June Eding (Hrsg.), Dr. Debbie Joffe Ellis (Vorwort): Wie man ein Stachelschwein umarmt. Einfache Wege im Umgang mit schwierigen Menschen, OT: How to Hug a Porcupine: Easy Ways to Love the Difficult People in Your Life, aus dem amerikanischen Englisch von Ulla Rahn-Huber, München 2023, Scorpio Verlag, ISBN 978-3-95803-574-4, Hardcover, 117 Seiten, mit zahlreichen s/w-Illustrationen, Format 12,6 x 1,5 x 19,8 cm, EUR 16,00 (D), EUR 16,50 (A).
Die Aufmachung des Buchs ist wirklich schön, die Stachelschwein-Illustrationen sind ebenso treffend wie niedlich und den Zitaten zu Beginn eines jeden Kapitels kann ich auch was abgewinnen:
„Das höchste Glück im Leben liegt in der Überzeugung, geliebt zu werden – um meiner selbst willen, oder besser, meiner selbst zum Trotz.“ (Victor Hugo, Seite 17)
Stachelschweine im Tierreich
Dass man auf knapp 120 großzügig gestalteten Seiten nicht so wahnsinnig in die Tiefe gehen kann, ist mir klar. Aber ein bisschen mehr hätte ich von dem Buch schon erwartet. Der Anfang – die Sache mit der Tier-Analogie – ist vielversprechend: Die Stachelschweine in der Tierwelt, so erfahren wir, kommen mit weichen, biegsamen Stacheln zur Welt, die aushärten und erst dadurch zu wirksamen Waffen werden.
Tierische Stachelschweine sind Einzelgänger, haben also nicht den Schutz der Gruppe. Wenn sie sich bedroht fühlen, richten sie ihre Stacheln auf und rasseln damit. Dadurch wirken sie größer und gefährlicher, als sie wirklich sind. Sie grunzen, knurren und stampfen, und wenn das Gegenüber sich davon nicht beeindrucken lässt, springen sie es an. Dabei lösen sich eine Handvoll Stacheln und bleiben – für den Gegner schmerzhaft – in dessen Haut stecken.
Die menschliche Variante
Wenn „menschliche Stachelschweine“ das Gefühl haben, man konfrontiere sie mit einer Zumutung, plustern sie sich ebenfalls auf, schnauben, poltern los, toben rum, werden laut und unsachlich bis beleidigend. So jemanden kennen wir alle, denke ich. Wenn man nicht darauf angewiesen ist, Umgang mit ihm/ihr zu pflegen, denkt man sich ein Schimpfwort seiner Wahl, zieht seiner Wege und meidet fürderhin die Gesellschaft des widerborstigen Zeitgenossen. Was er/sie für ein Problem hat, kann einem in dem Fall wurscht sein. Um bei den Tieren zu bleiben: „Nicht mein Zirkus, nicht meine Affen.“
Was aber ist, wenn man dem „Stachelschwein“ in Beruf oder Familie nicht aus dem Weg gehen kann? Irgendwie muss man dann mit ihm klarkommen. Dass es nichts bringt, wenn man ebenfalls die Stacheln aufstellt, gemein und unsachlich wird, leuchtet ein. Und dass man es selbst in der Hand hat, ob man sich von derlei Attacken die Laune vermiesen lässt oder nicht, ist auch bekannt
– zumindest als theoretisches Konzept: „Nicht die anderen ärgern mich, sondern ich selbst ärgere mich über die anderen. Ich kann das aber auch bleiben lassen. Meine Entscheidung.“ Das ist nicht immer leicht, je nachdem, welche Gemeinheiten einem so ein „Stachelschwein“ vor den Latz knallt.
Warum stellt der jetzt die Stacheln auf?
Dass es sinnvoll ist, zu verstehen, warum das Gegenüber so „stachelig“ ist und wo sein wirkliches Problem liegt, klingt vernünftig. Sagen wir, der Kollege hat private Probleme und ist deswegen so grantig.
Oder die Chefin hat viel zu viel am Hals und reagiert aus diesem Grund unwirsch, wenn ich jetzt auch noch mit meinem Kram daherkomme. Alles klar, das liegt nicht an mir, da muss ich jetzt auch nicht beleidigt sein. Dann frage ich eben jemand anderen oder komme später wieder. Aber das sagt einem der gesunde Menschenverstand und/oder die Lebenserfahrung, dazu braucht man nicht unbedingt das Buch.
Und was ist mit den Mitmenschen, die generell ein Problem haben … mit sich, der Welt, ihrem Leben, der Psyche oder weiß der Himmel womit … und deshalb permanent im Stachelschwein-Verteidigungs- oder Angriffsmodus sind? Wie gehe ich mit denen um?
Ruhig, sachlich, empathisch, verständnisvoll …
Hier schlägt das Buch eine, wie ich finde, seltsame Richtung ein. Natürlich liegt es nicht in unserer Macht, andere Menschen zu ändern. Wir können nur unsere persönliche Sicht der Dinge und unser eigenes Verhalten verändern. Und dann hoffen, dass das vielleicht auch eine Außenwirkung hat. Aber muss ich deshalb gleich zu einer Heiligen mutieren?
Wir lernen hier, alles zu vermeiden, was das Stachelschwein reizen könnte. Wir sollen ruhig, sachlich, empathisch und verständnisvoll sein, keine negativen Gefühle zeigen, nicht weinen, dem anderen keine Vorwürfe machen, ihn nicht unterbrechen, sondern geduldig zuhören …
Ja, fein. Wie auf rohen Eiern gehen, den eigenen Schmerz unterdrücken und die Stachelschweine toben lassen. Die tragen überhaupt keine Verantwortung für ihr Tun. Diese obliegt allein den Menschen in ihrer Umgebung. – Hallo? Nein! Ich bin weder die Mutti der Stachelschweinchen da draußen noch ihre Therapeutin und schon gar nicht ihr Fußabtreter. Man kann dazu beitragen, eine Situation zu deeskalieren, aber man muss sich doch so ein Verhalten nicht sein ganzes (Arbeits- oder Ehe-)Leben lang gefallen lassen!
Und das Stachelschwein muss gar nichts tun?
Wenn dem stachelig-aggressiven Verhalten ein behandlungsbedürftiges Problem zugrunde liegt, sollte man dann nicht das Stachelschwein ermutigen, sich professionelle Hilfe zu suchen? Die Lösung kann doch nicht sein, dass das persönliche Umfeld kaum zu atmen wagt und ständig auf Zehenspitzen um das Stachelschwein herumschleicht, während es selbst sich gar nicht verändern muss!
Wer auch immer dieses Buch geschrieben hat: Meinen die das wirklich so?
Bei mir kommt es zumindest so an. Wären die Ratschläge weniger allgemein gehalten („Respektiere die Grenzen deines Stachelschweins“ – „Sei dir seiner wahren Bedürfnisse und Ängste bewusst“ – „Sei empathisch“ – „Sei rücksichtsvoll“ …) und vielleicht mit Beispielen unterfüttert, sähe die Sache womöglich anders aus.
Okay … aber es gibt Grenzen!
Verständnis und Deeskalation zu fordern ist ja in Ordnung – aber irgendwann ist die Schmerzgrenze erreicht und man muss aus Selbstschutz gehen. Ist man vom Stachelschwein abhängig, sollte genau da die Veränderung ansetzen. Wenn man’s nicht alleine schafft, dann mit externer Hilfe.
Besonders haarig ist es natürlich, wenn man als Menschenkind „Stachelschwein-Eltern“ hat.
Unbewusst werden die betroffenen Kids schon aus reinem Selbsterhaltungstrieb mit einem Großteil der hier vorgestellten Methoden arbeiten. Und da rutschen wir dann ruckzuck in die Parentifizierung. In den USA kann das als eine Form des Kindesmissbrauchs gewertet werden. Das ist also kein Spaß!
Schwierig sind nicht nur die anderen
Machen wir uns nichts vor: Schwierig sind nicht nur die anderen! Was sicher sinnvoll ist: Sich selbst mal zu fragen, wann und warum man sein eigenes Stachelschwein von der Leine lässt und ob man dagegen nicht mal was unternehmen sollte. Auch zu diesem Thema gibt’s hier ein kurzes Kapitel.
Es ist hier wie bei allen Psycho-Ratgebern: Mit den Feld-, Wald- und Wiesen-Problemen – also mit den ganz normalen Grantlern – wird man fertig. Und da ist der eine oder andere Tipp aus dem Buch auch brauchbar. Aber dafür lohnt sich meines Erachtens die Anschaffung nicht. An tiefsitzenden Problemen sollte man sowieso nicht selbst rumdoktern, sondern sich an Profis wenden. Dazu sind die da.
Der Autor/die Autorin …
… wird hier nicht genannt. Als Herausgeberin ist June Eding angegeben, eine Kinderbuchautorin, Werbetexterin, Künstlerin und Modedesignerin aus New York. Wer die Tipps verfasst hat, wissen wir also nicht. Das Vorwort schrieb Dr. Debbie Joffe Ellis. Sie ist in Australien als Psychotherapeutin approbiert und in New York als psychiatrische Beraterin tätig.
ASIN/ISBN: 3958035744 |