Historische Romane - Bevorzugt ihr Realität oder Wunschvorstellung?

  • Zitat

    Original von Orlando
    Weisst Du, ich kenne dies Problem noch aus einem anderen Bereich - dem Reenactment.
    Ich habe überhaupt kein Problem damit gehabt, wenn jemand in lustigster Fantasy-Klamotte rumgelaufen ist, so lange er nicht gesagt hat, sein Hobby ist Mittelalterdarstellung. Das ist dann einfach Etikettenschwindel.


    Da bist du aber nicht im Bilde! :grin
    Natürlich gibt es "Reenacter", die eigentlich eine Art LARP betreiben, bei denen die Authentizität keine Rolle spielt und es nur um eine exotische Optik geht.


    Ein nicht unerheblicher Teil der "Reenacter" betreibt allerdings experimentelle Archäologie. Sehr viele sind Leute vom Fach: Historiker, Archäologen etc. andere kommen aus Handwerk und Kunsthandwerk. Diese Leute beschäftigen sich auf einer wissenschaftlich fundierten Basis mit der Rekonstruktion, um bisherige Forschungsergebnisse zu widerlegen und ggf. zu modifizieren. Im Übrigen leisten sie heutzutage einen gewaltigen Beitrag dazu, daß das Leben ... ich sag jetzt mal: unser aller Vorfahren nicht in Vergessenheit gerät: Sie bringen Otto Normal und Lieschen Müller diese Dinge auf höchst anschauliche Weise nahe und nähren damit Interesse am Leben in einer fernen Vergangenheit.


    Wer die "solide" Beschäftigung mit früheren Zeiten in die Elfenbeinstuben der Universitäten und Akademien verbannen will, sollte ehrlicherweise gleich ihre Beseitigung aus dem Fächerkanon fordern.

  • Ähmnmm ... sorry, das konnte ich aus dem Satz:

    Zitat

    Original von Orlando:
    Weisst Du, ich kenne dies Problem noch aus einem anderen Bereich - dem Reenactment.


    ... irgendwie nicht rauslesen ...


    Es gibt eine Menge Leute, die über die experimentelle Archäologie sagen, das sei populistischer Unfug, und es "archäologisches Disneyland" oder "Archäologie für Arme" nennen. Deshalb schrillen bei mir schnell mal die Alarmglocken ... tut mir leid!

  • Was ist denn dann genau unter experimenteller Archäologie zu verstehen? Solche Sachen, wie Drachenschiffe nachbauen oder kleine Pyramiden mit damaligen Hilfsmittel errichten? Oder auf irgendwelchen Burgruinen in authentischen Tuch und Stoff gehüllt bei Rockmusik Met in Trinkhörnern verkaufen?


    Gruss,


    Doc

  • :knuddel1


    Entschuldige, ich hab mich wohl etwas nachlässig ausgedrückt.


    Wir waren ja selbst aktiv und auch nur in Museen unterwegs und eben *nicht* im Marktmittelalter - da spiele ich immer "Touri des Todes" (wie es in der Szene heisst) und stelle Fachfragen, auf die diese Figuren nie eine Antwort haben :lache (böse, böse).

  • Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Oder auf irgendwelchen Burgruinen in authentischen Tuch und Stoff gehüllt bei Rockmusik Met in Trinkhörnern verkaufen?


    Gruss,


    Doc


    :hau eben nicht! Das sind die *bösen* :grin


    Bei uns war jeder Stich (natürlich handgenäht) durch Quellen belegt!

  • Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Was ist denn dann genau unter experimenteller Archäologie zu verstehen? Solche Sachen, wie Drachenschiffe nachbauen oder kleine Pyramiden mit damaligen Hilfsmittel errichten? Oder auf irgendwelchen Burgruinen in authentischen Tuch und Stoff gehüllt bei Rockmusik Met in Trinkhörnern verkaufen?


    Eher ersteres -- wobei ich aus Erfahrung weiß, daß die meisten dieser Leutchen durchaus dem Met aus Trinkhörner oder dem Mulsum aus Tonbechern zusprechen. :lache


    Wer was "Echtes" erleben will, fährt z.B. zu den "Römerfesten" in Aalen und (gar nicht so weit von euch!) Eining/Bad Gögging, in Xanthen und Kalkriese, außerdem in Augst und bei Wien (Carnuntum).

  • Seltsame Seite...


    Diese heidnischen Gruppen sind ja auch oftmals mit Vorsicht zu geniessen (leider).


    Kennst Du sie persönlich? Ich find die Seite extrem unübersichtlich.


    Meine Zeit war das ausgehende 15.

  • Zitat

    Original von Orlando
    Diese heidnischen Gruppen sind ja auch oftmals mit Vorsicht zu geniessen (leider).
    Kennst Du sie persönlich?


    Ich kenne einige aus dem "inneren Kreis" persönlich, und weiß, daß sie nicht zu den völkischen und naiven Grüppchen gehören. Es ist auch nciht anders als jede andere praktizierte Religion -- und ein paar Spinner hast du in jeder Truppe. :grin
    Ich kann jedenfalls den Eindruck von "Wunderlichkeit" nicht bestätigen. :knuddel1


    @Doc: Sumbeln ist überhaupt nix Unanständiges! Man läßt ein Trinkgefäß rumgehen und jeder macht einen Trinkspruch, bevor er sich gütlich tut. Ich find, das ist eine wirklich schöne Sache.

  • Bei diesem Thread habe ich nur das Eingangsposting aufmerksam durchgelesen.


    Mich interessiert es sehr, wie es früher auf dieser Welt zu und her ging und unter welchen Voraussetzungen die Menschen ihr Leben lebten ....und da möchte ich dann doch möglichst korrekt darüber informiert werden, auch wenn es sich um einen Roman handelt. Daher setze ich bei einem Autoren schon voraus, dass er sauber recherchiert und dass ich mich auf seine Ausführungen verlassen kann.


    Und da ich halt, mangels fehlendem geschichtlichen Wissen, den Grossteil nicht selber als Realität oder als erfundenes Ammenmärchen einordnen kann, lasse ich in den meisten Fällen die Finger von der grossen Masse an sogenannten "historischen" Romanen.
    Ausnahmen mache ich bei den Werken von Eveline Hasler und von Mary Lavater-Sloman.

    Avatar: James Joyce in Bronze... mit Buch, Zigarette und Gehstock.
    Diese Plastik steht auf seinem Grab. (Friedhof Fluntern, Zürich)
    "An Joyces Grab verweht die Menschensprache." (Yvan Goll)

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Joan ()

  • Also mich soll ein Buch unterhalten, wenn ich etwas lesen möchte, was "wirklich" wahr ist (weiß man das schon!??) dann lese ich Fakten und keine Romane, wenn es gut verpackt ist, ist das okay. Wenn ich die Tatsachen nicht selber recherchieren kann oder will hoffe ich einfach, das der Autor das für mich getan hat.
    Ich fand die "Ayla" Reihe unterhaltsam nebenbei hat man auch noch etwas über unsere Vorfahren erfahren. Schließlich hat sich die Autorin Jahrelang mit dem Thema befasst. Ob das alles so war ist weiß man ja nicht, aber das geht einen ja bei vielen Sachen so, wo vieles nur auf Vermutungen basieren.
    Wer natürlich historisch bewander ist, ärgern Fehler - ganz klar. Der sollte dann aber solche "Romane" lieber nicht lesen.

  • Also ich persönlich möchte mit dem Lesen eines Romans keinen Geschichtsunterricht wahrnehmen, sondern mich von dem Buch unterhalten lassen. Wenn mich geschichtliche Dinge interessieren, dann greife ich zu einem Sachbuch und nicht zu einem Roman. Einen historischen Roman eher als Fantasyroman zu bezeichnen, weil es nicht mit allen geschichtlichen Fakten übereinstimmt, empfinde ich als etwas zu weit hergeholt. So könnte man nämlich auch alle anderen schlecht recherchierten Romane in die Fantasy Sparte packen.

  • Ich denke mir, dass sich der Mensch als solcher in den letzten paar tausend Jahren kaum verändert hat. Sein Denken und Handeln ergibt und ergab sich aus seinen Lebensumständen und seiner Erziehung. Wenn ich also einen authentischen historischen Roman schreiben will, dann muss ich die Lebensumstände der Menschen so genau wie möglich recherchieren - und auch herausfinden, was sie glaubten und wussten, denn das bestimmt ihre Denkweise. Danach kann ich die Welt, in der mein Roman spielen soll, zuerst für mich und dann auch für den Leser rekonstruieren - was nicht heißen muss, dass ich jede Einzelheit vor ihm ausbreite, oder ihm gar eine Geschichtsstunde verpasse. Wenn ich die Figuren schließlich im Rahmen dieses Umfelds agieren lasse, so werden sie sich wahrscheinlich mehr oder weniger genau so verhalten, wie Menschen es damals taten, und nur dann macht es ja Sinn, einen Roman im Mittelalter spielen zu lassen, und nicht heute in Gelsenkirchen. ;-)
    Wer sich historische Fakten allerdings nur irgendwie zurechtlegt oder schnell bei Wikipedia zusammengeklaubte Infos als Verzierung irgendwo einbaut, der kriegt keine authentische Handlung zustande. Dafür erzielt er aber oft eine Art 'Wohlfühleffekt' bei den Lesern. Zum Beispiel, wenn plötzlich im Mittelalter ein derart 'emanzipiertes' Gedankengebäude entwickelt wird, wie man es selbst heute eher in der 'Emma' als in der 'Brigitte' fände. Oft scheinen Autoren - und Leser - auch nicht an authentischen Verhaltensweisen von Menschen interessiert zu sein. Mich wundert es z. B. wieder, wie selbstverständlich die Frauen da selbst Massenvergewaltigungen wegstecken. Gut, es bleibt ihnen letztlich nichts anderes übrig, aber oft setzen sie sich ja überhaupt nicht mit den Geschehnissen auseinander, verlieren auf keinen Fall auch nur zehn Minuten den Spaß am Sex und machen unter Umständen gleich einen Beruf draus. ;-)
    Nun kennt man das 'Null-Trauma-Phänomen' auch aus modernen Krimis und Filmen - jeder normale Mensch wäre schon nach der ersten Folge von 'Stirb Langsam' fürs Leben verdorben. Aber ich wollte es trotzdem mal sagen, weil es mich immer wieder nervt. In historischen Romanen erstaunlicherweise mehr, als in Krimis. Was sagt das über mich?
    Ich gehe jetzt mal in mich ...

    Sarah Lark: Das Lied der Maori
    Ab Mai bei Lübbe!
    Und der versprochene 'Wink mit dem Zaunpfahl':
    Ricarda Jordan: Die Pestärztin
    Ab Juli bei Weltbild

  • Ich lese inzwischen kaum noch historische Romane und nur in großen Ausnahmen.
    Und auch dann bin ich fast immer enttäuscht.


    Ich würde eine realistische Schilderung vorziehen - allerdings kriegt das kaum einer hin.


    Mich stört meistens bei den historischen Romanen, daß die Figuren darin alle schon so aufgeklärt und rational und so "20. Jahrhundert" sind.
    Es wirkt leider meistens wie verkleidete Jetzt-Zeitler, die mal ein bißchen Vergangenheit spielen. Besonders schlimm fand ich nun wieder den neuen Follett, auf den ich mich wirklich gefreut hatte.


    Inzwischen habe ich gar keine Lust mehr historisches zu lesen und habe glücklicherweise auch vor meinem Umzug meinen SUB von sämtlich historischem entrümpelt.

    :lesend
    If you can read, you can empathize, luxuriate, take a chance, have a laugh, hit the road, witness history, become enlightened, turn the page, and do it all again
    Oprah Winfrey

  • Ich würde am liebsten so realistische historische Romane wie nur möglich lesen, weil ich historisches aus dem Grund lese um zu wissen wie es damals war.


    Wenn schon Wunschvprstellung, dann lese ich lieber Fantasy, da kann der Autor ohne zu Zögern neues erschaffen.

  • Ich lese nicht so viele historische Romane, um einordnen zu können, was ich lieber mag und ob es mir so wichtig wäre, dass alles richtig geschildert wäre, aber ich denke schon. Wenn ich weiß, wie es richtig wäre, würde es mich nämlich fürchterlich ärgern, wären Tatsachen verdreht (ich meine so richtige Dreher, keine kurzen unlogischen Anflüge oder ähnliches).


    Nur als ich "Timeline" von Crichton gelesen habe, musste ich mich so fürchterlich ärgern, dass ein Geschichtestudent (!) nicht wusste, was ein Fehdehandschuh sei! :fetch