Dennis Lehane - Sekunden der Gnade

  • ASIN/ISBN: 3257072589


    Southie ist ein Viertel von Boston, in dem Hoffnungslosigkeit und Kriminalität herrschen, aber auch Zusammenhalt und Unterstützung. Allerdings muss man sich an die Regeln des Viertels halten. Als ein Bezirksrichter feststellt, dass schwarze Schüler systematisch benachteiligt werden, soll das Dilemma aus der Welt geschafft werden, indem weiße Schüler per Bus in ein schwarzes Viertel gebracht werden und umgekehrt. Aber Mary Pat hat andere Sorgen. Ihre siebzehnjährige Tochter Jules ist nicht nach Hause gekommen und Mary Pat macht sich auf die Suche. Doch ihre Fragen stoßen entweder auf Schweigen und Beschwichtigungen oder aber es gibt Widersprüche in den Aussagen. Doch Mary Pat lässt sich nicht einlullen. Sie macht sich auf, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen – ganz gleich, was es sie selbst kostet.


    Es ist eine spannende, aber auch sehr bedrückende Geschichte. Das Leben im Viertel ist hart. Auch wenn man arbeitet, ist es oft nicht möglich, seine Rechnungen zu bezahlen. So geht es auch Mary Pat. Sie ist ausgelaugt und hat nicht genügend Zeit für ihre Tochter. Aber sie liebt sie.


    Es gibt aber auch massiven Rassismus. Wenn etwas schiefläuft im Viertel, können nur die Schwarzen daran schuld sein. Auch die Drogen haben sie nach Southie gebracht und daher sind sie schuld, dass Mary Pats Sohn Noel an einer Überdosis Heroin starb, weil er das in Vietnam Erlebte nicht verkraftet hat.


    Auch wenn ich Mary Pats Vorgehen nicht gut finden kann, so kann ich sie dennoch verstehen. Sie hat alles verloren, was ihr wichtig war, daher ist es ihr auch egal, was aus ihr selbst wird. In ihr sind Hass und Gewalt und so manch einer bekommt zu spüren, wie stark sie sein kann.


    Doch am meisten hat mir der Detective Bobby gefallen. Er weiß um die Schwächen des Systems und doch setzt er alles daran, Schuldige zu überführen. Er führt einen aussichtslosen Kampf, denn überall gibt es Menschen, welche die Hand aufhalten.


    Das Finale ist drastisch, aber leider auch glaubhaft.


    Ein erschreckend aktuelles Thema und eine spannende Geschichte, die absolut lesenswert ist.


    10/10

  • „Mary Pat zuckt die Achseln. Die Zeit zum Reden ist vorbei. Sie dreht sich um und geht durch die Menschenmenge hindurch, die sich vor jedem ihrer Schritte teilt.“


    *Shutter Island* gehört zu meinen All - Time - Favourites, und auch Lehanes neuester Coup kann sich sehen lassen. 1974, Boston: Es ist die Zeit, da contra Segregation das busing eingeführt wurde, was zu Rassenunruhen, Protesten und Gewalt führte. Doch auch die US - Drogenkrise der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts spielt eine Rolle und es wird die Wirtschafts – und Sozialgeschichte der Vereinigten Staaten tangiert.


    Worum geht’s?

    Mary Pat Fennessys schlimmster Alptraum wird wahr, als ihre siebzehnjährige Tochter Jules eines Tages nicht mehr nach Hause kommt. Mary Pat kann das nicht akzeptieren – sind es etwa ihre eigenen Schuldgefühle, die sie antreiben? Die Protagonistin schwört blutige Rache. Bei ihrer Suche stößt sie auf ein Netz aus Lügen und Intrigen und sticht in ein Wespennest…

    „Sekunden der Gnade“ liest sich extrem gut, obwohl der Roman relativ dialoglastig ist. Die spannende Handlung wird in einen historischen Kontext eingebettet, der als Katalysator für den Plot dient. Die nuancierte Figurenzeichnung gefiel mir besonders gut, die Protagonisten sind nicht unbedingt sympathisch; überhaupt lebt die Geschichte von der Ambivalenz. Es ist mutig, dass der Autor auch das N – Wort gebraucht und damit eine bestimmte Atmosphäre evoziert, die den Hass und die Hysterie der damaligen Zeit illustriert. Als Leser darf man sich an Beleidigungen und Schmähungen nicht stören, da diese nicht die Ansicht des Autors spiegeln, sondern ein gewisses Mindset, welches die Story authentisch wirken lässt. „Sekunden der Gnade“ ist zugleich Gesellschaftskritik und Psychogramm, ein Drama mit Ansage und ein historischer Krimi, der es in sich hat. Zwei Welten prallen aufeinander, als die irische Community Bostons und die afroamerikanischen Bürger gegeneinander ausgespielt werden.

    Bei Lehane gibt es keine Schwarzweißmalerei, der Verlauf der story ist nicht unbedingt vorhersehbar, da er mit ‚doppelten Böden‘ und mehreren Ebenen arbeitet. Die Auflösung überrascht.



    Volle Punktzahl.

    "Literatur ist die Verteidigung gegen die Angriffe des Lebens."


    "...if you don't know who I am - then maybe your best course would be to tread lightly."

  • Volle Punktzahl.

    Dem kann ich nur voll und ganz zustimmen. Das Buch ist sehr intensiv und gerade die vielen Dialoge haben mir wieder sehr gefallen. Man kommt den Hauptdarstellern - vor allem Mary Pat - dadurch ziemlich nahe. Obwohl das ganze Setting in den 1970ern spielt, ist das Thema nach wie vor sehr aktuell und wie immer sind ein paar richtig kluge Gedanken und Ansatzpunkte über die menschlichen Schwächen drin. Man kann herrlich eintauchen und nach dem auftauchen drüber sinnieren und diskutieren.


    Ich bin ziemlich erschrocken, dass Lehane im Nachwort davon ausgeht, dass dieser Roman sein letzer - oder für lange Zeit sein letzter - sein wird. Da er inzwischen beruflich sehr stark in Serien und Filme macht, ist das natürlich verständlich. Und für den Teil in mir, der gerne vor der Glotze hockt, vielversprechend. Aber mein Leserherz weint doch, dass ich einen meiner Lieblingsautoren verlieren soll.


    Auch von mir volle Punktzahl.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Ninni Schulman - Den Tod belauscht man nicht

    Hanna Caspian - Im Takt der Freiheit


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Im Herbst 1974 ist die Stimmung in Boston ziemlich aufgeheizt, weil zukünftig schwarze und weiße Kinder zusammen auf die gleichen Schulen gehen sollen. Auch sonst befindet sich vieles im Wandel. Nachdem Mary Pat Fennessys Teenagertochter Jules eines Abends nicht nach Hause kommt, beginnt ihre Mutter, sich Sorgen zu machen. Sie telefoniert Jules‘ übliche Bekannte ab und als das nichts bringt, begibt sich Marty Pat selbst auf die Suche nach ihrer Tochter. Dabei macht sie auch vor zwielichtigen Spelunken, Drogendealern und Ganoven nicht Halt. Sie kennt keine Skrupel und legt sich mit jedem an, der ihr in den Weg kommt. Selbst die Polizei kann sie nicht zurückhalten.

    Autor Lehane versteht es, die Sorge und die Verzweiflung der Mutter gekonnt umzusetzen. Er beschreibt ihre Odyssee in beeindruckend schnörkelloser Sprache und schreckt weder vor Kraftausdrücken noch Gewalt zurück. Sein Stil erinnert ein wenig an den von Don Winslow. Auch der kommt mit seinen Beschreibungen stets genau auf den Punkt.