ZitatOriginal von Tilia Salix
Das Problem bei Cross' Roman ist nicht die Frage, ob es die Päpstin wirklich gegeben hat. Der Sagenstoff ist als solcher bekannt. Das Problem ist die katastrophal falsche geschichtliche Einbettung, Donna Cross hat so viele echte Klopper reingebaut, dass man sich permanent mit der Hand vor den Kopf schlägt. Und das finde ich in einem historischen Roman schon ärgerlich, weil ich dadurch das Gefühl bekomme, die Autorin nimmt weder ihre Leserschaft noch ihre eigene Geschichte für voll. Dichterische Freiheit ist was Feines, aber gerade bei historischen Romanen finde ich es nur fair, wenn Autoren deutlich machen, wo sie die Realität bewusst verbogen haben, damit die Geschichte passt. Wobei: bei der Päpstin wäre es fast einfacher aufzuzählen, wo sie sich an die historische Forschung gehalten hat.
Zunächst einmal kann ich deine Gefühle, die du in Bezug auf den Roman "Die Päpstin" beschreibst, sehr gut nachvollziehen, da ich dasselbst erlebt habe. (Allerdings war es bei mir nicht "Die Päpstin" von Donna Cross, sondern ein ganz anderer historischer Roman und dessen Autor.)
Was die "Päpstin" betrifft, dürfte ich zu jenen Leser/innen gehören, die das Buch in den 1990er-Jahren gelesen haben. Der Roman hat mir gefallen, was für viele Romane gilt, aber irgendwelche Extremgefühl (ob positiv oder negativ) hat dieser Roman bei mir nicht ausgelöst. Es mag sein, dass ich den Roman, wenn er z. B. 2010 seine Erstauflage gehabt hätte, vielleicht kritischer sehen würde, was seine Historizität betrifft. Mit Blick auf den offiziellen Wissensstand der Entstehungszeit, würde ich die historische Einbettung als akzeptabel bewerten. Da zumindest ich den Roman in einer Ausgabe kennen gelernt habe, wo Donna Cross selbst zugibt, dass sie die fiktive Variante eines historischen Romans gewählt hat, weil der ihr Material für ein historisches Fachbuch nicht ausreichend war, finde ich nicht, dass ihre Leserschaft "betrogen" hat.
Natürlich ist zu bedauern, dass sie sich in ihrem Nachwort nicht die Mühe gemacht hat, über ihre Arbeitsweise zu schreiben und in diesem Zusammenhang auch auf historische Abweichungen hinzuweisen, aber, soweit mir bekannt, sind Autoren/innen dazu nicht verpflichtet, und Frau Cross hat das Nachwort auch nicht missbraucht, ihrer Leserschaft weiszumachen, die Geschichte hätte sich so abgespielt und nicht anders.
Hinzu kommt auch, dass das Nachwort, in dem ausdrücklich klar gestellt wird, was fiktiv und was historisch ist, die Anhängung einer Literaturliste und Ähnliches - dass diese Form von Nachwort erst im 21. Jahrhundert als eine gewisse Verpflichtung von Autor/in für Leserschaft gilt. (Und offensichtlich hängt dies auch von den Verlagen ab - immer wieder finden sich Aussagen von Autoren/innen, zumindest, was den deutschen Sprachraum betrifft, dass die Verlage nicht immer ein Nachwort abdrucken bzw. dieses sogar kürzen.
Insofern finde ich, dass Donna Cross selbst kein Vorwurf zu machen ist.
Ich habe Donna Cross hier allerdings auch deswegen als Beispiel angeführt, weil ich den Eindruck habe, dass wir einen Fall haben, bei dem verschiedene Aspekte in Bezug auf Rezension zusammentreffen, und eben nicht nur die für ein Buch noch immer wichtigste Frage: Hat es mir gefallen oder hat es mir nicht gefallen?
Eigentlich geht es bei den Rezensionen zur "Päpstin" um verschiedene Fragen / Voreinstellungen:
- Darf eine Frau über ein solches Thema ein Buch schreiben? (Ich kenne zumindest einen Fall, wo eine Autorin des 20. Jahrhunderts ein männliches Pseudonym verwenden musste, damit ihr Buch über einen Papst überhaupt veröffentlich wurde.) Ist eine solche Sache heute tatsächlich Vergangenheit?
- Darf ein fiktiver Roman überhaupt als Argumentation dafür verwendet werden, dass es eine Päpstin gegeben haben könnte?
- ...
- und letztlich grundsätzliche Fragen, die einen historischen Roman betreffen wie eben: wie überzeugend ist die Historizität dieses Romans; bzw. warum ist die Historizität mehr oder weniger gelungen oder fragwürdig?
- und außerdem noch die Fragen, die bei der Beurteilung jeder Geschichte da ist, egal ob Kriminalroman, historischer Roman etc.: wie gelungen ist die Geschichte als solche, überzeugen mich die Figuren, überzeugt mich die Handlungsführung etc.