"Die Verletzlichen" von der bekannten amerikanischen Autorin Sigrid Nunez (übersetzt aus dem Amerikanischen von Anette Grube) erschien im Aufbau-Verlag, Berlin (HC, gebunden, 221 S.). Ich kannte die Autorin zuvor nur dem Namen nach und musste im Verlauf des Lesens dieses Romans feststellen, dass ich andere Erwartungen an "Die Verletzlichen" hatte als ich letztlich darin vorgefunden habe.
Worum geht's?
Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten; denn: Es geht um so Vieles! Die Haupthandlung besteht darin, dass Iris, eine gute Freundin der "namenlosen Erzählerin" - nachfolgend n.E. von mir genannt - einen jungen Studenten damit beauftragt, für die Zeit ihrer Reise zu den Schwiegereltern in Kalifornien Eureka, den Papagei der Familie, zu hüten (und dies ist keine leichte Aufgabe, da Eureka, der sehr selbstgefällig ist "und weiß, wie schön er ist", ein Zimmer für sich alleine hat - die Wände erinnern an den Dschungel, seine eigentliche Heimat; und jeden Tag viel Aufmerksamkeit braucht). Der Student ist ein Freund der Familie und Iris vertraut ihm, auch wenn sie um die problematischen Hintergründe des jungen Mannes weiß. Da dieser Student es jedoch vorzieht, nach Vermont zu ziehen, da New York eine schwer betroffene Stadt der Pandemie ist (2020), kommt die n.E. ins Spiel, die hier gerne einspringt, da die Wohnung von Iris (und was für eine: Luxuriös ist kein Ausdruck; das Ehepaar hat drei Anwesen; eins davon in New York) fußläufig erreichbar ist.
So freunden sich der zuerst schreiende Papagei und die n.E., die tagsüber gerne durch die Parks streift, nach und nach an. Sie empfindet Freude daran, mit ihm zu spielen und sich mit ihm zu beschäftigen. Bis eines Tages unvermittelt der Student zurückkehrt - und beide sich (auf Wunsch von Iris) die - zugegebenermaßen sehr große Wohnung - teilen müssen. Was der n.E. anfangs gar nicht behagt. Beide sich auch weitläufig aus dem Wege gehen, bis - ja bis der Student bemerkt, dass die n.E. nicht kochen kann und jeden Tag dieselben Sandwiches isst: Nun kocht er (das vegane Kochen hat er während eines Klinikaufenthalts gelernt) für beide, wenn sie auch nie zusammen essen. Die Einsätze als Hüter von Eureka verlängern sich, da das Baby, das Iris erwartet, früher zu kommen scheint.
Meine Meinung:
Ich habe selten einen Roman gelesen, der eher einer Aneinanderreihung von teils interessanten, teils aber auch verworrenen Gedanken glich und dem jedweder rote Faden fehlte. Themen gibt es zuhauf (Tod und Verlust; das Verhalten von Menschen, das in Pandemiezeiten nicht immer nachvollziehbar ist, die Literatur, das Schreiben, die Natur und der Mensch als ihr Zerstörer, der "Brain Fog" als Folge der Pandemie, das Scheitern und seine Wichtigkeit, um als "Destillat dessen daraus hervorzugehen, der man eigentlich ist" und so vieles mehr.
Viele Themen sind an der Oberfläche geblieben; manche sind intellektuell und durchaus interessant, für eine tiefergehende Aussage reicht es jedoch nicht. Dagegen wird relativ schnell zum nächsten Thema übergegangen. Dies hat meine Lesefreude eher gebremst als sie anzufachen.
Der Roman ist in zwei Teile geteilt; dazwischen gibt es ein "Intermezzo", in dem es hauptsächlich um das Schreiben und das Lesen, um Literatur selbst geht. Hier fand ich einiges recht interessant, anderes nebensächlich. Nachdenklich stimmte hier, dass manche AutorInnen in der Lockdown-Zeit Probleme hatten, zu schreiben und sich zu konzentrieren (was dem Rest der Menschheit sicher ebenso erging). Der Stil ist schnörkellos, prägnant, die Kapitel sind kurz und vieles wirkte auf mich zusammenhanglos. Die interessanteste Figur war für mich der junge Student, dessen Ansichten ich teilte und von dem ich gerne mehr erfahren hätte. Im Klappentext geht es um "Nähe und Innigkeit in unwägbaren Zeiten", hier konkret um zwei Menschen wie die n.E., eine ältere Frau, und einen jungen Studenten, die sich in der "Papageien-Wohnung" einer sehr privilegierten Freundin miteinander arrangieren müssen: Von Nähe und Herzlichkeit war hier für mich allerdings meist wenig bis gar nichts zu spüren, was mehr von der n.E. auszugehen schien als von dem Studenten, den ich mochte und der dem Roman am Ende noch eine positive Wendung gibt, die auch Eureka gefallen haben dürfte.
Fazit:
Ein auf mich leider sehr fragmentarisch wirkender Roman in einer eher schwierigen Zeit (Pandemie, New York) um zwei Menschen, die sich um einen verwaisten Papagei kümmern. Eher eine wahllose Aneinanderreihung von (teils klugen, intellektuellen) Gedanken einer namenlosen Erzählerin, die für mich schemenhaft bleiben. Ähnlich wie der 'Brain Fog', der hier angesprochen wird. Der rote Faden fehlte und auch eine literarische Tiefe. Zumindest mir. Daher von mir knappe 3 Sterne.
ASIN/ISBN: 3351041985 |