Kurzbeschreibung (Quelle: Verlagsseite)
Berlin-Weißensee, 1948: Elisabeth „Lissi“ Vogel kann es kaum erwarten, als Assistenzärztin an der Kinderklinik Weißensee endlich in die Fußstapfen ihrer Tante Marlene zu treten. Doch der Klinikdirektor schätzt die begabte, junge Frau wegen ihres verformten Beines, das von einer überstandenen Kinderlähmung herrührt, gering. Außerdem legt er ihr immer neue Steine in den Weg. Aber Lissi lässt sich so schnell nicht einschüchtern, genauso wie ihre Tante Marlene. Die musste in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Westberlin fliehen und dort bei null anfangen. Als sich in Berlin Fälle von Kinderlähmung häufen, wird die frisch verliebte Lissi plötzlich mit ihrer größten Angst konfrontiert und verliert den Mut, für ihre kleinen Patienten und für den Mann ihres Herzens zu kämpfen.
Autorin (Quelle: Verlagsseite)
Antonia Blum lebte längere Zeit in Berlin, ohne den Weißen See dort je gesehen zu haben. Erst Jahre später, nachdem sie die Hauptstadt längst verlassen hatte, entdeckte sie durch einen Zufall die Ruine der einstigen Kinderklinik in Weißensee und kommt seitdem von dem Ort und seiner bewegten Geschichte nicht mehr los. Heute fährt Antonia nicht nur zum Spazierengehen immer wieder an den Weißen See, der dem Berliner Stadtteil seinen Namen gab. Sie ist überzeugt, dass dort ein Tor in die Vergangenheit existiert.
Allgemeines
Vierter Band (Abschlussband) der Reihe „Kinderklinik Weißensee“
Erschienen am 1. Februar 2024 im Ullstein Verlag als TB mit 512 Seiten
Gliederung: Roman in 32 Kapiteln – Nachwort – Literaturhinweise
Erzählung in der dritten Person aus wechselnden Perspektiven
Handlungsort und -zeit: Berlin, 1948 bis 1950
Inhalt
Die Handlung des Abschlussbandes der Tetralogie „Kinderklinik Weißensee“ ist um fast zwei Jahrzehnte später angesiedelt als die des Vorgängerbandes, hier steht mit Emmas Tochter und Marlenes Nichte Lissi bereits die nächste Generation im Mittelpunkt. Lissi möchte an der Kinderklinik Weißensee unter der Obhut ihrer Tante Marlene ihre Stelle als Assistenzärztin antreten, doch Marlene und ihr Mann Maximilian von Weilert müssen in den westlichen Teil Berlins fliehen, nachdem sie als Adelige von den sowjetischen Besatzern enteignet und zu Unrecht als Nazikollaborateure verdächtigt werden.
Emma und ihre Familie bleiben im Osten, sie glauben an eine gerechtere Gesellschaft im sozialistischen Staat. Allerdings können sie nicht übersehen, dass es – nicht zuletzt durch die Unterstützung durch die Amerikaner, die Lebensmittel nach Westberlin einfliegen - in mancher Hinsicht um die Versorgungslage im westlichen Sektor Berlins besser bestellt ist. Als es zu einer Poliomyelitis-Epidemie („Kinderlähmung“) kommt, fehlen in der Klinik benötigte Therapiemittel. Auch Antibiotika gegen bakterielle Infektionen sind kaum zu bekommen.
Lissi, die sich in einen Kollegen verliebt hat und dadurch teilweise von ihrer Arbeit abgelenkt ist, wird durch die Polio-Welle an die schwierigste Zeit ihrer Kindheit erinnert, als sie selbst an dieser Krankheit litt und sich mühevoll ins Leben zurück kämpfte…
Beurteilung
Auch wenn der Abschlussband chronologisch nicht unmittelbar an den vorherigen anschließt, ist es empfehlenswert, ihn erst im Anschluss an die drei Vorgängerbände zu lesen, da immer wieder auf die vorherige Lebensgeschichte der Protagonisten Bezug genommen wird.
„Geteilte Träume“ thematisiert sehr interessante Aspekte der deutschen Geschichte der Nachkriegszeit. In politischer und gesellschaftlicher Hinsicht gibt die Autorin einen faszinierenden Einblick in die Jahre, in denen sich die beiden deutschen Staaten entwickelten. Die beiden Schwestern Emma und Marlene stehen hier für Ost und West und entzweien sich über ihre politischen Ansichten. Emma, die zunächst den Sozialismus für eine ideale Staatsordnung hält, muss bald erkennen, dass im Einparteiensystem die freie Meinung unterdrückt wird, was vor allem ihr Mann Kurt, ein kritischer Journalist, zu spüren bekommt. Auch die Versorgungslage mit Lebensmitteln und Konsumgütern im sowjetischen Sektor ist mangelhaft.
In medizinhistorischer Sicht steht der Kampf gegen die Poliomyelitis im Mittelpunkt, eine furchteinflößende Krankheit, die seinerzeit nicht selten zum Tode durch Lähmung der Atemmuskulatur führte und erst ab der Mitte der Fünfzigerjahre durch eine Impfung zu verhindern war. Sehr eindrucksvoll schildert die Autorin die Behandlung der Erkrankten, die im schlimmsten Falle monatelang in einer Eisernen Lunge liegen mussten.
Medizinhistorisch interessant sind auch neuartige Ansätze in der Pädiatrie, bei denen die Genesung der Patienten durch Tier- oder Musiktherapie gefördert werden soll, auch diese Ansätze kamen jedoch erst in den Sechzigerjahren zum Einsatz.
Nicht vollständig gelungen ist in diesem Band die Ausgestaltung der Charaktere. Lissi, eine Ärztin Ende Zwanzig, benimmt sich im Umgang mit ihrem Kollegen wie eine verknallte Dreizehnjährige, ihr ganzes Denken kreist um einen Mann, sie wirkt oft unprofessionell – das scheint wenig glaubwürdig. Auch ihre Tante Marlene, die einen Schicksalsschlag verkraften muss, benimmt sich wie ein trotziges Kindergartenkind, das passt nicht zu ihrer Persönlichkeit aus den vorherigen Bänden.
Sehr gelungen ist dagegen das informative Nachwort der Autorin, das zudem um eine Bibliographie ergänzt wird.
Fazit
Historisch und medizinhistorisch informative und fesselnde Unterhaltung mit einer etwas zu stark betonten Liebesgeschichte!
8 Punkte
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