Ich finde diese Unterscheidung sehr interessant.
"Ein Roman ist ein Roman, und jeder Dichter hat dichterische Freiheit, und es geht ja nicht um ein Sachbuch, also muss nicht alles richtig sein!", so ist es zumindest aus manchen Kommentaren rauszulesen.
"Romane sind fiktiv, ergo muss nicht alles stimmen!" ist dabei der Satzteil, der mir am meisten aufstößt. Richtig, Romane KÖNNEN fiktiv sein. Wenn man allerdings das Genre schon thematisch spezifiziert als "historischer" Roman, dann ist dieses Argument ad absurdum geführt.
Ich erwarte mir als Leserin eines historischen Romans natürlich einen gewissen Unterhaltungswert; allerdings als angehende Historikerin erwarte ich auch eine gewisse Faktentreue. Das heißt z.B., dass der 30-jährige Krieg nicht 1700 bis 1730 war, sondern nun einmal zwischen 1618 und 1648 stattgefunden hat.
Ich wäre schon froh, wenn wenigstens eine chronologisch - zeitliche Einteilung der "Realität" entsprechen würde, aber es gibt sogar Beispiele, die Daten, die Fakten sind (im Sinne von überprüft und nachgewiesen), verlegen, verwechseln bzw. eine zeitliche Einteilung so falsch vorgenommen wird, dass man nur den Kopf schütteln kann. (Ich sage hier nur ein Wort: Ayla.)
Ein weiteres Problem ist die Darstellung von Sitten und Gebräuchen. Hier bedarf es einer genauen Recherche. Jeder Leser, der ein bisschen bewandert ist, würde auffallen, wenn ein einfacher Bauer im 8.Jahrhundert mit Silberbesteck isst. Oder als anderes Beispiel, jedem fällt es auf, wenn ein einfacher Handwerker des 13.Jahrhunderts im goldenem Brokat und Seide herumläuft. Das sind kleine Dinge, aber ihr wisst gar nicht, wie sich so etwas summieren kann. (Die Hochzeitsriten bei der "Ayla"-Reihe sind mein Lieblingsbeispiel... Die Früh- und Urgeschichte ist nicht meine spezielle Vorliebe, aber mich würde interessieren, woher der Autor / die Autorin weiß, wie eine Hochzeit in der Steinzeit abgehalten wurde. Wandmalereien zeigen zumeist Jagdszenerien, keine Alltagsgeschichten.)
Mein allerdings allergrößtes Problem mit diesem Genre ist die Darstellung der menschlichen Verhaltensweisen. Die Denkweise eines "intelligenten" Wesens hat sich innerhalb der letzten 300 Jahre gravierend geändert - ob das die Emanzipations- und Frauenbewegung ist; ob es das Denken der Aufklärung ist; ob es das Ablehnen von finanziell-geschlossenen Ehen ist. Ich finde es schwierig für einen Menschen sich in die Gedankenwelt eines Menschen vor 500 Jahren zu versetzen. Und ganz ehrlich, dieses Projekt "Reinversetzen" geht in manchen Fällen sehr weit daneben.
Viele LeserInnen verbinden vor allem mit historischen Frauenromanen den Wunsch nach einer emanzipierten Persönlichkeit in dieser Zeit. Woran ich das festmache? Daran, wie viele Hosenroll-Romane es gibt; diese stoßen mir am meisten auf, weil sie eine Realität vermitteln, die a.) nicht existiert hat und b.) die Möglichkeit offerieren, dass man aus seinem problematischen Leben fliehen kann. Dem ist nicht so. Eine mit einem Trinker verheiratete Frau war im 12.Jahrhundert als Beispiel nun einmal die Frau eines verheirateten Trinkers. Sie fing als Mensch nicht auf einmal an zu denken: "Ich will die Scheidung!" oder aber "Ich verkleide mich jetzt als Mann und gehe in die Welt hinaus!" Das ist eine Utopie, eine gewünschte von den LeserInnen.
Es undenkbar, das sagt nicht nur die historische Forschung, sondern auch der gesunde Menschenverstand, dass ein Mann in der Steinzeit sich nicht Gedanken darüber machen wird, warum er seine Frau schlägt (Wobei nicht einmal das bestimmbar ist). Er macht sich Gedanken, um's Überleben; er bedenkt nicht die beste Bildung für seine Kinder; er bedenkt wie er zu Nahrung kommt, um diese zu ernähren.
Warum wünschen sich Frauen Menschen, die im 13.Jahrhundert schon emanzipiert und gleichgestellt und gleichberechtigt sind? Und vor allem, warum sind die meisten Männergestalten rohe, böse, frauenmordende Bestien bzw. warum übernehmen zumeist Frauen die Opferrolle? Leben Leserinnen so ihre heimlichen Ängste und Emotionen wie Ablehnung aus?
Man darf mich nicht falsch verstehen, auch ich lese gerne einen historischen Roman, aber ich erwarte mir einen sorgfältigen Umgang mit historischen Fakten. Und ich erwarte mir auch, dass Pferde nicht blau sind, sondern braun... Historische Romane sollten einen gewissen faktischen Anspruch haben; natürlich sind sie fiktiv, aber fiktiv heißt nicht falsch.