Historische Romane - Bevorzugt ihr Realität oder Wunschvorstellung?

  • Zitat

    Original von Tilia Salix
    Das Problem bei Cross' Roman ist nicht die Frage, ob es die Päpstin wirklich gegeben hat. Der Sagenstoff ist als solcher bekannt. Das Problem ist die katastrophal falsche geschichtliche Einbettung, Donna Cross hat so viele echte Klopper reingebaut, dass man sich permanent mit der Hand vor den Kopf schlägt. Und das finde ich in einem historischen Roman schon ärgerlich, weil ich dadurch das Gefühl bekomme, die Autorin nimmt weder ihre Leserschaft noch ihre eigene Geschichte für voll. Dichterische Freiheit ist was Feines, aber gerade bei historischen Romanen finde ich es nur fair, wenn Autoren deutlich machen, wo sie die Realität bewusst verbogen haben, damit die Geschichte passt. Wobei: bei der Päpstin wäre es fast einfacher aufzuzählen, wo sie sich an die historische Forschung gehalten hat.


    Zunächst einmal kann ich deine Gefühle, die du in Bezug auf den Roman "Die Päpstin" beschreibst, sehr gut nachvollziehen, da ich dasselbst erlebt habe. (Allerdings war es bei mir nicht "Die Päpstin" von Donna Cross, sondern ein ganz anderer historischer Roman und dessen Autor.)


    Was die "Päpstin" betrifft, dürfte ich zu jenen Leser/innen gehören, die das Buch in den 1990er-Jahren gelesen haben. Der Roman hat mir gefallen, was für viele Romane gilt, aber irgendwelche Extremgefühl (ob positiv oder negativ) hat dieser Roman bei mir nicht ausgelöst. Es mag sein, dass ich den Roman, wenn er z. B. 2010 seine Erstauflage gehabt hätte, vielleicht kritischer sehen würde, was seine Historizität betrifft. Mit Blick auf den offiziellen Wissensstand der Entstehungszeit, würde ich die historische Einbettung als akzeptabel bewerten. Da zumindest ich den Roman in einer Ausgabe kennen gelernt habe, wo Donna Cross selbst zugibt, dass sie die fiktive Variante eines historischen Romans gewählt hat, weil der ihr Material für ein historisches Fachbuch nicht ausreichend war, finde ich nicht, dass ihre Leserschaft "betrogen" hat.


    Natürlich ist zu bedauern, dass sie sich in ihrem Nachwort nicht die Mühe gemacht hat, über ihre Arbeitsweise zu schreiben und in diesem Zusammenhang auch auf historische Abweichungen hinzuweisen, aber, soweit mir bekannt, sind Autoren/innen dazu nicht verpflichtet, und Frau Cross hat das Nachwort auch nicht missbraucht, ihrer Leserschaft weiszumachen, die Geschichte hätte sich so abgespielt und nicht anders.


    Hinzu kommt auch, dass das Nachwort, in dem ausdrücklich klar gestellt wird, was fiktiv und was historisch ist, die Anhängung einer Literaturliste und Ähnliches - dass diese Form von Nachwort erst im 21. Jahrhundert als eine gewisse Verpflichtung von Autor/in für Leserschaft gilt. (Und offensichtlich hängt dies auch von den Verlagen ab - immer wieder finden sich Aussagen von Autoren/innen, zumindest, was den deutschen Sprachraum betrifft, dass die Verlage nicht immer ein Nachwort abdrucken bzw. dieses sogar kürzen.


    Insofern finde ich, dass Donna Cross selbst kein Vorwurf zu machen ist.


    Ich habe Donna Cross hier allerdings auch deswegen als Beispiel angeführt, weil ich den Eindruck habe, dass wir einen Fall haben, bei dem verschiedene Aspekte in Bezug auf Rezension zusammentreffen, und eben nicht nur die für ein Buch noch immer wichtigste Frage: Hat es mir gefallen oder hat es mir nicht gefallen?
    Eigentlich geht es bei den Rezensionen zur "Päpstin" um verschiedene Fragen / Voreinstellungen:
    - Darf eine Frau über ein solches Thema ein Buch schreiben? (Ich kenne zumindest einen Fall, wo eine Autorin des 20. Jahrhunderts ein männliches Pseudonym verwenden musste, damit ihr Buch über einen Papst überhaupt veröffentlich wurde.) Ist eine solche Sache heute tatsächlich Vergangenheit?
    - Darf ein fiktiver Roman überhaupt als Argumentation dafür verwendet werden, dass es eine Päpstin gegeben haben könnte?
    - ...
    - und letztlich grundsätzliche Fragen, die einen historischen Roman betreffen wie eben: wie überzeugend ist die Historizität dieses Romans; bzw. warum ist die Historizität mehr oder weniger gelungen oder fragwürdig?
    - und außerdem noch die Fragen, die bei der Beurteilung jeder Geschichte da ist, egal ob Kriminalroman, historischer Roman etc.: wie gelungen ist die Geschichte als solche, überzeugen mich die Figuren, überzeugt mich die Handlungsführung etc.

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    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

  • Ich schätze es sehr, wenn sich ein Autor/eine Autorin an die historischen Fakten hält und seine Geschichte darum herum bastelt. Oder sie in die historisch belegte miteinfließen lässt.
    Wenn jemand allerdings historische Fakten verdreht oder gar Sachen wegläßt oder verändert, mag ich das nicht. DAnn sollte der Roman nicht als historischer gelten, sondern einfach nur als Roman. Mich ärgert sowas dann.

  • Zitat

    Original von nofret78
    Ich schätze es sehr, wenn sich ein Autor/eine Autorin an die historischen Fakten hält und seine Geschichte darum herum bastelt. Oder sie in die historisch belegte miteinfließen lässt.
    Wenn jemand allerdings historische Fakten verdreht oder gar Sachen wegläßt oder verändert, mag ich das nicht. DAnn sollte der Roman nicht als historischer gelten, sondern einfach nur als Roman. Mich ärgert sowas dann.



    Deshalb schätze ich auch ein ausführliches, erklärendes Nachwort sehr, und lese das auch immer zuerst, und dann noch ein zweites Mal nachdem ich das Buch durch habe!

  • Zitat

    Original von Teresa
    Das finde ich nicht, wenn die Geschichte mir gefällt, ist das sicher besser, als ein historisch-perfekt recherchierter Roman, der leider nur langweilig ist, was die Handlung betrifft. (Historische Fakten alleine ergeben noch nicht eine gelungene Geschichte).


    Vielleicht bin ich zu anspruchsvoll, aber ich erwarte beides: Einen Roman, der sich so weit wie möglich an die Fakten hält wie auch eine gelungene Geschichte. Auf das eine zu verzichten ist nicht "besser" als auf das andere.


    Zitat

    Original von Teresa


    Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich in den Alltag von damals eingeweiht sein kann - normalerweise gilt eine Zeit erst als historisch, wenn zumindest Autor/in da noch nicht gelebt hat.


    Ich finde, die Berücksichtigung von Fakten gilt nicht nur für historische Romane, sondern auch für zeitgeschichtliche Romane. Beim Thema Mauerfall, zu dem ja mittlerweile diverse Romane vorliegen, dürften viele Autoren noch aus eigenem Erleben mitreden können.


    Zitat

    Ich halte es jedenfalls für Unsinn, zu glauben oder zu erwarten, dass ein Roman tatsächlich die Geschichte / seine Zeit so wieder gibt, wie sie war. Ein wirklich großartiger historischer Roman schafft lediglich, sich an die Zeit anzunähern, in der er spielt bzw. den Eindruck zu vermitteln, so könnte es tatsächlich gewesen sein.


    Stimmt, ein vollumfängliches Bild einer früheren Zeit ist kaum in einem Roman unterzubringen, ein Roman ist immer nur ein Schlaglicht auf einen sehr kleinen Punkt auf der Landkarte und selbst da ist es sehr schwierig, alles bis ins Detail zu beschreiben, ohne Langeweile aufkommen zu lassen.


    Zitat

    (Was gar nicht so leicht, da hier Respekt vor einer früheren Zeit, die Bereitschaft sich in diese einfühlen zu können und Ähnliches notwendig ist.)


    Wieso nur in Klammern? Genau das ist aus meiner Sicht der Punkt. Der durchschnittliche heutige Leser hat sicher schon Mühe, sich in der Lebens- und Denkweise der Menschen vor 100 Jahren "einzufühlen", geschweige denn, das Leben in der Zeit der Rosenkriege oder zu Zeiten eines Friedrich Barbarossa nachzuvollziehen. Deshalb ist, wie Du ja zuvor schriebst, bestenfalls eine Annäherung möglich. Allerdings muß der Autor sich die Frage gefallen lassen, ob diese Problematik ihm das Recht gibt, alle Fakten nach Belieben bis zur Unkenntlichkeit zu beugen und zu verbiegen.


    Zitat

    Ein/e seriöse/r Autor/in ist auch daran zu erkennen, dass er/sie sicher nicht darauf bestehen wird, dass ihr geschichtlicher Roman die einzige richtige bzw. mögliche Version dieser Geschichte ist. (Und dass er/sie seiner Leserschaft Mündigkeit zugesteht.)


    Es geht doch nicht um die "Kerngeschichte". Daß man hier gewisse Fakten einfach nicht kennt, dürfte jedem Leser klar sein (nett ist natürlich trotzdem, den Leser im Nachwort aufzuklären, welche Fakten zum Kernthema man berücksichtigt hat und wo man "dichterisch" tätig wurde). Es geht vielmehr um die begleitende Randerscheinung.


    Ein fiktives (Extrem-)Beispiel:
    Ein Roman über die Landung eines UFOs im Mittelalter. Jedem Leser ist klar, daß es das nicht gab. Wenn allerdings dann der Kaiser davon aus der Zeitung erfährt, ist das aus meiner Sicht eine klare Mißachtung der historischen Fakten.

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • Zitat

    Original von LeSeebär


    Es geht doch nicht um die "Kerngeschichte". Daß man hier gewisse Fakten einfach nicht kennt, dürfte jedem Leser klar sein (nett ist natürlich trotzdem, den Leser im Nachwort aufzuklären, welche Fakten zum Kernthema man berücksichtigt hat und wo man "dichterisch" tätig wurde). Es geht vielmehr um die begleitende Randerscheinung.


    Ein fiktives (Extrem-)Beispiel:
    Ein Roman über die Landung eines UFOs im Mittelalter. Jedem Leser ist klar, daß es das nicht gab. Wenn allerdings dann der Kaiser davon aus der Zeitung erfährt, ist das aus meiner Sicht eine klare Mißachtung der historischen Fakten.


    Gab es im Mittelalter wirklich keine UFOs? Immerhin sind zumindest Geschehnisse überliefert, die seltsam wirken, aber vielleicht mit einem UFO erklärt werden könnten?


    Mir kommt es hier sicher auf die Umsetzung an. Wenn Autor/in z. B. die Idee hat, ein gewisses Wunder, das überliefert ist, mit einem UFO zu erklären, daraus eine spannende und / oder halbwegs schlüssige Handlung macht, die eine gelungene Geschichte zur Folge hat und das Umfeld, das beschrieben wird, tatsächlich wenigstens ein wenig "Mittelalter"-Touch hat, werde ich wahrscheinlich nichts dagegen haben.


    Problematisch wird es zwar, wenn der Kaiser alles aus der Zeitung erfährt, aber wenn dass der einzige Schnitzer ist, werde ich da wahrscheinlich Nachsicht haben. (Vielleicht ist es auch mit einem Augenzwinkern zu sehen.)


    Sollte sich Autor/in noch eine Erklärung einfallen lassen, warum es diese Zeitung im Mittelalter gibt, die halbwegs vorstellbar wäre, würde ich das gelten lassen.


    Problematisch würde es allerdings für mich, wenn die Historizität dieses Romans als Highlight in Bezug auf Genauigkeit und Faktentreue vermarktet wird, und böse wäre ich Autor/in wohl auch, wenn sie im Nachwort noch zu behaupten wagt, dass dieses UFO und die Zeitung tatsächlich historisch stimmig sind.
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    Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass ein/e halbwegs intelligenter Autor/in das wirklich machen würde. Da wäre schon naheliegender, dass solche Behauptungen in einem Nachwort wohl kaum ernst gemeint sind, sondern vielleicht "augenzwinkernd" oder als Spaß.


    Ähnlich erginge es mir, wenn jemand z. B. Kaiser Friedrich Barbarossa mit Heinrich dem Löwen einen Ausflug aus dem Mond machen lässt und sich dazu vielleicht auch eine Erklärung einfallen lässt, warum das nicht überliefert wurde. Wenn er/sie im Nachwort noch behauptet, dass diese Mondfahrt tatsächlich stattgefunden hat, würde ich zunächst einmal davon ausgehen, dass er / sie das nicht wirklich ernst meint, sondern nur Scherz gemacht hat, denn dass beide Herrscher nicht auf dem Mond gewesen sind, dürfte wohl auch für Leser/innen (vielleicht abgesehen von jüngeren Kindern) klar sein, die über die beiden und ihr Zeitalter nicht informiert sind.


    Wenn allerdings z. B. in einem Roman Friedrich Barbarossa von Heinrich dem Löwen vergiftet wird, und Autor/in behauptet im Nachwort, das wäre tatsächlich so gewesen, dann ist es für mich wirklich problematisch, denn dafür gibt es historisch, soweit mir bekannt, absolut keine Belege, es handelt sich also um eine Erfindung. Aber wie soll eine Leserschaft mit wenig oder durchschnittlichen historischen Hindergrund das erkennen, wenn es sogar im Nachwort als Fakt dargestellt wird.

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  • Das Problem ist vermutlich nicht nur, ob im historischen Roman jemand auf eine Armbanduhr guckt, sondern es sind die "weicheren Fakten", wie die Menschen sich einander gegenüber verhalten. Ich habe den Eindruck, dass Autoren, die nach 1970 geboren sind und deren Eltern entsprechend circa 1940 zur Welt kamen, sich generell sehr schwer mit der Tatsache tun, dass Menschen in anderen Epochen in Ständegesellschaften, Leibeigenschaft und oft ohne formale Schulbildung lebten. Dazu kommen Aberglaube und beschränktes naturwissenschaftliches und medizinisches Wissen, das wiederum mit Lehren der Kirche und mangelnder Schulbildung erklärt werden kann.


    Der feine Unterschied ist, ob jemand im Historischen Roman z. B. eine Verletzung erleidet und ein erfahrener Heiler aus seinen Beobachtungen die Überlebenschancen voraussagen kann, oder ob ein Bogenschütze im Mittelalter seinem Herrn berichtet, Anselmo hätte sich im Kampf einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen. :gruebel


    Wie eine Figur sich Eltern, dem Ehepartner, Pfarrern, Lehreren, dem "Herrn" oder der "Gnädigsten" gegenüber verhielten, dafür galten strenge, die Hierarchie wahrende, Normen. So viele aufmüpfige Jugendliche, Lara-Croft-artige Freiheitskämpferinnen, emanzipationswütige Frauen u. a. auffällige Existenzen wie in historischen Romanen kann es einfach nicht gegeben haben.


    Dabei wäre es nicht schwer, z. B. die Beobachtung einer Ufo-ähnlichen Erscheinung aus der Sicht der Epoche und mit einer angemessenen Sprache zu beschreiben, nur darf die Figur nicht erfreut ausrufen: Sieh mal ein Ufo am Himmel! Meine Kritik richtet sich hier nicht gegen unkorrekte harte Fakten, sondern dass zu viel behauptet und zu wenig beschrieben wird - und Texte deshalb unglaubwürdig wirken.

  • Zitat

    Original von Teresa
    Gab es im Mittelalter wirklich keine UFOs? Immerhin sind zumindest Geschehnisse überliefert, die seltsam wirken, aber vielleicht mit einem UFO erklärt werden könnten?


    Aus dem Mttelalter? Ich kenne nur die Invasionen von Däniken, und die sind bedeutend älter (das neuste dürfte wohl die Geschichte aus der Bibel und die Pyramiden von Gizeh sein). Wie auch immer, nimm die UFOs als Gegenpart zur Päpstin - keiner weiß, ob es sie gab, deshalb sind sie fiktionale Freiheit. Aber dennoch sollte das Setting drumherum stimmen und genau darum ging es mir.


    Zitat

    Problematisch wird es zwar, wenn der Kaiser alles aus der Zeitung erfährt, aber wenn dass der einzige Schnitzer ist, werde ich da wahrscheinlich Nachsicht haben. (Vielleicht ist es auch mit einem Augenzwinkern zu sehen.)


    Wenn dieses (zugegebenermaßen sehr extreme Beispiel) wirklich mit Lektor und Co durchgeht, muß man sich schon fragen, ob da überhaupt jemand weiß, was er tut und wie viel Ahnung er von der Epoche hat, selbst wenn mir als Laien nix anderes gravierendes auffällt.


    Schade, daß Du Dich nur an dem Beispiel abgearbeitet hast, statt auf das eigentliche Thema der historischen Genauigkeit näher einzugehen, daß ich nur gebracht hatte, um zu zeigen, daß es dabei nicht darum geht, ob es nun eine Päpstin im Mittelalter gab oder nicht, sondern um die Gesellschaft drumrum. Buchdoktor hat recht, daß die meisten (mir auffallenden) "Ungenauigkeiten" eher bei den Handlungs- und Verhaltensweisen der Personen zu finden sind als bei Dingen aus der Zukunft, die plötzlich auftauchen.

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • LeSeebär, ich finde dein UFO-Beispiel genial! Es zeigt genau das, was ich eigentlich in Bezug auf die Päpstin zum Ausdruck bringen wollte. Ob die Legende der Päpstin nun auf einer "wahren" Begebenheit beruht oder nicht, ist egal. Das ist ja gerade das Reizvolle am Roman, das Spiel mit dem "Was wäre, wenn". Donna Cross hat für Ihre Geschichte entschieden, dass die Legende wahr sein soll, da folge ich ihr problemlos. Und dann lässt sie die Menschen im Europa des 9. Jahrhunderts Hexen verfolgen und Mais zubereiten und noch einiges mehr. Autsch. Da bin ich dann ausgestiegen, denn die historische Forschung zeigte auch schon 1996 ein anderes Bild des 9.Jahrhunderts.
    Das ganze hat ein bißchen was mit der Prämisse eines Romans zu tun. Wenn die lautet: ich erzähle die Legende der Päpstin, als wäre es eine wahre Geschichte, die im möglichst authentischen Mittelalter spielt, dann dürfen bestimmte Fehler einfach nicht passieren.


    Edit: Rechtschreibung

  • Zitat

    Original von LeSeebär


    Wenn dieses (zugegebenermaßen sehr extreme Beispiel) wirklich mit Lektor und Co durchgeht, muß man sich schon fragen, ob da überhaupt jemand weiß, was er tut und wie viel Ahnung er von der Epoche hat, selbst wenn mir als Laien nix anderes gravierendes auffällt.


    Solange ich Autor/in nicht selbst beauftrage, für mich ein Buch über ein Thema zu schreiben und sie für diese Arbeit bezahle, habe ich kein Recht, ihm oder ihr vorzuschreiben, wie er oder sie ihre Geschichte erzählt.


    Wenn jemand also einen Roman schreibt, in dem solche Dinge vorkommen, weil das sein / ihr Konzept ist, geht das für mich in Ordnung. Wenn ich einen historischen Roman mit solchen Details ablehne, wer zwingt mich denn, so einen Roman zu lesen oder sogar kaufen zu müssen.


    Das Ganze ist für mich nur dann nicht in Ordnung, wenn der Roman z. B. als Werk mit perfekter Historizität beworben wird, denn dann handelt es sich um Betrug an der Leserschaft.


    Bei der "Päpstin" wurde die Leserschaft jedenfalls nicht von der Autorin betrogen. Aber ich habe ohnehin den Eindruck, dass bei Cross einfach mehrere Fakten zusammenkommen, die gar nichts mit dem Roman selbst zu tun haben.
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    Ich stimmte Buchdoktor zu, dass das Entscheidende gar nicht so sehr die tatsächliche oder vermeintliche "Realität" einer Geschichte, sondern die Umsetzung ist. Ich habe weder etwas gegen Außenseiter-Existenzen, "emanzipierte" Frauenfiguren und aufmüpfige Jugendliche einzuwenden, aber in diesem Fall erwarte ich auch, dass das in der Geschichte seine Begründung hat. Wenn also z. B. Hofdame Eulalia aufgrund von unglücklicher Liebe in der Gosse landet und sich in dieses neue Leben bestens einfügt, sollte das zumindest so beschrieben werden, dass es letztlich nachvollziehbar ist, warum Eulalia ihr früheres Leben letztlich hinter sich lassen und sich in eine ganz andere Welt einfügen kann. Noch besser wäre es aber, wenn Autor/in der Figur Eulalia ein Schicksal gibt, was zeitgemäß wirkt. In einem Mittelalterroman könnte das z. B. die Flucht in eine übersteigerte Religiösität sein.


    Warum soll es im Mittelalter keine aufmüpfigen Jugendlichen gegeben haben? Nur müsste halt dabei die strenge Hierarchie berücksichtigt werden.

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    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

  • Zitat

    Original von Teresa
    Solange ich Autor/in nicht selbst beauftrage, für mich ein Buch über ein Thema zu schreiben und sie für diese Arbeit bezahle, habe ich kein Recht, ihm oder ihr vorzuschreiben, wie er oder sie ihre Geschichte erzählt.


    Wenn jemand also einen Roman schreibt, in dem solche Dinge vorkommen, weil das sein / ihr Konzept ist, geht das für mich in Ordnung. Wenn ich einen historischen Roman mit solchen Details ablehne, wer zwingt mich denn, so einen Roman zu lesen oder sogar kaufen zu müssen.


    :gruebel Du meinst, diese Fehler sind Absicht - gar ein "Konzept"? Ich dachte bisher, es geht darum, daß der Autor es nicht besser wußte und sich offenbar nicht so sehr drum geschert hat. Glaubst Du, Tipp- und Grammatikfehler sind auch "sein / ihr Konzept" und es steht mir nicht zu, dieses zu kritisieren, weil er / sie ja die Geschichte nicht speziell für mich geschrieben hat? Das finde ich eine sehr ungewöhnliche Interpretation.


    Zitat

    Das Ganze ist für mich nur dann nicht in Ordnung, wenn der Roman z. B. als Werk mit perfekter Historizität beworben wird, denn dann handelt es sich um Betrug an der Leserschaft.


    Wer bewirbt denn einen Roman mit "perfekter Historizität"? Das ist für mich Unsinn, es bewirbt ja auch keiner einen Roman mit perfekter Grammatik oder perfekter Rechtschreibung. Bei einem Roman erwarte ich, daß man sich entsprechend Mühe gibt, diese Anforderungen bestmöglich zu erfüllen. Das heißt nicht, daß man den ein oder anderen Fehler nicht übersehen dürfte, aber wenn man meint, "Rechtschreibung gehört nicht zu meinem Konzept" sollte man dann schon entsprechend eine Warnung auf dem Buch festhalten. Und ähnliches gilt für den Autor eines historischen Romans, dem das Leben in der beschriebenen Zeit pupsegal ist. (Übrigens gilt das nicht nur für Romane in einer anderen Zeit, sondern auch für Romane am anderen Ort, also z.B. ein Roman, der in Zentralafrika oder Südostasien spielt, auch hier erwarte ich, daß der Autor weiß, worüber er schreibt).

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • Zitat

    Original von LeSeebär
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    Wer bewirbt denn einen Roman mit "perfekter Historizität"? Das ist für mich Unsinn, es bewirbt ja auch keiner einen Roman mit perfekter Grammatik oder perfekter Rechtschreibung. Bei einem Roman erwarte ich, daß man sich entsprechend Mühe gibt, diese Anforderungen bestmöglich zu erfüllen. Das heißt nicht, daß man den ein oder anderen Fehler nicht übersehen dürfte, aber wenn man meint, "Rechtschreibung gehört nicht zu meinem Konzept" sollte man dann schon entsprechend eine Warnung auf dem Buch festhalten. ...


    Die Verknüpfung historischer Zuverläsigkeit mit korrekter Rechtschreibung hat mich auch schon beschäftigt. Aktuell lese ich den Auftaktband einer britischen Serie, Verlagsbuch, nicht etwa ein Indieautor, der in den 30ern in Berlin spielt. Ich bin noch nicht sehr weit, aber die Verunstaltung deutscher Eigennamen und Begriffe ist schon jetzt unzumutbar. Fast in jedem deutschen Begriff fehlt ein Buchstabe, aus dem Grunewald wird Grünewald, etc. Wenn der Autor seinen Text formal nicht in den Griff bekommt, wie kann ich dann seiner historischen Recherche trauen? Ist englischen/amerikanischen Verlagen im eigenen Land grundsätzlich egal, wie sie sich blamieren?

  • Zitat

    Original von LeSeebär
    ...
    Wer bewirbt denn einen Roman mit "perfekter Historizität"? Das ist für mich Unsinn, es bewirbt ja auch keiner einen Roman mit perfekter Grammatik oder perfekter Rechtschreibung. Bei einem Roman erwarte ich, daß man sich entsprechend Mühe gibt, diese Anforderungen bestmöglich zu erfüllen. Das heißt nicht, daß man den ein oder anderen Fehler nicht übersehen dürfte, aber wenn man meint, "Rechtschreibung gehört nicht zu meinem Konzept" sollte man dann schon entsprechend eine Warnung auf dem Buch festhalten. ...


    In meiner Generation galten perfekte Grammatik und Rechtschreibung als Selbstverständlichkeit, mit so etwas hätte daher kein Buch bei der Vermarktung punkten können.
    Könnte aber sein, dass das in einigen Jahren tatsächlich noch ein sogenanntes Qualitätsmarketing sein wird. (Neulich hat mir einmal ein Verleger erklärt, dass ein Buch mit 150 Seiten und nur 8 Tippfehler noch als großartig gilt, was die Qualität von Grammatik und Rechtschreibung betrifft.


    Ich finde es nur lustig, dass heute auf alltägliche Details wie eben die Nahrungsmitteln (z. B. Kartoffeln und Kukuruz) im historischen Roman so viel Wert gelegt wird, während z. B. eine interessante oder wenigstens etwas originellere Handlung offensichtlich nicht notwendig ist, von halbwegs gelungenen Hauptfiguren gar zu schweigen.


    Wobei der Verzicht auf ein ahistorisches Nahrungsmittel für mich nicht ausreicht, dass die vorgeführte Zeit tatsächlich authentisch wirkt.

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    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

  • Zitat

    Original von Teresa
    Ich finde es nur lustig, dass heute auf alltägliche Details wie eben die Nahrungsmitteln (z. B. Kartoffeln und Kukuruz) im historischen Roman so viel Wert gelegt wird, während z. B. eine interessante oder wenigstens etwas originellere Handlung offensichtlich nicht notwendig ist, von halbwegs gelungenen Hauptfiguren gar zu schweigen.


    Wobei der Verzicht auf ein ahistorisches Nahrungsmittel für mich nicht ausreicht, dass die vorgeführte Zeit tatsächlich authentisch wirkt.


    Anders rum wird ein Schuh draus: Wenn die Handlung interessant oder originell ist (und das sprachliche Vermögen des Autors entsprechend), dann fallen mir historische Ungenauigkeiten längst nicht so schnell auf. Die Päpstin ist eine 08/15-Liebesschnulze vor historischer Kulisse, deren Figuren vom Reißbrett stammen und deren Handlung mich in keinster Weise überzeugt hat. Wenn ein historischer Roman meinen Geist nicht fesseln kann, geht er automatisch auf kleinlichste Fehlersuche, da kann ich nichts gegen tun.

  • Liebe Tilia Salix,


    eine kleine Bitte von mir.


    Könntest Du Deine Meinung zur "Päpstin": Die Päpstin ist eine 08/15-Liebesschnulze vor historischer Kulisse, deren Figuren vom Reißbrett stammen und deren Handlung mich in keinster Weise überzeugt hat. und Deine Kritikpunkte an Hand von einigen aussagekräftigen Beispielen belegen.


    Es ist schon länger her, dass ich dieses Buch gelesen habe, und nach Deiner Beschreibung habe ich den Eindruck, dass ich da ein ganz anderes Buch gelesen haben muss.

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    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

  • Mit Textzitaten kann ich nicht dienen, da ich das Buch nicht besitze, aber natürlich kann ich ein wenig ausführen, was ich meine: im Vordergrund der Geschichte steht die Liebesbeziehung zwischen Johanna und dem Ritter, beide Figuren sind schlicht gut und haben keine negativen Züge. Die Ehefrau des Ritters, die der Liebesbeziehung im Wege steht, hat keinerlei positive Züge, ebenso Johannas Vater. An die restlichen Figuren kann ich mich nicht mehr erinnern. Die Zeit, in der die Geschichte spielt, ist eigentlich das 9. Jahrhundert, allerdings werden die Lebensumstände nicht "historisch korrekt" geschildert, sondern es wird eine malerisch-düstere Kulisse aufgebaut mit Versatzstücken anderer Zeiten (Frauenbild, Hexenverfolgung), damit die Geschichte in der von der Autorin gewünschten Art funktioniert.

  • Zitat

    Original von Tilia Salix
    Mit Textzitaten kann ich nicht dienen, da ich das Buch nicht besitze, aber natürlich kann ich ein wenig ausführen, was ich meine: im Vordergrund der Geschichte steht die Liebesbeziehung zwischen Johanna und dem Ritter, beide Figuren sind schlicht gut und haben keine negativen Züge. Die Ehefrau des Ritters, die der Liebesbeziehung im Wege steht, hat keinerlei positive Züge, ebenso Johannas Vater. An die restlichen Figuren kann ich mich nicht mehr erinnern. Die Zeit, in der die Geschichte spielt, ist eigentlich das 9. Jahrhundert, allerdings werden die Lebensumstände nicht "historisch korrekt" geschildert, sondern es wird eine malerisch-düstere Kulisse aufgebaut mit Versatzstücken anderer Zeiten (Frauenbild, Hexenverfolgung), damit die Geschichte in der von der Autorin gewünschten Art funktioniert.


    Offensichtlich haben wir beide dasselbe Problem, wir haben das Buch schon vor längerer Zeit gelesen, und wir haben es nicht zum Nachschlagen zur Verfügung bzw. beide keine Zeit oder Wichtigeres zu tun, um es uns dafür zu beschaffen.


    Ich habe die meisten deiner Kritikpunkte anders in Erinnerung, aber da es schon länger her ist, dass ich das Buch gelesen habe (schon mehrere Jahre), kann ich diese keineswegs als Basis für eine quellenkritische Diskussion verwenden.


    Daher bitte ich Dich um Nachsicht, dass ich diese Diskussion nicht weiterführen möchte, da ich denke, dass sie ohne konkrete Textzitate nicht viel bringt.


    (Dass ich erst heute diese Antwort poste, liegt daran, dass ich diesen Thread erst heute zufällig wieder entdeckt habe.)

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