Lina Nordquist, Mein Herz ist eine Krähe

  • Klappentext:


    Norrland um 1900: Unni, Armod und der kleine Roar mussten überhastet aus Norwegen fliehen. Inmitten der blauen Berge und dunkelgrünen Wälder Hälsinglands finden sie ein neues Zuhause. Doch die brutalen Launen der Natur und des Landbesitzers lassen die kleine Familie kaum Frieden finden. Mehr als 70 Jahre später plant Kåra die Beerdigung ihres Schwiegervaters Roar. Was ist damals wirklich passiert? Und welche Geheimnisse verbinden Kåra und Unni über die Jahrzehnte hinweg?


    Mein Lese-Eindruck:


    Der Roman beginnt mit einer düsteren Szene, die programmatisch ist für den ganzen Roman: eine Beerdigung wird vorbereitet. Roar, Ehemann, Schwiegervater und Großvater, ist tödlich verunglückt und soll beerdigt werden. Dieser Roar ist Dreh- und Angelpunkt des Romans. Zwei Frauenstimmen aus zwei Generationen kommen zu Wort, und in beiden Erzählungen spielt Roar eine zentrale Rolle.


    Die erste Stimme ist die Stimme Unnis, der Mutter Roars. Unni flüchtet mit dem unehelichen kleinen Roar und ihrem Geliebten in die Einsamkeit Norlands. In einer verlassenen Kate kämpfen sie in einer unwirtlichen und rauen Natur um ihr Überleben. Hungerwinter, Bärenangriffe, Dürreperioden, Ernteausfälle, Unfälle, die Abhängigkeit vom Pachtbauern, Elend und Gewalt – die Autorin schildert eindringlich das harte und entbehrungsreiche Leben der jungen Familie.


    Die zweite Stimme gehört Roars Schwiegertochter Kara. Ihre Heirat mit Roars Sohn schützt sie vor der Verbringung in eine sog. Irrenanstalt, insofern kann man auch sie, so wie Unni, als Flüchtling bezeichnen. Kara ist psychisch auffällig und wird von Ängsten, Depressionen und Aggressionen gequält. Ihre Schwiegermutter Bricken, Roars Ehefrau, stellt das Bindeglied dar.


    Stück für Stück werden die beiden Erzählstimmen zusammengeführt, und die grausamen Geheimnisse der Familiengeschichte öffnen sich dem Leser. Dieser Plot bietet eine Fülle von Gestaltungsmöglichkeiten.


    Die Ausgestaltung ist aber derart überfrachtet mit Grausamkeiten aller möglichen Art, dass die Handlungslogik darunter leidet. Ein vierjähriges, zudem ausgehungertes Kind soll in der Lage sein, einen ausgewachsenen Dachs abzubalgen und anschließend einzusalzen? Unni hatte bei ihrer überstürzten Flucht tatsächlich Bettwäsche und Stickgarn dabei, um Monogramme zu sticken? Gelegentlich rutscht dadurch eine Szene bei aller Grausamkeit ins Komische ab, wenn z. B. der Vergewaltiger „die Hose wie ein Fallstrick um seine Knöchel“ einem Kind nachsetzt und es trotz des Fallstricks erwischt und schwer misshandelt. „Gebrochener Arm, zertrümmerte Wangenknochen“: diese schweren Verletzungen halten das Kind jedoch nicht davon ab, den Rest der Nacht schwere körperliche Arbeit zu verrichten.


    Auch die vielen Wiederholungen und die äußerst bildstarke Sprache können die logischen Schwächen der Handlung nicht verdecken, sondern bringen den Text immer wieder sehr nahe an die Herz-Schmerz-Literatur heran („Mit meinen Fingern sang ich ‚ich liebe dich..‘ .“).


    Sehr gekonnt fand ich allerdings die Lebens- und Naturbeschreibungen und das Symbol der Krähe, das die Erzählstränge zusammenbindet und dem Roman seinen Namen gibt: für Unni ist die Krähe eine Vertraute, für Kara hingegen eine Botin ihrer Ängste.


    Wer Romane mit Beschreibungen der nordischen Natur liebt und gerne Familiengeheimnissen auf der Spur ist und dabei logische Brüche in der Handlung nicht so wichtig findet, hat sicher Lesefreude an diesem Roman.


    05/10 Pkt.


    ASIN/ISBN: 3257072619