Störungen, Taubheit usw. In Hexen hexen wurde an der Stelle, an der klar wird, dass Hexen eine Perücke tragen z.B. hinzugefügt: There are plenty of other reasons why women might wear wigs and there is certainly nothing wrong with that.
In BFG werden die Gedichtzeilen
Aunt Sponge was terrifically fat / And tremendously flabby at that und Aunt Spiker was thin as a wire / And dry as a bone, only drier.
ersetzt durch
Aunt Sponge was a nasty old brute / And deserved to be squashed by the fruit und Aunt Spiker was much of the same / And deserves half of the blame.
- Mangel an Privilegien von Kindern ist ein Thema. So wurde bei Sophie in BFG die Beschreibung a little orphan of no real importance in the world entfernt.
- Verweise auf schlechte Körperhygiene, Alkohol und Rauchen werden zum Teil entfernt. Z.B. Small Fox sniffs a bottle of cider statt taking a sip.
- usw.
https://en.wikipedia.org/wiki/…Dahl_revision_controversy
https://www.theguardian.com/bo…language-deemed-offensive
https://www.bbc.com/culture/ar…riting-childrens-classics
Wer die Bücher als ebooks besitzt, hat dabei übrigens je nachdem wie man es sieht Pech bzw. Glück gehabt, sie werden automatisch aktualisiert. Die Wahl hat man dabei nicht.
Ergänzend hier noch eine Arbeit:
Deconstructing Willy Wonka’s Chocolate Factory: Race, Labor, and the Changing Depictions of the Oompa-Loompashttps://ourenvironment.berkele…cNair_Journal_2012_wc.pdf
Aus ihrem Fazit:
The textual whitewashing of the Charlie and the Chocolate Factory 1964 text also prevents audience interpellation and recognition of the masterslave narrative. Constructed through a master-colonizer gaze readers, viewers, people of color, third World citizens, and people who share a similar existence of exploitation as the Oompa-Loompas are unable to recognize their own similar plight and connection to the OompaLoompas. The audience is realigned with Willy Wonka and his ideologies. This broken interpellation works as a propagandistic force on behalf of the dominant class to continue dominating ideology through
media. Charlie and the Chocolate Factory is more than just a children’s story.
Mich würde interessieren, wer sich diese ganze Arbeit macht - sind das Verlagsmitarbeiter*innen?
Vom Verlag beauftragte Sensitivity Reader.
Ich persönlich finde gerade bei Roald Dahl die Idee dahinter tatsächlich absurd.
Nimmt man ein Buch wie George's Marvellous Medicine in dem der 8-jährige George auf seine Oma aufpassen muss, die ihn fies behandelt:
Statt ihr ihre reguläre Medizin zu geben, braut er ihr stattdessen eine 'magische Medizin' und schmeißt einfach so ziemlich alles rein, was er so im Haus findet. Neben Deo und Shampoo auch so Sachen wie Bodenpolitur, Tiermedikamente, Gin, Motoröl, Antifrost usw.
Nachdem er ihr die Medizin gegeben hat, wächst sie so groß wie das Haus und wird später, als Mr. Kranky nach Hause kommt mit dem Kran in die Scheune verfrachtet, wo sie wegen ihrer Größe bleiben muss.
Mr. Kranky ist begeistert wegen der magischen Medizin mit der sich auch Tiere vergrößern lassen und möchte sie in großen Mengen herstellen, um sie zu verkaufen. George versucht sie erneut herzustellen, aber sein letzter Versuch macht jetzt alles klein.
Die Oma denkt es wäre Tee, trinkt es und wird klein und kleiner, bis sie zu Mrs. Krankys Entsetzen und Mr. Krankys Vergnügen komplett verschwunden ist. Zuerst ist Mrs. Kranky schockiert, aber dann akzeptiert sie es und meint, dass ihre Mutter ohnehin zu einer Last geworden war.
Keine Ahnung, was jetzt konkret bei der Geschichte geändert wurde. Wahrscheinlich sieht die Oma nicht mehr hässlich aus oder so...
Nun, Roald Dahl wird nun in diesem Artikel gerade einmal erwähnt, und zwar in diesem Kontext
"Egal, ob nun bei Ottfried Preußler, Astrid Lindgren oder Roald Dahl: Erwachsene Menschen, die diese Bücher meist vor Jahrzehnten zuletzt gelesen haben, bringen empört ihre Angst zum Ausdruck, dass man ihnen ihre Erinnerung stehlen oder madig machen möchte. Kinder würden doch schon verstehen, dass man manche Begriffe heute nicht mehr verwende, heißt es dann. Und oft – gerade in den sozialen Netzwerken – geht es dann auch schnell um die ganz großen Fragen eines vermeintlichen Kulturkampfs: Wokeness, Zensur, Moraldiktatur."
Herr Heinser setzt sich aber nicht mit den drei oben genannten Autorinnen ( Autoren sind hier mit gemeint) auseinander, sondern eben mit dem aktuellen Aufreger und der damit einhergehenden Protestwelle. Und das ist nunmal Michael Ende. Es ist nun auch als Artikel zu verstehen und nicht als Doktorarbeit, was natürlich auch interessant gewesen wäre, aber den Rahmen doch etwas sprengen würde.
Danke jedenfalls für Dein Exposé
Maarten Das ist eine ziemlich Sammlung und aus meiner Sicht schon übertrieben. Hier wird die political correctness auf die Spitze getrieben - da hätte ich als Autorin etwas dagegen. Allerdings werden da natürlich gleich mehrere Bücher aufgelistet, so dass es nach mehr aussieht, als es pro Buch ist.
Und die Änderungen bei Michael Ende finde ich völlig akzeptabel.
Alles anzeigenVom Verlag beauftragte Sensitivity Reader.
Ich persönlich finde gerade bei Roald Dahl die Idee dahinter tatsächlich absurd.
Nimmt man ein Buch wie George's Marvellous Medicine in dem der 8-jährige George auf seine Oma aufpassen muss, die ihn fies behandelt:
Statt ihr ihre reguläre Medizin zu geben, braut er ihr stattdessen eine 'magische Medizin' und schmeißt einfach so ziemlich alles rein, was er so im Haus findet. Neben Deo und Shampoo auch so Sachen wie Bodenpolitur, Tiermedikamente, Gin, Motoröl, Antifrost usw.
Nachdem er ihr die Medizin gegeben hat, wächst sie so groß wie das Haus und wird später, als Mr. Kranky nach Hause kommt mit dem Kran in die Scheune verfrachtet, wo sie wegen ihrer Größe bleiben muss.
Mr. Kranky ist begeistert wegen der magischen Medizin mit der sich auch Tiere vergrößern lassen und möchte sie in großen Mengen herstellen, um sie zu verkaufen. George versucht sie erneut herzustellen, aber sein letzter Versuch macht jetzt alles klein.
Die Oma denkt es wäre Tee, trinkt es und wird klein und kleiner, bis sie zu Mrs. Krankys Entsetzen und Mr. Krankys Vergnügen komplett verschwunden ist. Zuerst ist Mrs. Kranky schockiert, aber dann akzeptiert sie es und meint, dass ihre Mutter ohnehin zu einer Last geworden war.
Keine Ahnung, was jetzt konkret bei der Geschichte geändert wurde. Wahrscheinlich sieht die Oma nicht mehr hässlich aus oder so...
Das ganze Buch streichen? Immerhin versucht der Junge, die Oma zu vergiften, und in gewisser Weise bringt er sie am Ende um ...
Das ist eine ziemlich Sammlung und aus meiner Sicht schon übertrieben. Hier wird die political correctness auf die Spitze getrieben - da hätte ich als Autorin etwas dagegen. Allerdings werden da natürlich gleich mehrere Bücher aufgelistet, so dass es nach mehr aussieht, als es pro Buch ist.
Erschreckend finde ich ja nicht die Menge, sondern die Intention hinter den einzelnen Punkten, die dann Buch für Buch konsequent durchgezogen wird.
Und für mich als mittlerweile hauptsächlicher ebook-Leser, auch, dass mir das einfach untergeschoben wird.
Das ganze Buch streichen? Immerhin versucht der Junge, die Oma zu vergiften, und in gewisser Weise bringt er sie am Ende um ...
Ja genau so wird heutzutage viel zu häufig über Kinder gedacht.
Genau das ist es, was ich damit meine, dass Roald Dahl Kindern etwas zutraut und ihnen Geschichten auf Augenhöhe erzählt. Er ist dabei immer auf der Seite der Kinder.
Die Oma ist böse zum Kind, das Kind ist in der Lage sich dagegen zu wehren. Und es tut dabei lauter verbotene Dinge, schmeißt die ganzen Sachen, an die es ohnehin nicht ran darf und meist auch nicht kann, alle zusammen in eine magische Medizin rein.
Die böse Oma kommt dorthin, wo sie mit ihrer Bösartigkeit hingehört: Sie wird bedeutungslos, verschwindet im Nichts.
Es ist eine richtig gelungene Kindergeschichte, zu der genau dieses Verbotene und auch das Gruselige hinzugehört. Die sich heutzutage wahrscheinlich niemand mehr zu schreiben trauen würde. Genau deswegen ist aber Roald Dahl auch heute noch bekannt, weil er sich das getraut hat.
rienchen Heinsers Fazit war ja:
ZitatNatürlich kann man Debatten über die Autonomie eines Autors führen, darüber, was ein literarisches Original ist, über „Zeitgeiste“ (und zwar den zur Zeit der Niederschrift und den zur Zeit der Lektüre) — und diese Debatten werden ja durchaus geführt von Literaturwissenschaftler*innen, die sich intensiv mit ihrem Gegenstand auseinandergesetzt haben, die das Handwerkszeug und das Vokabular dafür haben. Und natürlich muss sich Otto Normalleser nicht einer wissenschaftlichen Mehrheitsmeinung – so es sie denn überhaupt gibt – anschließen. Aber wie brisante Themen hier teilweise medial verhandelt werden, ohne die akademische Forschung auch nur zu Wort kommen zu lassen, das ist schon beunruhigend.
Ok, Du und ich stecken als Otto Normalleser offensichtlich nicht tief genug drin, um mitreden zu können. Und wir übernehmen das, was die Medien uns präsentieren.
Wenn ich Lukas Heinser folge, dann können wir hier ohnehin nicht sinnvoll diskutieren. Und ich vermute, dass wir keine Literaturwissenschaftler*innen in unserem Kreis hier haben, die uns die aktuelle wissenschaftliche Mehrheitsmeinung dazu - "so es sie denn überhaupt gibt" - dazu sagen könnten.
Sollten wir Literaturschaffenden in der Sache auch eine gewisse Expertise zutrauen, dann könnte vielleicht jemand aus dem Kreis der hier ab und zu anwesenden Literaturschaffenden uns wenigstens ein bisschen erhellen...
Aber Lukas Heinser schreibt auch:
ZitatNatürlich kann man da unterschiedlicher Meinung sein und eine differenzierte Diskussion beginnen, aber sowas macht ja mehr Spaß, wenn man es auf Grundlage von Fakten tut
Deswegen habe ich als Otto Normalleser wenigstens ein paar Fakten ergänzt.
Und ja, tatsächlich stört mich persönlich der Fall Roald Dahl viel mehr als der Fall Michael Ende, der am Beginn dieses Threads steht, der mich nicht wirklich berührt. Und die Diskussion von uns Otto Normallesern ist ja ohnehin vor allem eine emotionale. Daher...
rienchen
Sorry, mir ist gerade noch aufgefallen, dass Lukas Heinser gendert. Also sind mit Otto Normalleser nur Männer gemeint und Du bist fein raus...
Auch gut, fein raus zu sein. Alles gut, ich verstehe Deine Emotionalität und erfreue mich tatsächlich sehr daran!
Nachdem das Thema gerade in einer Leserunde zu Agatha Christies "Tod in den Wolken" aufkam, habe ich etwas recherchiert. Offenbar gab es die Diskussion schon zu Lebzeiten der Autorin und sie war mit Überarbeitungen einverstanden:
ZitatThe Forward stellte in einer Analyse aus dem Jahr 2020 fest, dass Christie unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust ihren US-Verleger ermächtigte, andere Ausdrücke über Juden zu entfernen, die das Unternehmen für kontrovers hielt.
Hier der gesamte Artikel: Klick
Nachdem das Thema gerade in einer Leserunde zu Agatha Christies "Tod in den Wolken" aufkam, habe ich etwas recherchiert. Offenbar gab es die Diskussion schon zu Lebzeiten der Autorin und sie war mit Überarbeitungen einverstanden:
Hier der gesamte Artikel: Klick
Danke Annabas wobei bei einem Artikel, der 2023 geschrieben wurde, finde ich diese Formulierung schon seltsam: Anspielungen auf Juden und andere Minderheiten zu entfernen, die von sensiblen Lesern als beleidigend empfunden werden.
Sollten das nicht alle als beleidigend empfinden?
Ebenfalls aus dem Artikel:
Auch Roald Dahl, der Kinderbuchautor, dessen Familie sich kürzlich für seinen Antisemitismus entschuldigte, ließ kürzlich Versionen seiner Bücher überarbeiten, um potenziell anstößige Formulierungen zu entfernen.
Das wirkt so - zusätzlich verstärkt durch die Nennung im Kontext von Agatha Christie - als hätte es in Roald Dahls Bücher antisemitische Äußerungen gegeben. Tatsächlich hat Roald Dahl sich in Interviews antisemitisch geäußert, nicht aber in seinen Büchern.
(Mal ganz davon abgesehen, dass Dahl 1990 gestorben ist und wohl kaum 'kürzlich Versionen seiner Bücher überarbeiten ließ')
Danke Annabas wobei bei einem Artikel, der 2023 geschrieben wurde, finde ich diese Formulierung schon seltsam: Anspielungen auf Juden und andere Minderheiten zu entfernen, die von sensiblen Lesern als beleidigend empfunden werden.
Sollten das nicht alle als beleidigend empfinden?
Sollten - vielleicht. Es tun - ganz sicher nicht. Meine Oma hat auch manchmal Sprüche rausgehauen, ohne sich was dabei zu denken. Und als wir der Familie erzählt haben, dass einer der in Frage kommenden Namen für unsere Tochter Rebecca ist, kam von einer Person "das ist doch ein Jidde-Nam!" Ich empfinde auch nicht alles als rassistisch, was meine Kinder triggert. Mit Blackfacing bei den Sternsingern oder beim Krippenspiel, wenn kein farbiges Kind mitgeht/mitspielt, habe ich überhaupt kein Problem.