Patrick Aryee: 30 Tiere, die uns klüger machen. Geniale Inspirationen für die Zukunft: OT: 30 Animals That Made Us Smarter, aus dem Englischen von Nadine Lipp, München 2022, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN: 978-3-423-35198-0, Softcover, 352 Seiten, Format: 11,8 x 2,8 x 19,4 cm, Buch: EUR 12,00 [D], EUR 12,40 [A], Kindle: EUR 9,99.
Ist das ein Trend, liegt es daran, dass dieses Werk auf einem Podcast basiert oder schreiben vor allem britische Sachbuchautor:innen so aus- und abschweifend? „Geschwätzig“ wäre jetzt zu viel gesagt.
Bio-Mimikry und skurrile Fakten
Über „Bio-Mimikry“ will uns Patrick Ayree was erzählen. Es geht um Entwicklungen auf der Grundlage der Natur und betrifft, anders als die Bionik, nicht nur den technischen Bereich. Der Autor beschreibt 30 Beispiele, in der sich Wissenschaftler und Ingenieure (m/w/d) von der Tierwelt inspirieren ließen. Manchmal holt er allerdings mächtig weit aus und unterhält uns mit allerlei skurrilen Fakten. Jetzt weiß ich zum Beispiel, dass es in Island keine Stechmücken gibt und auf dem amerikanischen Kontinent keine Igel. Das Grundthema ist aber schon Bio-Mimikry.
„Ich wollte herausfinden, was Tiere tun, um zu überleben, und prüfen, ob diese Beispiele uns bei der Bewältigung verschiedenster Herausforderungen der modernen Welt helfen können. Die Natur ist voller Problemlöser, schließlich haben viele verschiedene Spezies im Lauf der Zeit durch systematisches Ausprobieren viele Lösungen gefunden. Man kann sich die Natur als das ultimative Forschungs- und Entwicklungslabor vorstellen.“ (Seite 11)
Klingt doch gut: Wenn ein Problem auftaucht, schauen wir mal, wie andere es gelöst haben – in dem Fall die Tiere. Wir können uns auch ganz ohne konkreten Anlass fragen, wie wir uns eine erstaunliche tierische Eigenschaft oder Fähigkeit zunutze machen könnten. Heute kann man ja alles Mögliche beobachten, aufzeichnen, analysieren und künstlich nachbauen.
Wie regelt das Mutter Natur?
Manche Lösungen sind naheliegend und man hat auch schon davon gehört. Dass man einem Hochgeschwindigkeitszug, der immer wieder die Schallmauer durchbricht, ein Cockpit verpasst, das sich an der Form eines Eisvogelschnabels orientiert, fand ich jetzt nicht so abwegig. Wenn der Schnabel so geformt ist, dass der Vogel bei seiner Jagd elegant ins Wasser eintauchen kann, wird eine ähnliche Form dem Zug sicher dabei helfen, effizient und geräuscharm seines Weges zu gleiten.
Dass man sich für Schutzhelme den Aufbau eines Spechtschädels zum Vorbild nimmt, liegt gleichfalls auf der Hand. Was den Vogelkopf beim Hämmern schützt, wird auch unsere Köpfe vor schweren Verletzungen bewahren. Wie dieses Prinzip einem Flugschreiber zugutekommt, ist schon eine Ecke weiter gedacht.
Klingt verrückt, ist aber wahr
Katzenaugen als Vorbild für Sicherheits-Reflektoren kennt man. Der Elefantenrüssel als Ideengeber für einen flexiblen Roboter-Arm geisterte bei uns durch die Regionalpresse, weil eine Firma, die an dessen Entwicklung beteiligt war, hier um die Ecke sitzt. Desgleichen das Unternehmen, das sich einer besonderen optischen Eigenschaft von Spinnennetzen bedient, um Fensterscheiben zu produzieren, die von. V ö g e l n als Hindernisse erkannt und deshalb nicht angeflogen werden. Auch das war mir aus den regionalen Medien bekannt. Als ich diese Beiträge las, dachte ich, okay, dann wird der Rest wohl auch stimmen. Quellenangaben enthält das Buch nämlich keine. Es hätte also auch alles frei erfunden sein können. Manches klingt nämlich schon abenteuerlich.
Erstaunlich, dass das Wärmedämmungs-Prinzip eines Eisbärfells zur Entwicklung eines Materials geführt hat, mit dem man auf dem Mars Häuser bauen könnte. In diesen Gebäuden wären die Bewohner:innen vor extremen Temperaturen und gefährlicher Strahlung geschützt, während genügend Licht für den Anbau von Nutzpflanzen einfiele.
Verblüffend ist auch die vielfältige Nutzung des Anti-Frost-Proteins, das manchen Tieren das Überleben in eisiger Umgebung ermöglicht. Überspitzt gesagt, könnte ein simpler Schneefloh die Organtransplantation revolutionieren!
Spannend – aber ohne Bilder
Wie die Flugtechniken verschiedener Vogel- und Fledermausarten die Konstruktion von Drohnen verbessern, erfahren wir hier ebenfalls. In dem Zusammenhang wär’s jetzt schön gewesen, wenn man den „Bat-Bot“ mit seinen verformbaren Flügeln auch hätte sehen können. Aber das Buch enthält keine Bilder. Da muss man schon selbst im Internet suchen. Das kostet Zeit, genau wie der Versuch, sich komplexe Konstruktionen und Vorgänge anhand der Beschreibungen vorzustellen. Wenn man Ahnung vom Thema hat, funktioniert das einigermaßen. Aber wenn von Tieren und Prozessen die Rede ist, von denen man noch nie gehört hat, hat man keine Chance.
Wie man nach dem Vorbild der Hai-Haut für ein keimfreies Krankenhaus sorgen will, ist nachzuvollziehen, wie man die Form von Walflossen und das Verhalten von Fischschwärmen für eine neue Art von Windkraftanlagen nutzen möchte, ebenfalls. Auch der Einsatz eines Filtersystems auf Basis eines Mantarochen-Mauls ist gut zu verstehen und ein faszinierender Gedanke. Beim Kapitel über den schlagkräftigen Fangschreckenkrebs bin ich allerdings ausgestiegen. Weder weiß ich, wie das Tier aussieht noch verstehe ich was von „zirkulär polarisiertem Licht“. Manche Beiträge haben es echt in sich!
Dass der Superklebstoff, mit dem Muscheln an glitschigen Felsen haften, in der Medizin hilfreich sein könnte, ist ausgesprochen spannend, genau wie die Tatsache, dass man, ausgehend von der Struktur der Schmetterlingsflügel, nicht nur an pigmentfreien Farben forscht, sondern auch an effizienten, günstigen und einfach herzustellenden Solarzellen. – Dass Termiten und Kamele eine Menge von ausgeklügelten Kühlungssystem „verstehen“ und wir uns daran für unsere Gebäude ein Beispiel nehmen könnten, ist ein ebenso interessantes Thema.
Igel, die von Bäumen fallen
Eine meiner Lieblingsgeschichten ist die vom Igel. Nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, dass sich deren Stachelpanzer als „Blaupause“ für Schutzhelme von Sportlern eignen könnte. Genau wie der Autor hatte ich nämlich noch nie gehört, dass Igel auf Bäume klettern können, aber nicht wieder runter. Sie lassen sich einfach fallen. Ja, und da schützt sie dann ihr Stachelkleid.
Auch der Bombardierkäfer-Beitrag hat einen gewissen Unterhaltungswert:
„Wie sein Name schon sagt, ist der Bombardierkäfer eine lebende Miniaturkanone, ein mobiles Geschütz, das Wolken aus beißender Flüssigkeit ausstößt, um Angreifer abzuwehren. […] Die Bedingungen, unter denen das alles im Inneren des Käfers passieren kann, untersuchen wir einmal genauer, um zu verstehen, wie er so einen explosiven Strahl erzeugen kann, ohne sich dabei den eigenen Hintern in die Luft zu sprengen.“ (Seite 150)
Und so ein gefährliches Vieh hat Charles Darwin in den Mund genommen? Keine gute Idee …!
Ja, man erfährt und lernt hier allerlei, wenn auch nicht immer genau das, was man erwartet hat. Informativ und amüsant ist das Buch zweifellos, aber bisweilen anstrengend zu lesen. Wenn’s Bilder enthielte, wäre es einfacher. So habe ich mir einzelne Passagen wieder und wieder vorgenommen, weil ich mir partout vorstellen können wollte, was der Autor beschreibt. Es ist mir nicht immer gelungen.
Bei dem Buch lief es bei mir so bisschen wie in Schule und Studium: Was oft deutlich besser im Gedächtnis geblieben ist als der eigentliche Lernstoff, sind abseitige Fakten, unerwartete Beispiele und schräge Anekdoten.
Der Autor
Als Biologe und bekennender Abenteuerlustiger war Patrick Aryee (*1990) schon immer fasziniert davon, wie Dinge funktionieren. Seit 2012 ist er als Dokumentarfilmer und Wildlife-TV-Moderator in einer Reihe von Programmen für große Sender, darunter BBC und Sky, tätig. Sein Ehrgeiz ist es, uns zu inspirieren und zu überraschen, während er uns von zu Hause aus auf eine Reise rund um den Globus mitnimmt.
ASIN/ISBN: 3423351985 |