Hier kann zu den Kapiteln 01 - 07 geschrieben werden.
'Ansichten eines Clowns' - Kapitel 01 - 07
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Ich habe schon angefangen und bin positiv überrascht, wie einfach sich die ersten Kapitel lesen lassen. Meine letzte Erfahrung mit Böll als Autor war vor ca. zwanzig Jahren mit dem irischen Tagebuch. Da hatte ich das Gefühl, gar nicht voranzukommen und musste jede Zeile mehrfach lesen.
Meine Ausgabe ist von 1991. Allein von der Optik der Zeilen ist das schon ein ganz anderer Eindruck. Der dtv kam mit der kleinen Schrift und dem engen Zeilenabstand auf 252 Seiten. Das würde heute alles weniger platzsparend gedruckt werden und käme wohl auf 100 Seiten mehr.
Erstmals 1967 wurde das Buch veröffentlicht und zeigt eine erschreckende Situation der prüden Gesellschaft. Sex vor der Ehe ist immer noch eine Todsünde wie im Mittelalter. Es kann sein, dass dies im katholischen Bonn noch viel strenger gesehen wurde als im protestantischen Bereich der Bundesrepublik, zumindest was Großstädte anbelangt. Bonn hat mehr als 300.000 Einwohner, aber wenn Hans eine Nacht bei Marie verbringt, weiß das sofort die ganze Stadt. Und das schon vor Erfindung des Internets.
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Ich bin mit dem ersten Abschnitt noch nicht ganz durch.
Aber die Stimmung ist echt bedrückend. Erinnert mich an das ländliche Westfalen in den 70ern. Da hat der Dorffunk auch wunderbar sämtliche moralische Verwerfungen jedes einzelnen verbreitet. Als Kind einer Alleinerziehenden habe ich das durchaus zu spüren bekommen.
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Ich habe auch schon die ersten fünf Kapitel gelesen - sind ja recht kurz.
Meine dtv-Ausgabe ist von 1984 und meine damals mit Bleistift eingetragenen Randbemerkungen wohl vom selben Jahr, als ich das Buch im Deutschunterricht der Fachoberschule gelesen habe. Vorher dachte ich, wir hätten das schon in der Realschule gelesen, aber das kommt mit diesem Ausgabejahr nicht hin.
Schon in den ersten Kapiteln wird deutlich worum es geht: ein Alleinunterhalter leidet unter Liebeskummer und seiner bröckelnden Karriere. Der Sohn wohlhabender Eltern kommt mit deren Vergangenheitsbewältigung, die auf Verdrängung und Umdeutung beruht, nicht zurecht. Er bräuchte zwar deren Geld zum Leben, will aber nicht darum bitten. Ohne der mit Auflagen geschenkten Wohnung säße er bald auf der Straße.
Anscheinend kann er überhaupt nicht mit dem Geld haushalten, das er bisher verdient hat. Mir kommt er schon recht alt vor. Als hätte er schon ein ganzes Leben hinter sich. Dabei ist er rechnerisch erst um die 30.
Die letzten fünf Jahre war Hans ständig unterwegs. Anscheinend hatte er Arrangements in ganz Deutschland. Ist er erst auf Tour gegangen nachdem Marie ihn verlassen hat? Aber sie war schon vorher mit ihm unterwegs! Also muss es einen anderen Grund geben, warum er am Anfang diese letzten fünf Jahre so betont
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Erstmals 1967 wurde das Buch veröffentlicht
Laut Wikipedia wurde dieser Roman erstmals im Januar 1963 bei Kiepenheuer & Witsch veröffentlicht, nachdem er schon vorher als Vorabdruck in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist.
und zeigt eine erschreckende Situation der prüden Gesellschaft. Sex vor der Ehe ist immer noch eine Todsünde wie im Mittelalter. Es kann sein, dass dies im katholischen Bonn noch viel strenger gesehen wurde als im protestantischen Bereich der Bundesrepublik, zumindest was Großstädte anbelangt. Bonn hat mehr als 300.000 Einwohner, aber wenn Hans eine Nacht bei Marie verbringt, weiß das sofort die ganze Stadt. Und das schon vor Erfindung des Internets.
Bis 1973 gab es noch den Kuppeleiparagraph in Deutschland, wo die Vermieter einer Wohnung an unverheiratete Paare angezeigt und bestraft werden konnten.
Vorehelicher Geschlechtsverkehr war also nicht nur eine Sache der Moral sondern sogar des geschriebenen Gesetzes.
In den Wirtschaftswunderjahren hat die Bevölkerung auch ihre zurückgewonnene Wohlanständigkeit damit beweisen wollen, dass sie auf moralische Entgleisungen empfindlich reagiert hat - und entsprechend aufmerksam gegenüber anderen war
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Ich bin mit dem ersten Abschnitt noch nicht ganz durch.
Aber die Stimmung ist echt bedrückend.
Als bedrückend habe ich diese ersten Kapitel auch empfunden. Die Situation von Hans ist schon schwierig. Ohne Marie funktioniert er nicht wie bisher und hat wohl wenig Chance sie zurück zu gewinnen.
Erinnert mich an das ländliche Westfalen in den 70ern. Da hat der Dorffunk auch wunderbar sämtliche moralische Verwerfungen jedes einzelnen verbreitet. Als Kind einer Alleinerziehenden habe ich das durchaus zu spüren bekommen.
Damals lief die Kommunikation noch anders als heute und man hat mehr Anteil an seiner nächsten Umgebung genommen. Alle, die irgendwie aus dem gesellschaftlichen Rahmen gefallen sind, waren Gesprächsstoff. Damals wurden die Familienverhältnisse noch genau unter die Lupe genommen - hat vielleicht auch etwas mit der Abstammungslehre in der Nazi-Zeit zu tun
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Dabei ist er rechnerisch erst Anfang 30.
Er ist sogar erst 27 oder 28 stand irgendwo am Anfang.
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Er ist sogar erst 27 oder 28 stand irgendwo am Anfang.
Das habe ich nur noch dunkel im Gedächtnis. Ich bin davon ausgegangen, dass der Roman im Jahr 1962 spielt, weil Hans' Schwester 1945 als 16jährige gestorben ist und nun schon 17 Jahre tot ist. Bei seinen Erlebnissen mit der Panzerfaust-Schulung war er 10 Jahre alt. Das habe ich in den Zeitraum von 1942 bis 1944 eingeordnet. Also müsste er Jahrgang 1932 bis 1934 sein
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Ich wollte es schon vorher ändern und habe es jetzt auf "um die 30" geändert.
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Er ist sogar erst 27 oder 28 stand irgendwo am Anfang.
Im ersten Kapitel erzählt Hans, dass er 27 ist.
Das habe ich nämlich gerade beendet.
Ich liebe diese klare, schnörkelose und deshalb so schöne Sprache, die nichts beschönigt und sofort zum Punkt kommt.
Kein Wunder, dass Böll damit damals solche Diskussionen ausgelöst hat. Jemand, der sich direkt angesprochen und kritisiert fühlt, kann da schon mal genervt reagieren.
Eine interessante Art einer Gesellschaft oder Teilen davon den Spiegel vorzuhalten.
Ich habe zuletzt "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" von ihm gelesen. Das fand ich großartig erzählt und thematisch leider zeitlos. Der Clown liest sich ganz anders, eher wie seine satirischen Kurzgeschichten (ich liebe "Dr. Murkes gesammeltes Schweigen", das ich vor Jahren, eher Jahrzehnten zuletzt gelesen habe).
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Dr. Murkes gesammeltes Schweigen steht auf meiner Lesewunschliste und kommt sicher zeitnah dran.
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Ich liebe diese klare, schnörkelose und deshalb so schöne Sprache, die nichts beschönigt und sofort zum Punkt kommt.
Kein Wunder, dass Böll damit damals solche Diskussionen ausgelöst hat. Jemand, der sich direkt angesprochen und kritisiert fühlt, kann da schon mal genervt reagieren.
Eine interessante Art einer Gesellschaft oder Teilen davon den Spiegel vorzuhalten.
Ich habe zuletzt "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" von ihm gelesen. Das fand ich großartig erzählt und thematisch leider zeitlos.
Ich habe das Buch Anfang der 90er gelesen, als ich alles, was es literarisch plötzlich bei uns zu kaufen gab, verschlungen habe. Geschichtlich blieb es mir damals etwas fremd, und jetzt, wo ich es wieder lese, scheint es mir immernich so zu gehen. Das hatte ich so nicht erwartet.
In diesem Sinne wäre mir, wie bei "Katharina Blum", etwas mehr "thematisch zeitlos" lieber.
Ich bin noch nicht sehr weit, also noch gespannt
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Mir geht es aber genauso, Clare . Thematisch ist es mir auch fremd und definitiv in einer Zeit und bestimmten Gegebenheiten verankert. Ich glaube nicht, daß Böll hier etwas ins Heute übertragbare erschaffen wollte, sondern ganz konkret die damalige Situation anspricht.
So sehe ich es auch. Böll hält konkret seiner Zeit den Spiegel vor.
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Angenehm zu lesen bisher, und ich kann mich an nichts aus der Erstlektüre, die allerdings auch mehr als vierzig Jahre zurückliegt, erinnern.
xexos , Bonns Einwohnerzahl 1962 lag bei ca. 144 000 Einwohnern, aber auch das ist natürlich viel zu viel, als dass "alle" um das Verhältnis zwischen Hans und Marie wissen können. Aber es zeigt, wie die Menschen es damals sahen: Das Ansehen vor den Nachbarn war so wichtig, weil sie die engere Bezugswelt waren.
Die letzten fünf Jahre war Hans ständig unterwegs. Anscheinend hatte er Arrangements in ganz Deutschland. Ist er erst auf Tour gegangen nachdem Marie ihn verlassen hat? Aber sie war schon vorher mit ihm unterwegs! Also muss es einen anderen Grund geben, warum er am Anfang diese letzten fünf Jahre so betont
Ich denke, dass Hans - zu Beginn der Handlung siebenundzwanzig Jahre alt und Liebhaber von Marie, seit er 21 ist - mit den letzten fünf Jahren die Zeit des Herumreisens, wohl oft mit Marie, meint. Den richtigen Absturz hat er ja erst, wie er auch im ersten Kapitel erzählt, seit drei Wochen. Das sechste Jahr ist dann wohl das, wo Marie sich dem anderen Mann zugewandt und ihn verlassen hat.
Thematisch ist es mir auch fremd und definitiv in einer Zeit und bestimmten Gegebenheiten verankert. Ich glaube nicht, daß Böll hier etwas ins Heute übertragbare erschaffen wollte, sondern ganz konkret die damalige Situation anspricht.
Das denke ich auch. Böll wollte es nicht ...
Allerdings ist vieles davon ja leider schon auf heute übertragbar, z.B. dass unser Verteidigungsminister plötzlich davon spricht, die Deutschen müssten kriegstauglich werden oder umgedreht wieder Slogans aus der Nazizeit öffentlich ausgesprochen werden usw. usw. (wobei ich den Verteidigungsminister nicht mit den Neonazis zusammenstellen will. Aber die Sprache erschreckt mich.) Wir sehen, dass das Wörterbuch des Unmenschen nicht weggesperrt ist, sondern das Vokabular immer noch oder schon wieder ganz dicht unter der Oberfläche treibt. Die sogenannte Zivilisation scheint manchmal nur, wie damals, ein dünner Anstrich zu sein.
Was die katholische Moral angeht und die allgemeine Prüderie, so ist das heute natürlich sehr viel lockerer, aber der Kluft zwischen kirchlicher Sexualmoral und dem tatsächlichen Verhalten ihrer Amtsinhaber hat die letzte Zeit ja wieder viele Skandale abgewonnen. Und mit dem Tabu des vorehelichen Sexualverkehrs könnte man heute die Stellung zur Homosexualität vergleichen. So viel weiter sind wir leider nicht gekommen.
Doch jetzt zum Roman selbst. Mir gefällt diese Mischung aus Erzählung und Satire, auch die Angekratzheit des Helden, der ja auch keine Identifikationsfigur ist, mit seinem Hängenlassen und seinem Selbstmitleid. Das ungeheuerliche Verhalten seiner Eltern, die Mutter, die ihre Tochter für ihre Ideologie in den Tod schickt, der Vater, der sich anscheinend nicht dagegen wehrt und Trost bei einer Geliebten sucht, dann wieder die Mutter, die sich in die Rolle der Ikone der Völkerverständigung begibt. macht einen sprachlos.
Und dann die schönen Details z.B. mit den Telefonen, für die Arbeit und fürs Private, damit man bloß nicht zu jemandem das Falsche sagt, sehr schön. -
Ich habe den ersten Abschnitt nun gelesen. Schon bei der Anmeldung zur Leserunde hatte ich ja gesagt, dass ich das Buch zum ersten (und einzigen) Mal im Deutschunterricht gelesen habe, das muss so um 1975 gewesen sein - jedenfalls bevor der Film 1976 in die Kinos kam. Den Film habe ich nämlich mit meiner Schulfreundin Petra zusammen gesehen, und da hatten wir den Inhalt schon gekannt. Mir ist inzwischen sogar der Name meines damaligen Deutschlehrers wieder eingefallen, das war Herr Vetter.
Aber mal abseits der Nostalgie: ich habe ein bisschen befürchtet, dass das Buch für mich heute nur noch schwer lesbar sein könnte, sowohl vom Stil als auch vom Inhalt her. Zumindest vom Stil her trifft es überhaupt nicht zu, der gefällt mir nämlich sehr gut. Böll schreibt sehr kompakt, es gibt keine ausführlichen Beschreibungen, und doch entstehen beim Lesen ziemlich genaue Bilder in meinem Kopf.
Der Inhalt ist da schwieriger, denn die Zeit, in der die Geschichte spielt, hat andere gesellschaftliche Regeln und ein paar Punkte sind für mich heute nicht ganz nachvollziehbar. Dass das Verhältnis zwischen Hans und Marie ein Skandal sein würde, ist schon klar, aber dass beide gleich die Stadt verlassen müssen? Oder gehen sie aus einem anderen Grund?
Der 21-jährige Hans erscheint mir älter als er ist, aber ich denke, das liegt auch an der Zeit. Er muss so um 1936 geboren sein (gerechnet 1963, als das Buch erscheint, ist er 27), und was ein Mensch in der Zeit erlebt hat, lässt ihn sicher schneller erwachsen werden als die späteren Generationen. Und auch sein Elternhaus scheint nicht besonders kinderfreundlich zu sein. Er entstammt einem rheinischen Geldadel, der Villa und Vermögen über die Nazizeit und die spätere Besatzungszeit hinweg gut retten konnte. Dafür waren sicher einige politische Verrenkungen und sehr viel Scheinheiligkeit nötig. Diese Geschichte finde ich interessant und ich hoffe, dass wir dazu noch etwas mehr erfahren.
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xexos , Bonns Einwohnerzahl 1962 lag bei ca. 144 000 Einwohnern, aber auch das ist natürlich viel zu viel, als dass "alle" um das Verhältnis zwischen Hans und Marie wissen können. Aber es zeigt, wie die Menschen es damals sahen: Das Ansehen vor den Nachbarn war so wichtig, weil sie die engere Bezugswelt waren.
Das werden 1962 nicht ganz so viele gewesen sein wie heute, die Verdopplung resultiert aber vor allem aus der Gebietsreform. Auf das gleiche Gebiet bezogen dürften das auch 1962 weit mehr als die 144.000 gewesen sein. Mir ging es aber mehr darum, dass dieser Klatsch und Tratsch eher zu einem kleinen Dorf passt als zu einet Großstadt. Das hatte mich verwundert.
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In den Wirtschaftswunderjahren hat die Bevölkerung auch ihre zurückgewonnene Wohlanständigkeit damit beweisen wollen, dass sie auf moralische Entgleisungen empfindlich reagiert hat - und entsprechend aufmerksam gegenüber anderen war
Dazu kommt noch, dass seine Familie durch ihren alt eingesessenen Reichtum vermutlich auch eine Art Prominentenstatus in Bonn hatte - und auf den Kindern lag vermutlich dann auch mehr Aufmerksamkeit als aus denen "normaler" Familien.
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Ich liebe diese klare, schnörkelose und deshalb so schöne Sprache, die nichts beschönigt und sofort zum Punkt kommt.
So empfinde ich das auch.
Thematisch ist es mir auch fremd und definitiv in einer Zeit und bestimmten Gegebenheiten verankert. Ich glaube nicht, daß Böll hier etwas ins Heute übertragbare erschaffen wollte, sondern ganz konkret die damalige Situation anspricht.
Ja, das Thema wäre nicht in die heutige Zeit übertragbar (bzw. kann ich mir das im Moment nicht vorstellen).
In meiner Ausgabe ist am Ende übrigens ein "Nachwort 1985" des Autoren abgedruckt. Vielleicht nimmt er dazu auch Stellung.
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Ja, das Thema wäre nicht in die heutige Zeit übertragbar (bzw. kann ich mir das im Moment nicht vorstellen).
Was ist denn aus eurer Sicht das Thema des Buches?
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Was ist denn aus eurer Sicht das Thema des Buches?
Im Moment würde ich sagen: Leben als Außenseiter der Gesellschaft