Die kleinen Wunder von Mayfair - Robert Dinsdale

  • Seiten: 460

    Format: Gebunden

    Verlag: Knaur

    Originaltitel: The Toymakers

    Übersetzung: Simone Jakob


    Rückentext:

    AUSHILFE GESUCHT


    Fühlen Sie sich verloren? Ängstlich?

    Sind Sie im Herzen ein Kind geblieben?

    Dann sind Sie bei uns richtig.

    Das Emporium öffnet beim ersten Winterfrost seine Tore.

    Keine Erfahrung erforderlich.

    Kost und Logis inbegriffen.

    Willkommen bei Londons größtem Spielwarenhändler.

    Papa Jacks Emporium

    Iron Duke Mews,

    London Mayfair W1K


    Autor:

    Robert Dinsdale, Jahrgang 1981, wuchs in North Yorkshire auf. Er lebt mit seiner Tochter in Essex. Wenn er sie nicht gerade zur Schule fährt, geht er am Meer spazieren, arbeitet am Computer oder besucht die örtliche Bibliothek (das kann er sehr empfehlen!).

    „Die kleinen Wunder von Mayfair“ ist sein dritter Roman.



    Meine Meinung:


    DIES IST KEIN WOHLFÜHLBUCH!


    Das klingt jetzt nach einem etwas drastischen Anfang, aber das ist auch das, was ich als Allererstes hier klarstellen möchte. Falls jemand diese Rezi liest, der sich auf eine schöne kuschlige Weihnachtsgeschichte mit einem magischen Spielzeugladen freut, dann kann ich nur sagen: Nein. Magischer Spielzeugladen, ja, der Rest aber ist durchaus dramatisch, düster, stellenweise sogar brutal.


    Die Geschichte beginnt Ende 1906. Die 15-Jährige Cathy ist schwanger. Ihre Mutter würde sie gerne für ein paar Monate in ein Heim stecken bis „die Sache“ überstanden ist, das Kind soll zur Adoption weggegeben werden. Cathy spürt das neue Leben in sich und möchte es nicht verlieren. Als ihr eine Anzeige des Londoner Spielwarenhändlers „Papa Jacks Emporium“ zugespielt wird, fasst sie einen Entschluss. Sie wird dorthin gehen, und für sich und ihr Kind ein eigenes Leben aufbauen. Das Alte hinter sich lassen und nicht mehr zurückblicken.


    Vor Ort entdeckt sie einen Spielwarenladen wie es wohl keinen zweiten auf der Welt gibt. Die Plüschtiere, Spielzeugsoldaten und sonstige Spielsachen scheinen hier lebendig. Unmögliches wird wahr, es erscheint fast wie eine alternative Realität. Während ihrer Zeit als Aushilfe lernt Cathy auch die beiden Söhne des sehr zurückgezogenen Papa Jack kennen: Kaspar und Emil. Beide scheinen augenblicklich ein ungewöhnlich großes Interesse an Cathy zu haben. Hier begann für mich dann die erste Befürchtung, dass es sich nämlich zu einer Liebesschmonzette mit Dreiecksdrama um die Brüder entwickeln könnte, und eine ganze Zeit lang wirkt es auch tatsächlich so und ich war kurz davor das Buch abzubrechen. Man merkt die Anspannung der jungen Männer untereinander, nicht nur wegen Cathy, auch wegen ihrer Fähigkeiten im Herstellen von Spielsachen oder um die Zuneigung des Vaters. Mir kam auch der Gedanke, ob Cathy nicht vielleicht auch eher etwas ist, das dem einen erstrebenswert scheint, weil der andere Bruder schon Interesse gezeigt hat. Es entwickeln sich auf jeden Fall echte Gefühle und als das erste Schneeglöckchen blüht (traditionell der Tag, an dem das Emporium geschlossen wird, bis zum nächsten ersten Winterfrost), ergibt es sich schließlich, dass Cathy, im Gegensatz zu allen anderen Helfern dort bleiben kann, wenn auch erst im Geheimen.


    Ich muss leider sagen, dass mir bis zu diesem Zeitpunkt keiner der drei jungen Leute sonderlich sympathisch war, daher auch der erste Impuls abzubrechen. Man erfährt aber schließlich etwas aus Papa Jacks Vergangenheit, und obwohl es weiß Gott keine schönen Szenen sind, die er schildert bzw. zeigt, war es das Erste was dem Buch für mich etwas mehr Tiefe und Spannung verliehen hat. Die schlimmen Erlebnisse haben ihn nicht verbittern lassen. Im Gegenteil, er hatte die Kraft daraus etwas Gutes zu schlussfolgern und sein ganzes weiteres Leben dieser Erkenntnis zu folgen.


    Ab hier kommt es immer wieder zu Zeitsprüngen, der Erste Weltkriegt bricht aus und bedeutet auch im Emporium eine große Zäsur. Menschen gehen fort und kommen niemals wieder, andere kommen wieder und sind bis zur Unkenntlichkeit in der Seele vernarbt. Ein Drama das damals viele Familien heimgesucht hat. Was sich daraus dann allerdings entwickelt, geht glaube ich etwas über meine bescheidenen Interpretationsfähigkeiten hinaus.


    Soll dieses Buch eine Allegorie darstellen? Auf das Leben, dass wir mit einer magischen Kindheit beginnen und je älter und „erwachsener“ wir werden, desto schlimmere Dinge können uns zustoßen und vollkommen verändern? Dass irgendwann auch die Zeit kommt, wo man sich bestimmten Fragen stellen und diese für sich beantworten muss? Liebe, Hass, Angst, Eifersucht, Neid – wo sind die Grenzen, die nicht überschritten werden sollten und was machen sie mit einem, wenn man es doch tut?

    Der phantastische Teil geht nach und nach in eine Art metaphysische Betrachtung über. Was ist Bewusstsein? Was ist Leben?


    Fazit: Für mich war es, auch wenn ich ab ca. Seite 150 den Gedanken es abzubrechen verwarf, insgesamt trotzdem nicht wirklich ein schönes Leseerlebnis. Ich hatte stellenweise das Gefühl, das Buch (bzw. der Autor) wusste nicht recht, was es sein soll. Liebesgeschichte, Familiendrama, Kriegstrauma und dazu dann die Phantastik in Gestalt der seltsamen aber wunderbaren Spielsachen, die sich dann wiederum in diese etwas eigene metaphysische Thematik verwandelt. Jedes für sich hat gute und weniger gute Stellen, aber zusammen wirkte es für mich einfach nicht ganz rund. Das Gleichgewicht fehlte und die Figuren wurden mir bis zum Schluss hin leider auch nicht viel sympathischer. Am meisten mochte ich Cathys Tochter Martha. Auch Papa Jack wäre theoretisch interessant gewesen, leider hat er sich aber über weite Strecken der Handlung einfach rausgehalten und durch diese Distanziertheit vielleicht auch das eine oder andere Unglück nicht kommen sehen (oder bewusst ignoriert?).


    Für mich: 6 von 10 Eulenpunkten


    Anmerkung: Weil ich nicht wusste, ob ich das Buch jetzt unter Historische Romane oder doch lieber Fantasy einordnen soll, es aber von der Zeitspanne her auch bis in die 1950er geht, habe ich mich letzten Endes für das etwas undefiniertere „Belletristik“ entschieden. Es ist generell schwer einzuordnen.


    ASIN/ISBN: 3426226723

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Ich meine das Buch entweder noch auf dem SuB zu haben oder doch in den letzten Monat ungelesen aussortiert zu haben. Vielen Dank für Deinen Leseeindruck.

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)