Der Zeitgeist und die Bücher oder ist das Zensur?

  • Eigentlich sollte ich sagen: nicht nur heiß sondern auch nüchtern, respektvoll und argumentativ diskutiert wird!

    :kopfdreher

    Nun ja, in einer idealen Welt ...


    Aber zumindest hier geben wir uns Mühe.

  • Freiheit hat zwei Komponenten,

    a) die individuelle (für die Tom hier plädiert) und

    b) die gesellschaftliche (für die ein paar andere hier plädieren).

    Oh, ich plädiere nicht dagegen, der individuellen Freiheit gesellschaftliche Grenzen zu setzen. Wenn wir das nicht täten, lebten wir in einer Anarchie, und das tun wir zum Glück nicht.


    Ich halte die Freiheit der Meinung und die Freiheit der Kunst für zwei der wichtigsten Errungenschaften moderner Demokratien. Ich halte es für existentiell wichtig für Demokratien, dass sie diese Freiheiten schützen und nur im äußersten Notfall einschränken oder begrenzen.


    Und ich halte es für alles andere als einen Notfall, wenn Menschen sagen, sie hätten gerne Warnaufkleber auf der Kunst, damit sie sich nicht vollständig konjunktiven Gefahren aussetzen. Und ich halte diese Vorgehensweise tatsächlich für einen extrem problematischen Schritt, dem noch problematischere folgen können. Und erfahrungsgemäß werden.


    Aber ich stimme Dir zu, dass Freiheit diese beiden Aspekte hat. Jede und jeder sollte für einen bestmöglichen Ausgleich dieser beiden Aspekte eintreten, sonst wird einer von beiden missbraucht, instrumentalisiert, okkupiert, und damit entsteht dann eine echte Gefahr, und keine, die mit "Tabakerzeugnisse, sexuelle Inhalte" und ähnlichem Unsinn plakatiert wird.

  • Man könnte dies auch auf die Formel "Jede Freiheit hat auch eine Verantwortung" zusammenführen. Diese Freiheit wurde in den letzten Jahren aus meiner Sicht und ganz oft viel zu einseitig gefordert und stand oftmals viel zu unreflektiert auf großformatigen Transparenten.

  • Man könnte dies auch auf die Formel "Jede Freiheit hat auch eine Verantwortung" zusammenführen.

    Bin ich nicht dabei. Es mag eine moralische Verantwortung geben, aber Freiheit und Verantwortung bzw. Verpflichtung bedingen einander nicht notwendigerweise. Auch Leute, die dumme Haltungen und Meinungen und Kunstwerke und Weltsichten vertreten oder herstellen, genießen weitgehend uneingeschränkt alle Freiheiten, ohne dass damit mehr als eine moralische Verantwortung einherginge. Ganz im Gegenteil ist zuweilen nicht wünschenswert, dass diese Leute Verantwortungen übernehmen.


    Aber das führt jetzt ein paar Mikrometer vom eigentlichen Thema weg. ;)

  • also möglicherweise strittige Inhalte herauszuschneiden oder abzumildern, oder es in seinem ursprünglichen Zustand zu belassen,

    Womit sich die Frage ergibt: wer (Person / Institution) entscheidet nach welchen Vorgaben was ein "strittiger Inhalt" ist? Und woher nimmt diese Person/Institution das Recht (die Autorität) dazu?



    Was in der USA mit der dortigen Demokratie und Glaubensfreiheit passiert ist schon erschreckend. Und es wäre wirklich höchste Zeit, dass sie ihre Werte mal ernsthaft in Frage stellen. Aber so weit sind wir hier doch noch lange nicht!

    Die Betonung liegt für mich auf "noch" - denn erfahrungsgemäß schwappt so ziemlich alles mit zeitlicher Verzögerung auch zu uns herüber. Und vor so manchem, was da "schwappen" könnte graust es mir.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Womit sich die Frage ergibt: wer (Person / Institution) entscheidet nach welchen Vorgaben was ein "strittiger Inhalt" ist? Und woher nimmt diese Person/Institution das Recht (die Autorität) dazu?

    Vielleicht der Verlag, in dessen Namen etwas publiziert wird.

    Die Betonung liegt für mich auf "noch" - denn erfahrungsgemäß schwappt so ziemlich alles mit zeitlicher Verzögerung auch zu uns herüber. Und vor so manchem, was da "schwappen" könnte graust es mir.

    Das geht in beide Richtung. Zu viel Freiheit ist nicht gut, zu viel Begrenzung ist nicht gut. Also liegt es eher am "zu viel" und was das ist, ergibt sich aus Verhandlungen.

  • Niemand ist eine Insel und wohnt wie Robinson ohne Interdependenzen.

    Mag sein. Aber niemand ist verpflichtet, für irgendwas einzutreten, irgendwas zu schützen, für irgendwas zu kämpfen. Und trotzdem darf jedermann und jedefrau nach Belieben alle Rechte und Freiheiten in Anspruch nehmen. So ist das in so einem Laden wie diesem hier, und das ist auch gut so. Ich möchte nicht zu den Leuten gehören, die sich so verhalten, aber ich bin unbedingt dafür, dass es solche Leute geben darf, nein, sogar muss.


    Aber, wie geschrieben. Ein paar Mikrometer abseits. ;)

  • Womit sich die Frage ergibt: wer (Person / Institution) entscheidet nach welchen Vorgaben was ein "strittiger Inhalt" ist? Und woher nimmt diese Person/Institution das Recht (die Autorität) dazu?

    Zensur halte ich für falsch und ich glaube nicht, dass eine öffentliche Instanz dafür existieren sollte. Allerdings ist, wie xexos ja schon sagte, faktisch der Verlag, bei dem das Buch veröffentlicht wird, natürlich dazu berechtigt, sich gegen eine Veröffentlichung des Buches zu entscheiden oder diese mit bestimmten Änderungen zu verknüpfen.


    Die Betonung liegt für mich auf "noch" - denn erfahrungsgemäß schwappt so ziemlich alles mit zeitlicher Verzögerung auch zu uns herüber. Und vor so manchem, was da "schwappen" könnte graust es mir.

    Nein, tatsächlich nicht alles - es gibt eine Menge Sachen, die in Teilen der USA möglich und erlaubt sind, hier aber nie hergeschwappt sind. Wir haben immer noch unser strengeres Waffengesetz, Eltern dürfen sich nicht entscheiden, ihre Kinder zuhause zu unterrichten (und dabei faktisch auch eine Art der Zensur auszuüben), auch die Sozialgesetzgebung und die Krankenversicherungspflicht haben wir nicht an das amerikanische Vorbild angepasst. Die Liste könnte weiter fortgesetzt werden, das hätte dann aber nichts mit dem eigentlichen Thema mehr zu tun. Nur weil etwas in den USA möglich ist, heißt das noch lange nicht, dass wir das in fünf bis zehn Jahren auch an der Backe haben. Aber das ist ein anderes Thema, das wir hier nicht ausdiskutieren sollten.

  • Aber niemand ist verpflichtet

    Doch, jeder ist verpflichtet. Hier über eine Netiquette oder sonstige Boardregeln und im weiteren Leben über Gesetze, Verträge, Meinungen usw. An einige muss man sich halten, bei anderen hat man Interpretationsspielraum. Aber durch die Konsequenzen für das eigene Verhalten können sich auch schon wieder Verpflichtungen ergeben.

  • Doch, jeder ist verpflichtet.

    Du hast nur den Anfang meines Satzes zitiert. Zu dem, was da noch folgt, ist niemand verpflichtet. Man darf sogar Freiheiten genießen und für ihre Einschränkung oder Abschaffung eintreten. Und egal sein darf einem das sowieso. Ist es den meisten auch, leider.

  • wenn mir nochmal jemand kommt mit "In Deutschland darf man nicht mehr alles sagen" schick ich ihm den Link auf diesen Thread ;-)


    Ich muss gestehen, für mich war die Trigger Geschichte bis jetzt nur eine persönlich Entscheidung: Lesen oder nicht Lesen. Um Gesellschaftliche Konzept und die Auswirkungen auf den allgemeinen Kulturbetrieb hab ich mir da weniger Gedanken gemacht, das war mir zu weit weg (Womit ich nicht sagen will, dass es nicht wichtig ist, sich auch darüber Gedanken zu machen)


    Andere erledigen das Denken für mich

    Bei dem Satz musste ich an meinen Job denken. Mittlerweile erwarten auch top ausgebildete Ingenieure, dass sie nur noch das vorgesetzt und zu sehen bekommen was sie gerade jetzt für ihren Job brauchen. Generell habe ich das Gefühl, dass das Denken im Alltag immer mehr aus der Mode kommt. Die Einstellung: Der Computer / das Handy / das Programm weiß schon was ich will und brauche, da muss ich mich nicht drum kümmern, nimmt immer mehr zu und die Leute sind scheinbar tatsächlich der Meinung, sie müssten da nicht mehr drüber nachdenken. Und deswegen werden wir in der IT dann auch aufgefordert Systeme so zu entwickeln, dass der User nur noch die richtigen Knöpfe drücken kann, ohne drüber nachzudenken. (Was echt schwierig ist, wenn man z.B. Kraftwerke auf ne grüne Wiese bauen will.)


    Damit wird den Leuten das Denken auch systematisch abgewöhnt....


    Ich bin bei Tom, dass ich Triggerwarnungen nicht brauche, weil ich mich gegebenenfalls entsprechend selbst informiere. Es gibt aber Menschen, die das halt nicht tun und heute ist es halt so, dass dann lieber ein Schutzmechanismus eingebaut wird, statt den Leuten nahezulegen sich selber schlau zu machen. So schützt man sich auch vor rechtlichen Folgen und vor Shitstorms.

    Kann ich nachvollziehen.... Diejenigen, die solche Shitstorms lostreten haben meist so eine Reichweite, dass es dann evtl. auch zu einem nicht nur wirtschaftlichen Schaden kommt. Auch weil die Leute ja wieder blind glauben, was sie da lesen und sich eben nicht mit dem Thema auseinandersetzen und anfangen drüber nachzudenken...


    Aber damit bin ich jetzt nicht mehr nur nen Mikrometer vom Thema weg, darum genug :-)

  • Vielleicht der Verlag, in dessen Namen etwas publiziert wird.

    Allerdings ist, wie xexos ja schon sagte, faktisch der Verlag, bei dem das Buch veröffentlicht wird, natürlich dazu berechtigt, sich gegen eine Veröffentlichung des Buches zu entscheiden oder diese mit bestimmten Änderungen zu verknüpfen.

    Na ja, es war schon immer so, daß ein Verlag entschieden hat, was er veröffentlicht und was nicht. Ein Verlag hat (normalerweise) auch bestimmte Grundsätze, die für sein Programm gelten. Was da nicht paßt, kann in diesem Verlag eben nicht veröffentlicht werden (etwas vereinfacht gesagt). Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Als Leser, der sich mit solchen Dingen wenig beschäftigt, merkt man das vielleicht dann, wenn man sich seine eigene Bibliothek anschaut. Und Bücher welcher Verlage da vertreten sind - und welche nicht (oder nur sehr wenig).



    Also liegt es eher am "zu viel" und was das ist, ergibt sich aus Verhandlungen.

    Verhandlungen, die zu Kompromissen führen, kommen aber, so will es mir scheinen, immer mehr aus der Mode.




    Um Gesellschaftliche Konzept und die Auswirkungen auf den allgemeinen Kulturbetrieb hab ich mir da weniger Gedanken gemacht, das war mir zu weit weg (Womit ich nicht sagen will, dass es nicht wichtig ist, sich auch darüber Gedanken zu machen)

    :write Ging mir ähnlich, ich habe mich eigentlich "nur" über die Veränderungen und Anpassungen von Büchern an den heutigen Zeitgeist geärgert (weil ich nun mal nicht das lesen will, was der heutige Zeitgeist vorschreibt, sondern was ein Autor geschrieben hat - wenn ich das lese, sogar das, mit dem ich nicht übereinstimme, damit ich mir eine eigene Meinung bilden kann), dies schon lange, und dachte, das wäre eigentlich ein Thema für ein Bücherforum. Was da noch mit dran hängt, ist mir auch erst im Verlauf der Diskussion bewußt geworden.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Na ja, es war schon immer so, daß ein Verlag entschieden hat, was er veröffentlicht und was nicht.

    Worüber dann die ganze Aufregung?


    Verhandlungen, die zu Kompromissen führen, kommen aber, so will es mir scheinen, immer mehr aus der Mode.

    Genau das machen wir hier aber gerade. Wir verhandeln argumentativ und kommen vielleicht zu einem Kompromiss. Einige können sich dahinter versammeln, andere nicht.

    weil ich nun mal nicht das lesen will, was der heutige Zeitgeist vorschreibt, sondern was ein Autor geschrieben hat

    Ja, ich auch. Aber aus Verantwortung, Rücksichtnahme, vielleicht auch einfach betriebswirtschaftlichem Denken ...

    Das können halt die Motive hinter den Anpassungen von Neuausgaben sein. Wer die Rohfassung lesen möchte, der kann aber doch jederzeit zu einer alten Ausgabe greifen, wenn es diese gibt.

  • Bei dem Satz musste ich an meinen Job denken. Mittlerweile erwarten auch top ausgebildete Ingenieure, dass sie nur noch das vorgesetzt und zu sehen bekommen was sie gerade jetzt für ihren Job brauchen. Generell habe ich das Gefühl, dass das Denken im Alltag immer mehr aus der Mode kommt. Die Einstellung: Der Computer / das Handy / das Programm weiß schon was ich will und brauche, da muss ich mich nicht drum kümmern, nimmt immer mehr zu und die Leute sind scheinbar tatsächlich der Meinung, sie müssten da nicht mehr drüber nachdenken. Und deswegen werden wir in der IT dann auch aufgefordert Systeme so zu entwickeln, dass der User nur noch die richtigen Knöpfe drücken kann, ohne drüber nachzudenken. (Was echt schwierig ist, wenn man z.B. Kraftwerke auf ne grüne Wiese bauen will.)

    Ich bin ja auch in der IT und bei uns läuft das eher unter Unterstützung und Sicherheit. Wenn der NC-Programmierer eine eingeschränkte Auswahl bekommt, ist das nicht nur schneller, sondern auch sicherer. Mir ist wohler, wenn der Anwender möglichst wenig Fehler machen kann. Schließlich geht es meistens um sauteure Bauteile und später sitzen Menschen in dem Flugzeug. Denken ist gut, Kontrolle ist besser ... (Nur in diesem Fall natürlich!)


    Zitat

    Ich bin bei Tom, dass ich Triggerwarnungen nicht brauche, weil ich mich gegebenenfalls entsprechend selbst informiere.

    Das ist halt nicht immer so einfach. Der Buchhändler hat das Buch nicht unbedingt gelesen, und Rezensionen und Klappentext sollten nicht spoilern. Woher soll die Information dann kommen? Vor allem, wenn ich im Laden stehe und nicht noch lange googlen will? Ich bin immer noch der Meinung, dass eine Triggerwarnung am Ende mit Hinweis am Anfang niemandem schadet, aber ein paar Lesern nützt.

    “You can find magic wherever you look. Sit back and relax all you need is a book." ― Dr. Seuss

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